Handeln statt Protzen: Joe Bidens erste hundert Tage im Amt

In den ersten drei Monaten als US-Präsident legt Joe Biden los, als wolle er die vier Jahre unter seinem Vorgänger aufholen. Dabei überrascht er selbst Parteifreunde.

Mit den Mehrheiten im Parlament regiert Joe Biden durch, notfalls auch per Präsidialerlass.(Bild: REUTERS/Tom Brenner)
Mit den Mehrheiten im Parlament regiert Joe Biden durch, notfalls auch per Präsidialerlass.(Bild: REUTERS/Tom Brenner)

Beim selbst einberufenen Klimagipfel stellt sich Joe Biden mit den USA wieder in die Führungsposition. Und auch sonst hat er in den ersten Monaten im Amt einiges bewegen können. In den USA gilt die Einhundert-Tage-Schwelle als so etwas wie das erste Arbeitszeugnis eines neugewählten Präsidenten. Was konnte er nach der Amtseinführung umsetzen? Welche Wahlversprechen verschwinden still und leise in Schubladen? Und wo stößt der Enthusiasmus einer politischen Agenda auf die raue Wirklichkeit des kleinteiligen politischen Verteilungskampfes in Washington? Am 29. April erreicht Biden diese Zeitspanne. Und das erste Urteil fällt fast durchgehend positiv aus, das müssen selbst die politischen Gegner zähneknirschend anerkennen.

Lesen Sie auch: Thunberg wirft Politikern "Ignoranz" in der Klimakrise vor

Joe Biden, so beschreiben es die US-Medien, handelt nach dem politischen Motto "under-promise and over-deliver", weniger versprechen, mehr umsetzen. Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, die Macht des Amtes per Präsidialerlass zu nutzen. Seine Strategie des Understatements scheint ihm in die Karten zu spielen, nachdem sein Vorgänger Donald Trump vor allem durch großspurige Ankündigungen auffiel, die dann an den politischen Realitäten scheiterten.

Corona-Bekämpfung im Eiltempo

Vor allem beim Kampf gegen die Corona-Pandemie drückt die Biden-Administration aufs Gaspedal und übertrifft alle Erwartungen. Nachdem die USA lange das am heftigsten betroffene Land mit den höchsten Infizierten-Zahlen waren, geht es nun im Eiltempo voran. Mit einer "America first"-Strategie wird geimpft, was das Zeug hält: in Stadien, Schulen und Drive-Throughs. Das führt dazu, dass die Infektionen seit Januar rapide sinken, während nirgendwo anders so effektiv geimpft werden kann. Mit bereits 134 Millionen einmalig geimpften und über 87 Millionen vollständig geimpften Bürgern hat Biden seine versprochene Quote längst übererfüllt und konnte sie zweimal nachbessern. Inzwischen sind die Impfstoffe altersunabhängig freigegeben, eine publikumswirksame Leistung, die ihm große Pluspunkte einbringt.

Auch Biden selbst ließ sich bereits im Januar impfen, um als Vorbild für die beispiellose US-Impfkampagne zu fungieren. (Bild: REUTERS/Tom Brenner)
Auch Biden selbst ließ sich bereits im Januar impfen, um als Vorbild für die beispiellose US-Impfkampagne zu fungieren. (Bild: REUTERS/Tom Brenner)

Doch das Pensum der Biden-Regierung beschränkt sich nicht auf die Pandemie. Mit knappen Mehrheiten in beiden Häusern versucht seine Administration, demokratische Politik-Ideen durchzusetzen, wo es nur geht. Das begann mit dem sogenannten Recovery-Package, das die Folgen der Corona-Zeit abfedern soll. In diesem Paket versteckt sind viele sozialdemokratische Ansätze, Investitionen in die oftmals veraltete Infrastruktur und nachhaltige Industrien. Vor allem aber kommt finanzielle Hilfe bei der darbenden Mittelklasse an, etwas, das Trump stets versprochen, aber nie wirklich umgesetzt hatte.

Zustimmung über die Gräben hinweg

Die Wähler belohnen Biden dafür mit großer Zustimmung, ein Novum in einer Zeit tiefer werdender politischer Gräben. Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass er nach den ersten drei Monaten im Amt und einem hochemotionalen Vorlauf im Wahlkampf von fast 60 Prozent der US-Amerikaner positiv bewertet wird. Bidens Ego ist im Vergleich zu seinen Vorgängern eher moderat, er sucht das Rampenlicht nicht aktiv, was ihm einerseits den Ruf des hartarbeitenden Volksdieners eingetragen hat und andererseits in den konservativen Medien zu Spekulationen führte, er habe die Zügel nicht selbst in der Hand.

