Hidden Headlines: Afghanische Familien auf der Flucht vor Taliban im Stich gelassen

Die britische Regierung wollte afghanischen Ortskräften nach der Machtübernahme durch die Taliban ein neues Leben ermöglichen. Doch auch zwei Jahre später hausen Tausende in Notunterkünften.

Die radikalislamistischen Taliban feiern am 15. August 2023 den zweiten Jahrestag ihrer Machtübernahmen in Afghanistan
Die radikalislamistischen Taliban feiern am 15. August 2023 den zweiten Jahrestag ihrer Machtübernahmen in Afghanistan. (Bild: Reuters / Ali Khara)

Zwei Jahren nach dem Fall von Kabul: Eine Untersuchung kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass afghanische Familien, die vor den Taliban nach Großbritannien flüchteten, von der Regierung in London "im Stich gelassen" worden sind.

Insgesamt hat das Land rund 25.000 Menschen aus Afghanistan aufgenommen. Doch noch immer sind Tausende in Massenunterkünften untergebracht – mit wenig Perspektive auf Unabhängigkeit.

Was ist passiert?

Die internationale und gemeinnützige Organisation More in Common beschäftigt sich mit der Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt gestaltet und Spaltung verhindert werden kann. Dazu haben jetzt Mitarbeiter*innen der NGO aus Großbritannien eine Studie herausgegeben. Sie haben jüngst untersucht, wie sich die Regierung in London um afghanische Geflüchtete kümmert.

(deutsch: Unser @Moreincommon_-Bericht, zwei Jahre nach dem Fall von Kabul, macht deutlich, dass wir unser Versprechen, afghanische Flüchtlinge herzlich willkommen zu heißen, nicht eingehalten haben. Basierend auf der Erfahrung von über 100 Afghanen, Experten und Hilfskräften untersuchen wir, was funktioniert hat, was nicht und was wir lernen können)

Viele Menschen sind nach der Machtübernahme am 15. August 2021 durch die radikalislamistische Terrorgruppe geflohen. Darunter befinden sich auch sogenannte Ortskräfte. Das sind Einheimische, die zivilen und militärischen Gruppen aus westlichen Ländern in Afghanistan geholfen haben. Sie übersetzten beispielsweise oder trugen zum interkulturellen Verständnis bei.

Viele Ortskräfte haben vor der Machtübernahme durch die Taliban auch britische Soldat*innen unterstützt, womit sie sich in den Augen der Islamisten schuldig gemacht haben. Deshalb mussten sie, um ihr Leben zu schützen, ihre Heimat verlassen.

Das sind die Hintergründe

2021 hat die britische Regierung zwei Hilfsprogramme gestartet: "Operation Warm Welcome" und die "Afghan Relocations and Assistance Policy". Das Ziel war und ist es, Afghan*innen aufzunehmen, die zuvor mit Britin*innen zusammengearbeitet haben oder durch die Taliban besonders gefährdet sind.

Laut More in Common konnten die Hilfsprogramme bislang aber nicht halten, was sie versprochen haben. Das liege insbesondere an lokalen und nationalen Behörden, die nicht mit der Hilfsbereitschaft der britischen Gesellschaft mithalten könnten. Vor allem wird die Bereitstellung von Wohnraum kritisiert: "Noch immer sitzen rund 9.000 Menschen, die Hälfte davon sind Kinder, in ungeeigneten und provisorischen Unterkünften fest." Das zentrale Versäumnis liege darin, dass noch immer Familien in beengten Unterkünften, ohne eigene Haustür oder Weg in die Unabhängigkeit festsitzen würden.

(deutsch: Bis zum Ende der Woche haben wir ein Zuhause für weitere 410 Afghanen gefunden. Die afghanische Task Force, bestehend aus Veteranen, Wohltätigkeitsorganisationen und helfenden Bürgern, hat bemerkenswerte Dinge erreicht. Wir werden die Hotels räumen und diese Afghanen unterbringen, wie wir es versprochen haben.)

Dazu zitiert Politico Johnny Mercer. Er sitzt heute für die regierende Conservative Party im Abgeordnetenhaus und war zuvor als Soldat in Afghanistan stationiert: "Für mich persönlich ist es eindeutig, was wir diesen Mensch schulden." Die aktuellen Unterbringungen seien auf keinen Fall eine langfristige Lösung. Er versprach deshalb, dass die Regierung das Problem lösen werde und sie den Menschen endlich zurückzahle, was man ihnen schulde.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Auch in Deutschland sieht die Lage nicht viel besser aus. Man hat Geflüchteten aus Afghanistan damals ein schnelles und unbürokratisches Verfahren versprochen – zumindest den Ortskräften und ihren Familien. Doch die Realität sieht anders aus: Die Bundesregierung habe laut ZDF insgesamt 40.000 besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen eine Aufnahme in Deutschland in Aussicht gestellt. Doch nur etwa 11.000 Menschen seien bislang eingereist. Sowohl das Außen- als auch das Innenministerium wollte dem Öffentlich-Rechtlichen dazu kein Interview geben.

Anders Ralf Stegner von der SPD: Er leitet den Untersuchungsausschuss Afghanistan im Deutschen Bundestag. Er fordert im ZDF-Interview die "humanitären Spielräume zu maximieren". Auch wenn die Gefährdungslage der Ortskräfte unterschiedlich sei, dränge sich ihm der Eindruck auf, dass sich die Deutschen im Zweifel für die Bürokratie entschieden und gegen die Humanität.

Dabei verschlimmert sich die Situation in Afghanistan immer weiter. Laut Amnesty International vor allem für Frauen und Mädchen, die in den vergangenen beiden Jahren systematisch entrechtet wurden. Der Vorgang komme mittlerweile, schreibt die Menschenrechtsorganisation, einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich.

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