Illner-Spezial zum Pflegenotstand: Nur Placebos für Patienten und Angehörige

Einen Neustart in der Pflegepolitik hatte die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD angekündigt. Bislang ist der zuständige Minister Jens Spahn (CDU) aber nicht mit neuen Ideen aufgefallen. Immerhin: Am Donnerstagabend stellte er sich in einer Spezialausgabe vom „Maybrit Illner” den Fragen von Pflegekräften und Angehörige von Pflegebedürftigen. Ebenfalls dabei: Katja Kipping, Chefin der Linkspartei.

Bislang ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht mit neuen Ideen aufgefallen, sondern vielmehr mit Provokationen (Bild: ZDF)
Bislang ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht mit neuen Ideen aufgefallen, sondern vielmehr mit Provokationen (Bild: ZDF)

Das sind die Fakten

2,86 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig. Ein Drittel von ihnen, also knapp eine Million, wird von Angehörigen zu Hause versorgt. Doch die fühlen sich vom Staat oft allein gelassen. Sie müssen ihren Beruf aufgeben, geraten in finanzielle Schwierigkeiten, erdulden hohe psychische Belastungen und liefern sich nicht selten einen Papierkrieg mit Behörden um Beihilfen. Pflegebedürftigen, die in Pflegeheimen leben, geht es oft nicht besser. Zu wenig Personal, das zudem schlecht bezahlt ist. Darunter leidet die Pflege. Neu ist das alles nicht. Doch getan hat sich bislang wenig.

Das sagten die Angehörigen

Bettina Michel, Tochter des früheren Schalke-Managers Rudi Assauer, berichtete, dass sie ihren Job aufgeben musste, um ihren an Alzheimer erkrankten Vater zu pflegen. Sie habe ihm aber versprochen, ihn nie ins Heim zu geben. Frustriert erklärte sie: „Wer zu Hause pflegt, hat keine Lobby.”

Kornelia Schmid, Bundeswehrangehörige, die seit 25 Jahren ihren an Alzheimer erkrankten Mann pflegt, monierte: „Man muss um jede Hilfe kämpfen und schon oft habe ich gedacht, dass die bürokratischen Regeln absichtlich so kompliziert sind.”

Das sagten die Pflegeprofis

Alexander Jorde, ein Pflege-Azubi, der bundesweit bekannt wurde, nachdem er 2017 Bundeskanzlerin Merkel argumentativ in die Bredouille brachte, erzählte, dass Pflegekräfte nach durchschnittlich 7,5 Jahren den Beruf wechseln. Manchmal genügten schon ein, zwei kranke Kollegen und eine ordentliche Versorgung sei nicht mehr gewährleistet. Jorde forderte mehr Anerkennung für Pflegeberufe. Der Job sei hochkomplex und verantwortungsvoll. Zu Minister Spahn sagte der 22-Jährige „Sie werfen alle Zahlen durcheinander, das muss man auch mal sagen.”

Martin Bollinger, gelernter Altenpfleger und Vize-Vorsitzender des Vereins Pflegeethik Initiative Deutschland: „Das Gesamtsystem ist völlig fehlgeleitet. Wir haben keine Zeit für die Patienten und statt den Mumm für einen Systemwechsel zu haben, wird nur Flickschusterei betrieben.”

Das sagte die Opposition

Linken-Chefin Kipping kritisierte: „Menschen mit Pflegebedarf werden zum Spekulationsobjekt, weil Pflegeeinrichtungen streng geführte Wirtschaftsunternehmen sind.” Private Fonts “kaufen Heime auf und wollen Rendite machen.“ Anschließend griff sie CDU-Mann Spahn direkt an: „Es kann nicht sein, dass Sie nur bei ‚Hartz IV‘ und Flüchtlingen angriffslustig sind – seien Sie es auch für pflegende Angehörige.” Hintergrund: Spahn hatte kürzlich erklärt, dass der ‚Hartz-IV‘-Regelsatz von rund 416 Euro für Alleinstehende ausreichend sei.

Kipping präsentierte einen konkreten Vorschlag: „Wir müssen darüber nachdenken, Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige zu zahlen.” Schließlich bekämen Mütter und Väter, die ihre Kinder betreuen, ebenfalls staatliche Unterstützung.

Spahn hielt das für keine gute Idee. Der Minister verwies auf die bestehende Pflegeversicherung. Bei Pflegestufe fünf bekomme man Leistungen, als „wenn man 3000 Euro brutto verdient.” Diese These brachte wiederum Kornelia Schmid auf die Palme. Die 58-Jährige, die ihren Ehemann pflegt, sagte: „Hören Sie auf mit Ihren 3000 Euro. Diese Summe bekommt so gut wie niemand.”

Das sagte der Gesundheitsminister

Spahn lobt zunächst sich selbst. „Wir haben echt schon viel möglich gemacht”, behauptete der Minister. So habe die Bundesregierung beschlossen, 8.000 neue Stellen in der Pflege zu schaffen. Dass das angesichts des Fachkräftemangels (manche Experten sprechen von über einhunderttausend fehlenden Pflegekräften in den kommenden Jahren) nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, verschwieg Spahn. Klar ist auch: Spahn ist erst zwei Monate im Amt und für die Misere nicht verantwortlich.

Das ist aber kein Grund, die Angehörigen von Kranken mit den üblichen Floskeln verarzten zu wollen. Menschen, die ihre Mutter oder ihren Vater zu Hause pflegen, seien für ihn „stille Helden des Alltags”, schmeichelte Spahn. Leider helfen warme Worte den Helden wenig. Die bräuchten konkrete Hilfe. Spahn aber sagte: „Ich mache lieber Versprechungen, die ich auch halten kann.” Sehr löblich. Bringt pflegende Angehörige aber nicht weiter. Spahn selbst würde übrigens seinen Beruf nicht aufgeben, um seine Eltern zu pflegen. Immerhin ist das eine klare Ansage.

Fazit

Die Probleme sind bekannt und wurden erneut benannt; die Betroffenen konnten ihre Lage schildern und der zuständige Minister gelobte Besserung.