Bislang ist Kamala Harris eher in der zweiten Reihe zu finden, mit der Frage der Migrationskrise hat Biden seiner Vizepräsidentin nun eine schwere Aufgabe übertragen. (Bild: Al Drago-Pool/Getty Images)
Bislang ist Kamala Harris eher in der zweiten Reihe zu finden, mit der Frage der Migrationskrise hat Biden seiner Vizepräsidentin nun eine schwere Aufgabe übertragen. (Bild: Al Drago-Pool/Getty Images)

Die einzige echte Krise, die Bidens Erfolgszug in den ersten hundert Tagen bisher leicht ausbremste, war die anhaltend angespannte Situation an der Südgrenze zu Mexiko. Auch Biden hat keine echte Einwanderungsstrategie entwickelt. Stattdessen reagierte er auf den wachsenden Andrang von hauptsächlich lateinamerikanischen Migranten mit dem Beibehalten der Trumpschen Einwanderungsquote. Das brachte ihm im linken Flügel der eigenen Partei angeführt von Alexandria Ocasio-Cortez heftige Kritik ein. Denn Biden hatte im Wahlkampf eine Umkehr dieser Politik versprochen und angekündigt, getrennte Familien wieder zusammen zu bringen. Das ist bisher nicht passiert, doch Biden musste einsehen, dass er nicht gegen den linken Flügel der Demokraten regieren kann, er braucht deren Unterstützung. Es ist ein wenig bezeichnend, dass er diese schwierige Aufgabe an seine Vize-Präsidentin Kamala Harris delegiert hat.

Rückkehr aus der internationalen Isolation

Auch international versucht Biden, die Risse zwischen den USA und Europa zu kitten, die Trump vertieft hatte. Ein wichtiger Schritt war der sofortige Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen. Zuletzt berief Biden eine große virtuelle Klimakonferenz ein, um die USA wieder als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel zu etablieren. Ein erster Schritt auf nationaler Ebene ist der Gesetzesentwurf, der 2,25 Billionen US-Dollar (umgerechnet 1,87 Billionen Euro) in die marode Infrastruktur pumpen soll. Dazu gehört auch der Ausbau des Eisenbahnnetzes, ein persönliches Steckenpferd des Präsidenten, der dafür bekannt war, jahrzehntelang aus seinem Heimatort Wilmington per Zug nach Washington D.C. zu pendeln. Doch auf diese Gesten müssen weitere Taten in Sachen Klimapolitik folgen, vor allem wenn Biden gegenüber den großen weltpolitischen Gegenspielern wie Russland und China Argumente in der Hand halten will.

Lesen Sie auch: Biden mahnt Klimaschutz an: Kosten des Nichtstuns werden immer höher

Denn besonders mit Russland dürfte die Lage angespannt bleiben, nachdem Biden Putin unbedacht einen "Killer" nannte. Was wohl eine Geste der Stärke sein sollte, war eher ein diplomatisches Fettnäpfchen. Die Diplomaten hinter den Kulissen dürften über die lose Zunge ihres Präsidenten jedenfalls nicht allzu erfreut gewesen sein. Auch der Truppenabzug aus Afghanistan, ein Thema, das Biden schon als Vize-Präsident Obamas am Herzen lag, ging jetzt für die Partner-Nationen relativ abrupt vor sich. In welchem Zustand das kriegsgeplagte Land nun zurück gelassen wird und ob es zu einem zweiten Irak oder sogar Syrien wird, dürfte auch auf Bidens Entscheidung zurückfallen. Von den europäischen Partnern wird Biden in Sachen Sicherheitspolitik sicherlich einiges verlangen in der Zukunft.

Holperige Zeiten voraus

Die nächsten hundert Tage im Amt dürften weitaus holperiger werden, die Krise an der Grenze ist weiter ungelöst, die Strukturprogramme greifen nicht unmittelbar und langsam wird auch die Anzahl der US-Amerikaner knapper, die sich überhaupt noch impfen lassen wollen, während neue Covid-Varianten die Pandemie weiter am Leben erhalten. Und selbst Biden, der bekannt für seine Kooperation mit den Republikanern ist, hat es nicht geschafft, die neue Normalität der politischen Spaltung zwischen den Lagern zu durchbrechen. Für sein Recovery-Paket stimmte trotz großer Zustimmung in der Bevölkerung kein einziger Republikaner.

Das nächste echte Zeugnis bekommt die Biden-Regierung bei den Midterm-Wahlen 2022. Wenn er bis dahin an Zustimmung einbüßt, könnte er seine knappen Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus direkt wieder verlieren. Wie schwierig es ist, damit Politik zu machen und überhaupt noch Dinge umzusetzen, konnte er unter Barack Obama aus nächster Nähe beobachten.

Im Video: Erfolg für Biden: 200 Millionen Impfungen in 92 Tagen im Amt