Exklusives Yahoo-Interview: Enissa Amani, warum drohen Ihnen 40 Tage Haft?

Enissa Amani. (Bild: Isa Foltin/Getty Images for Quinke Networks)
Enissa Amani. (Bild: Isa Foltin/Getty Images for Quinke Networks)

Die Künstlerin beleidigte einen AfD-Politiker nach dessen rassistischen Verletzungen. Weil er straffrei ausgeht, will Enissa Amani ihre eigene Strafe dafür nicht zahlen - und nimmt dafür Gefängnis in Kauf. Gegenüber "Yahoo Nachrichten" erzählt sie, warum. Ein Gespräch über Angst, Wut und Mut.

Von Jan Rübel

Ende 2018, in Bayern. Bei einem Wahlkampfauftritt behauptet der AfD-Politiker Andreas Winhart, Albaner und Kosovaren würden als mobile Pflegekräfte „die Bude ausräumen“. Durch Asylbewerber sei es zu weit mehr Fällen von HIV, Krätze und Tuberkulose im Landkreis gekommen: Das habe er vom Gesundheitsamt Rosenheim „nachrecherchieren lassen“. Er forderte unter Applaus: „Ich möchte wissen, wenn mich in der Nachbarschaft ein Neger anküsst oder anhustet, dann muss ich wissen, ist er krank oder ist er nicht krank.“ Die Wahl der AfD biete die Chance, „die Soros-Flotte mit den ganzen Rettungsbooten im Mittelmeer zu versenken“. Abgesehen davon, dass das Rosenheimer Gesundheitsamt ihm sofort widersprach, auch seine Äußerungen über die Pflegekräfte jeglicher Grundlage entbehren und George Soros mit Rettungsbooten wenig bis nichts zu tun hat: Am Rassismus und Antisemitismus von Winharts Worten gibt es keinen Zweifel – meinte auch Enissa Amani und gab ihm Kontra, nannte ihn einen "Bastard" und "Idiot". Für ihre Beleidigungen zeigte Winhart sie an. Daraus entwickelte sich ein Rechtsstreit bis heute.

Frau Amani, Ihnen drohen 40 Tage Gefängnis. Wie geht es Ihnen?

Wie soll ich das sagen? Es belastet. Ich bin gespalten: Auf der einen Seite überwältigt mich der Rückhalt, den ich kriege. Viele erkennen die Tiefe dessen, was da gerade abläuft – dass es darum geht, festzustellen: Das darf der nicht sagen. Nicht ungestraft. Oder eben unwidersprochen. Auf der anderen Seite kann ich nicht einschätzen, welche Folgen das für mich haben wird. Seit zwei Jahren kriege ich bei Kunden mit, dass die Marketing- oder Brandabteilungen mein Engagement gegen Rechts kritisch beäugen; die großen Companys wollen halt alle abholen. Die wollen eher mit Leuten zusammenarbeiten, die weniger klare Kante haben und für alle greifbar sind. Und dann hat meine Familie auch Angst…

…was sagen die Eltern?

Die rufen mich 40 Mal am Tag an, sind ganz zittrig. Mein Vater bittet und bittet mich, nicht ins Gefängnis zu gehen. Er kommt aus dem Iran, aus einem politischen System, das durchweg korrupt und barbarisch diktatorisch ist; er verbindet mit Gefängnis ganz anderes. Nach dem Motto: ‚Du bist dann hinter Mauern, und wir können nichts tun.‘

Sie sind in Deutschland aufgewachsen. Sehen Sie das anders?

Mein Blick ist positiv. Ich will, dass mein Deutschland Vorreiter beim Kampf gegen Rassismus ist. Ich finde es traurig, wenn Rechte über eine so genannte „Nazikeule“ jammern. Ich drehe es um: Wir leben in einem freien Land, das von einer grauenhaften Geschichte erlöst wurde, und mit einem Grundgesetz, das die Menschlichkeit bewacht. Wenn dann ein Politiker etwas so Menschenverachtendes sagt wie Herr Winhart, das keinen Interpretationsspielraum lässt, dann braucht es Kontra. Er sagt ja nicht, er wolle etwa keine Geflüchteten aufnehmen – das wäre demokratisch und zu diskutieren. Über seine pauschalen Beleidigungen und Verunglimpfungen ganzer Ethnien gibt es aber nichts zu diskutieren.

