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HSV am Rande des Abgrunds

Mirko Slomka konnte den HSV bislang nicht aus der Abstiegszone führen. Foto: Marcus Brandt

Die Verantwortlichen des großen HSV sind kleinlaut geworden. Nach den Auflösungserscheinungen beim 1:3 gegen den VfL Wolfsburg würden die Führungskräfte des Bundesliga-Dinos inzwischen sogar den Relegationsplatz mit Kusshand nehmen.

Er habe schon in der Vorwoche den Auftrag erteilt, die potenziellen Gegner beobachten zu lassen, gab der ratlose HSV-Coach Mirko Slomka zu - «für den Fall, dass wir das Relegationsspiel spielen 'dürfen', wie man ja jetzt schon fast sagen muss». Auch Slomka macht sich längst mit dem Gedanken an die 2. Liga vertraut. «Wenn ich als erster HSV-Trainer in die Geschichtsbücher eingehe, der absteigt, werde ich vielleicht auch der erste sein, der mit dem HSV aufsteigt», sagte der 46-Jährige. Zuversicht hört sich anders an.

Die Stimmung beim individuellen Training war auch am Montag noch unterdrückt. Drei Spieltage vor dem Saisonende beträgt der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz bereits vier Punkte, und das HSV-Restprogramm im Dreikampf mit Eintracht Braunschweig und dem 1. FC Nürnberg um den Relegationsplatz sieht heikel aus. Nach zuletzt sieben Auswärtspleiten in Serie stehen Gastspiele in Augsburg und Mainz und dazwischen die Heimpartie gegen Meister Bayern München an. Club-Idol Uwe Seeler beschrieb die desaströse Lage beim Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga so: «Eine Stadt zittert um den HSV und ich mittendrin.»

Nach dem spielerischen Offenbarungseid gegen Wolfsburg weinten gestandene Männer auf der Tribüne und winkten mit Taschentüchern zum Abschied, so als stünde der erste Abstieg bereits fest. Tatsächlich stellte der HSV mit der achten Heimpleite der Saison einen traurigen Vereinsrekord auf. Die Tore für die Gäste erzielten Ivan Perisic (2. Minute), Kevin de Bruyne mit seinem Premierentreffer für die Wölfe (42.) und der ehemalige HSV-Profi Ivica Olic (49.). «Wahnsinn, Wahnsinn», stammelte Heiko Westermann. «Der Kopf lähmt die Beine», analysierte Torhüter René Adler, Jungstar Hakan Calhanoglu meinte jugendlich unbekümmert: «Ich sage immer "Never give up'.» HSV-Sportchef Oliver Kreuzer adelte die Gäste aus Wolfsburg sogar zu einem Weltklasseteam und erntete dafür einiges Kopfschütteln.

Der steigende Unmut der frustrierten Fans passt zur allgemeinen Situation. Nach dem Spiel gegen Wolfsburg kam es zu Ausschreitungen vor dem Stadion. Nach Angaben der Polizei versuchten etwa 70 Problemfans, die HSV-Geschäftsstelle zu stürmen. Es seien auch Absperrgitter geflogen, aber verletzt wurde niemand. Die Profis mussten über Umwege und mit Begleitschutz zu ihren Luxusautos geleitet werden. Einige Wolfsburger Fans skandierten höhnisch: «Zweite Liga, Hamburg ist dabei.»

Das Zweitliga-Topspiel zwischen dem SC Paderborn und Greuther Fürth - beide Clubs sind potenzielle Gegner in möglichen Relegationsduellen - ließ der HSV von Co-Trainer Nestor el Maestro beobachten. Der Paderborner Manager Michael Born machte sich unterdessen in der HSV-Arena eifrig Notizen. Allzu viel dürfte ihm da nicht Angst gemacht haben. Am ehesten noch van-der-Vaart-Vertreter Ivo Ilicevic, der auch den Ehrentreffer (58. Minute) beisteuerte. Auch Calhanoglu war einmal mehr ein Lichtblick. Genauso wie der ebenfalls erst 20-jährige Deutsch-Türke Kerem Demirbay, der nach langer Verletzung zu seinem Bundesliga-Debüt kam. Dafür droht den Hamburgern nun auch noch ein längerer Ausfall von Abwehrspieler Johan Djourou, der gegen Wolfsburg wegen Adduktoren-Problemen kurzfristig passen musste.

Wohin geht die Reise für den HSV nun? «Wir müssen zweigleisig darüber reden», konstatierte Ernst-Otto Rieckhoff in der Sendung «Sportclub» des Norddeutschen Rundfunks über die Zukunft der Initiative HSVPlus und des Clubs. Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende strebt mit HSVPlus die Ausgliederung des Bundesligisten aus dem gemeinnützigen Sportverein und die Bildung einer Aktiengesellschaft an. Damit soll in Zukunft alles besser werden. «Bei der Mitgliederversammlung am 25. Mai werden wir wissen, in welcher Liga wir spielen», so Rieckhoff weiter. Ex-HSV-Angreifer Olic zeigte Mitgefühl mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, befürchtet aber Schlimmes: «Es tut mir leid, dass der HSV in dieser Situation ist. Ich habe nicht viel Optimismus.»

Video des NDR Sportclub