Hidden Headlines: Neue Erkenntnisse zum Sexualverhalten von Tieren

Gleichgeschlechtliches Verhalten bei Tieren: Was sind die Gründe dafür? Eine aktuelle Studie bietet einen neuen Erklärungsansatz.

Auch bei Löwenmännchen wurde gleichgeschlechtliches Verhalten beobachtet
Auch bei Löwenmännchen wurde gleichgeschlechtliches Verhalten beobachtet. (Symbolbild: Getty Images)

Tiere haben nur Sex, um sich fortzupflanzen? Das ist falsch. Tiere haben vermutlich aus zahlreichen Gründen Sex. Das legt eine aktuelle Studie nahe. Und manche Gründe führen demnach sogar dazu, dass auch gleichgeschlechtliche Tiere miteinander Sex haben.

Warum gibt es sexuelles Verhalten zwischen gleichgeschlechtlichen Tieren?

Same-Sex sexual behaviour – also sexuelles Verhalten zwischen gleichgeschlechtlichen Tieren – wurde bislang in über 1.500 Arten nachgewiesen: von Grillen über Seeigel bis zu Bonobos. Aber warum? Das fragen sich Wissenschaftler*innen schon lange.

In einer neuen Studie, die diese Woche in Nature Communications erschienen ist, wurde das Sexualverhalten von Säugetieren untersucht. Das Ergebnis: Ein Grund für gleichgeschlechtlichen Sex könnte sein, dass die Tiere damit soziale Bindungen zueinander aufbauen und Konflikte lösen oder vermeiden.

Lange wurde gleichgeschlechtlicher Sex im Tierreich als ein Paradox angesehen: Er koste die Tiere ja Zeit und Energie, die dann fehlen würden, um sich fortzupflanzen. Es gab auch Überlegungen, dass Sex unter gleichgeschlechtlichen Tieren bei der Reproduktion zwar nicht helfe, aber auch nicht schade oder dass Sex unter gleichgeschlechtlichen Tieren viel eher die Norm sein könnte und nicht etwa eine Anomalie.

Fehlverhalten oder Anpassung?

Die aktuelle Untersuchung, die von Forschenden des Spanish National Research Council, der größten öffentlichen Forschungseinrichtung Spaniens und der Universität von Granada durchgeführt wurde, fügt einen weiteren Erklärungsansatz hinzu: Gleichgeschlechtliches Sexual-Verhalten hat sich demnach vor allem in Säugetier-Arten durchgesetzt, die sich in Gruppen organisieren, beispielsweise in Primaten. Die leben in sozialen Gemeinschaften, weil es vorteilhaft für ihr Überleben ist. Sie sind beispielsweise besser vor Raubtieren geschützt, weil immer ein Mitglied der Gruppe wacht. Doch das Leben in einer Gruppe bringt auch Herausforderungen mit sich: Meist folgen Gruppen hierarchischen Regeln, die oft mit Gewalt durchgesetzt werden. Und auf Gewalt folgen Spannungen, schreiben die Forschenden, was "eine Gruppe sprengen" könnte.

Der Hauptautor, José María Gómez, erklärt deshalb in der Washington Post: "Wir sind überzeugt, dass gleichgeschlechtlicher Sex bei Säugetieren kein Fehlverhalten ist. Es handelt sich um eine Anpassung, um soziale Beziehungen zu erleichtern und solche Spannungen abzubauen."

(deutsch: [...] Die Studie unter der Leitung des Forschers José María Gómez Reyes in Zusammenarbeit mit Adela González von @universidad_de_granada und Miguel Verdú vom @cideinvestiga legt nahe, dass dieses sexuelle Verhalten eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und der Konfliktminderung spielt.)

Es gibt allerdings auch Kritik an der These

Die Washington Post hat auch Forschende befragt, die nicht an der Untersuchung beteiligt waren, darunter die Primaten-Expertin von der Harvard Universität Christine Webb. Sie sagt: "Wenn wir über die vielen Gründe nachdenken, aus denen Menschen Sex haben, ist es nur logisch, dass sich auch Tiere so verhalten." In diesem Fall könnte es auf jeden Fall eine Erklärung sein, dass Sex Spannungen innerhalb einer Gruppe abbaut.

Der Evolutionsbiologie Dieter Luka vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig ist hingegen nicht überzeugt von den Schlussfolgerungen der Studie. Er merkt in der New York Times an, wie herausfordernd es ist, Tiere in der freier Wildbahn zu beobachten. Deshalb könnte gleichgeschlechtliches Verhalten bei vielen Arten leicht übersehen werden: "Es ist viel einfacher zu beobachten, ob ein Verhalten bei Tieren auftritt, die sich auf offenem Gelände aufhalten und tagsüber aktiv sind." Das heißt: in diesem Fall wurde ein spezifisches Verhalten vor allem bei Arten nachgewiesen, die "einfacher" zu erforschen sind. Ob aber auch Arten dieses Verhalten aufweisen, die sich nur schwer beobachten lassen, kann deshalb nicht ausgeschlossen werden.

Das sind die Hintergründe

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Meta-Studie, die Wissenschaftler*innen haben also die Ergebnisse bestehender Literatur zum Thema untersucht. Insgesamt behandelt wurde das Sexualverhalten von 6.649 Säugetierarten. Bei etwa vier Prozent, genauer 261 Arten, wurden gleichgeschlechtliche sexuelle Verhaltensweisen beobachtet – sowohl bei männlichen als auch weiblichen Tieren.

Darauf basierend zeigen die Zahlen, dass gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten in unabhängigen evolutionären Linien entstanden ist. Eine Gemeinsamkeit dieser Linien: Viele der Arten bilden soziale Gruppen und leben nicht als Individuen. Dies legt nahe, dass gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten möglicherweise dazu dient, positive soziale Beziehungen zu etablieren oder aufrechtzuerhalten und Konflikte innerhalb von sozialen Gruppen zu mildern.

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