Heftiger Polizeieinsatz in München erinnert an George Floyd
Die Bilder erinnern erschreckend an den dramatischen Tod von George Floyd. Nur fand der heftige Polizeieinsatz dieses Mal mitten in Deutschland statt.
In München nahm die Polizei im Februar 2020 einen Mann fest, dem der Kartenkontrolleur der S-Bahn vorwarf ohne gültigen Fahrschein zu fahren. Der 53-jährige Franzose hatte auf seinem Ticket das Datum markiert, an dem er die Jahreskarte erneuern muss. Das sah der Kontrolleur als Manipulation an und rief schließlich die Polizei zur Hilfe, als der Fahrgast sich weigerte, eine Strafe zu zahlen. Zurecht, denn wie sich herausstellte, war sein Ticket gültig. Doch was in den Minuten danach am S-Bahnhof Isartor passierte, ist beispielhaft für die Eskalation einer eigentlich ungefährlichen Situation. Zwischen dem französischen Fahrgast und der Polizei schaukelte sich die Lage solange hoch, bis sie ihn gewaltsam zu Boden brachten und ein Beamter minutenlang auf dem Nackenbereich des Mannes kniet. Der Einsatz wurde von der Bodycam eines Beamten aufgezeichnet und sorgt nun für Diskussionen um die Verhältnismäßigkeit der Polizeigewalt.
Angeblicher Falschfahrer hatte ein gültiges Ticket
Denn auf dem Video, das unter anderem FOCUS Online in ganzer Länge vorliegt, ist zu sehen, wie der Mann nach und nach in Panik gerät. Das Video dauert ungefähr neun Minuten, also fast eben solange wie der berüchtigte Einsatz der Polizei in Minneapolis, der mit dem Tod des US-Amerikaners George Floyd endete. Dessen Worte "I can't breathe" ("Ich kann nicht atmen") wurden zum Symbol für übermäßige Polizeigewalt und zum Motto der Black Lives Matter-Proteste weltweit. Einen ähnlichen Polizeigriff wendeten nun die Münchener Beamten an, gegen einen vermeintlichen Falschfahrer. Denn der Franzose war polizeilich zuvor noch unbelastet, lebt seit 20 Jahren friedlich als IT-Experte in München und war zudem im Recht, wie auch der Münchener Verkehrsverband dem FOCUS gegenüber bestätigte. Der vorgezeigte Fahrschein war tatsächlich ein gültiges Jahresticket, auch mit Beschriftung gilt er.
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In "Todesangst" zu Boden gedrückt
Die Bilder ähneln denen aus Minneapolis in erschreckender Weise. Auch in München fleht der Mann die Polizei an, ihn los zu lassen, schnappt nach Luft und ruft nach Hilfe. 32 Mal ruft er auf Deutsch: "Hilfe". Sonst spricht er meistens auf französisch. Die Polizisten aber halten ihn weiter am Boden fest. Eskaliert war die Situation auch deshalb, weil sich der Mann weigerte, zu Unrecht bestraft zu werden und den Kontrolleuren vorwarf, ihn als Ausländer schlecht zu behandeln. Er beschimpfte die Sicherheitsleute und soll einen von ihnen geschubst haben. Als die Polizeibeamten hinzugerufen werden, sitzt er auf einer Bank und hat seine Frau angerufen, um ihm bei der Aufklärung der Situation zu helfen. Doch statt auf die Ehefrau zu warten, verlangen die Beamten nach seinem Ausweis und drohen bei Nichtherausgabe körperliche Gewalt an, die sie dann auch einsetzen, beschreibt der FOCUS das Geschehen. Mit vereinten Kräften fesseln sie den Mann und einer der Beamten kniet sich auf ihn, worauf hin er Todesangst bekommen habe, wie er dem Online-Magazin beschrieb. Tatsächlich musste er sogar die Nacht in einer Zelle verbringen und wurde erst am nächsten Vormittag entlassen.
Über die Verhältnismäßigkeit der körperlichen Gewalt wird nun in München von Experten und Polizei gestritten. Vor allem der Einsatz des Knies am Kopf- und Halsbereich ist sehr umstritten, da er zu lebensgefährlichen Verletzungen und sogar zum Atemstillstand der fixierten Person führen kann. Der Anwalt des Franzosen, David Mühlberger, sagte gegenüber FOCUS Online, er habe so "eine Unverhältnismäßigkeit" noch nie erlebt. Vor Gericht stehen im August allerdings nicht die Beamten, sondern der Mann selbst. Denn die Polizei zeigte ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte an. Da das Verfahren noch läuft, äußert sich die Bundespolizei bisher nicht dazu.
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