"Hart aber fair": "Der Staat kann nicht Schulmeister der Demonstranten sein"

Hat der Berliner Senat mit seinerm gescheiterten Verbot der Corona-Demo vom Wochenende einen schweren strategischen Fehler begangen? Bei "Hart aber fair" wurde am Montagabend darüber kontrovers diskutiert. Eine Ärztin dozierte zur Psychologie von Verschwörungs-Anhängern.

"Streit um Corona-Verbote: Wie viel Freiheit ist noch drin?" - Unter dieser Überschrift mühte sich Frank Plasberg am Montagabed im Ersten ein weiteres Mal, die aufgeheizte Pandemie-Stimmung im Land im Talk-Format abzubilden. Dass der Freiheitswille bei der am Samstag teilweise eskalierten Berliner Groß-Demo bisweilen fehlgeleitet war - darüber waren sich im "Hart aber fair"-Studio in der Hauptstadt alle Anwesenden einig. Auch "politische Abstandsregeln" seien da missachtet worden, spielte Plasberg auf die zahlreiche Anwesenheit von Rechtsradikalen an. Unrühmlicher Höhepunkt: der Versuch einiger Hunderter, die Reichstagstreppe zu stürmen.

Demo: Jan Josef Liefers' mahnende Worte zur Corona-Demo

"Wir haben versucht, die Demonstration zu verbieten aufgrund von Erfahrung, nicht um das Demonstrationsrecht per se einzuschränken", sah sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller am ARD-Pult durch die Vorfälle nachträglich bestätigt. "Es gab einen Vorläufer zu dieser Demo, wo auch schon alle Regeln missachtet wurden", mahnte der SPD-Politiker. Man habe nicht "sehenden Auges" noch mal in so ein Risiko laufen wollen. Dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das vom Innensenator verhängte Verbot kurzfristig aufhob, sei zu akzeptieren. Dennoch könne man mit Blick auf die Pandemie-Entwicklung keinen massenhaften Regelbruch zulassen. Schließlich sei es "Wesen der Demonstration", gegen Corona-Regeln zu verstoßen. "Es ist nach wie vor Aufgabe der Politik, nicht nur das Demonstrationsrecht zu garantieren, sondern auch den Gesundheitsschutz."

"Hart aber fair": "Der Staat kann nicht Schulmeister der Demonstranten sein"
"Hart aber fair": "Der Staat kann nicht Schulmeister der Demonstranten sein"

Von Frank Plasberg auf das "Covidioten"-Diktum der SPD-Chefin Saskia Esken angesprochen ("Ist das klug, wenn man Menschen in die Ecke stellt"), bekräftigte Müller: Corona-Leugner und ihre kruden Thesen müsse man "selbstverständlich in einer Demokratie aushalten". "Aber", so der Regierende Bürgermeister weiter, "man muss auf der anderen Seite auch klar benennen dürfen in einer Demokratie, wer Demonstrationen nutzt, um rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten". Müller sprach von "Rechtsextremisten, Rechtspopulisten", einem "Sturm auf den Reichstag". Es müsse jedem klar sein, "was da auch noch passiert".

Ärztin: Kontrollverlust begünstigt Verschwörungstheorien

Widerspruch gab es in Person des "FAZ"-Journalisten Jasper von Altenbockum. Zwar hätte auch er die Berliner Demo lieber nicht stattfinden sehen, jedoch nannte er die Verbotsbegründung "indiskutabel": "Die Politik kann nicht der Schulmeister der Demonstranten sein", kanzelte er den Verweis auf die rechtsradikale Unterwanderung der Proteste ab. Auch das Argument, man habe mit der Vorläufer-Demo schlechte Erfahrungen gemacht, ließ von Altenbockum nicht gelten. "Wenn Sie so argumentieren, können Sie sehr viele Demonstrationen im Land verbieten, weil es schon viele Demonstrationen gegeben hat, die bitter geendet haben. Man kann nicht vom Konjunktiv ausgehen."

Demo: Berlin beschließt Maskenpflicht bei Demonstrationen ab hundert Teilnehmern

Dem stimmte die Lehrerin und Publizistin Lamya Kaddor vollumfänglich zu. Zudem glaube sie, der Berliner Senat habe "strategisch nicht besonders klug" agiert: "Gerade dieses Verbot im Vorhinein hat dafür gesorgt, dass die Krawallmacher sich besonders angesprochen gefühlt haben und gesagt haben: 'Jetzt erst recht!" Kaddor habe sich in der für sie irritierenden Situation wiedergefunden, der AfD darin recht geben müssen, dass der Rechtsstaat so nicht funktioniere.

Eine andere Perspektive auf die Demonstranten eröffnete bei "Hart aber fair" die Ärztin und Wissenschaftsjournalistin Julia Fischer. Wie ticken Menschen, die hinter der Corona-Pandemie eine Weltverschwörung wittern? "Im Prinzip ist niemand so richtig dagegen gefeit, einer Verschwörungstheorie auf den Leim zu gehen", erklärte die Medizinerin. Überproportional häufig treffe es jedoch "Menschen, die wenig stressresistent sind und die auch ein gewisses Geltungsbedürfnis haben". Dabei könne es sich auch um gebildete Menschen handeln, die eine Situation nicht mehr aushalten. Mit Verweis auf die Erkenntnisse der Wirkungspsychologie stellte sie fest: "Ein ganz wichtiger Faktor ist der Kontrollverlust, den wir aktuell erleiden. Es ist eine Bedrohung, die unsichtbar über uns schwebt. Und damit kann unser Gehirn überhaupt nicht umgehen. Da neigt es dazu, sich sehr einfache Antworten zu suchen."