Sie haben ihn dann gegenbeleidigt.

Ich wusste, dass ich dafür angezeigt werden kann und nahm das in Kauf. Ich ahnte aber nicht, dass dieser Mensch von Anderen Anzeigen bekommt und die Staatsanwaltschaft in seinen Worten kein Vergehen sah. Also dachte ich: Dagegen muss ich protestieren. Also habe ich ihn impulsiv weiter beleidigt.

Finden Sie die Strafe gegen Sie in Ordnung?

Ich finde sie sogar ziemlich niedrig. Klar, es war eine starke und massive Beleidigung. Eine härtere Bestrafung würde ich auch akzeptieren. Was nicht geht: dass der für seine Worte, mit denen er abertausende von Menschen herabsetzt und beleidigt – dass er nichts kriegt.

Und nun?

Wenn das Gericht Herrn Winhart für seinen unfassbaren Rassismusschwall eine kleine Geldstrafe aufbrummen würde, oder eine Sozialstrafe – und mir statt 1800 Euro eine Strafe von 18000 Euro, das würde ich sofort akzeptieren. Meine Beleidigung musste sein. Und meine Bestrafung auch.

Geht es Ihnen um Gerechtigkeit?

Ja, ich sehe da zweierlei Maß. Und ich habe das Recht und Gesetz vor Augen, weswegen meine Eltern nach Deutschland geflohen sind. Mich stört, dass wir in Deutschland so erzogen werden, dass alle schön ruhig bleiben, in hundert Talkshows tausend Sachen ruhig besprechen – aber uns selten trauen, einen mutigen Schritt nach vorn zu machen. Die Franzosen zum Beispiel sind bei der ersten Kleinigkeit auf der Straße. Das fehlt mir hier. Menschlichkeit ist doch hier in Gesetz gegossen. Warum wird dann nicht entsprechend gehandelt? Dieser AfD-Mann verdient schlicht eine Strafe. Mir bleibt kein anderer Weg.

Sie werden also nicht zahlen?

Genau, ich werde nicht zahlen. Wenn das Gericht Herrn Winhart gegenüber keine klare Kante zeigt, mach ich das eben. Selbst 18 Euro würde ich jetzt nicht zahlen.

Die Staatsanwaltschaft wirft Herrn Winhart nicht Volksverhetzung vor. Sie sagt, im politischen Meinungskampf würden Äußerungen einen besonderen Schutz genießen.

Diesen Satz an sich unterschreibe ich sofort. Aber es liegen einige Universen zwischen einer provokativen Äußerung und der bewussten Attacke gegen eine ganze Ethnie. Was ist denn an seinen Worten ein Beitrag zum politischen Meinungskampf? Er pauschalisiert. Wenn er sagt, wenn ein Schwarzer ihn umarme, wolle er was von HIV wissen – wo ist da der Interpretationsspielraum?

Die Staatsanwaltschaft meint, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass sich Andreas Winhart für eine gesundheitspolitische Maßnahme aussprechen wollte“.

Das ist Schwachsinn. In seinen Worten stecken glasklare mehrere Rassismen. Wenn er hätte über Gesundheit reden wollen, hätte er nicht über Schwarze Menschen sprechen müssen, geschweige das N-Wort benutzen müssen.

Also Gefängnis…

…meine Meinung hat sich nicht geändert. Es ist das einzige Druckmittel, das ich habe. Ich hoffe sogar, dass der Staatsanwalt jetzt keinen Rückzieher macht und wegen öffentlichen Drucks von der Strafe absieht. Er sollte es durchziehen. Sicherlich denke ich naiv ans Gefängnis, war ja noch nie drin. Es ist auch schwer zu ermessen, was 40 Tage bedeuten; vielleicht stelle ich es mir leichter vor, als es ist.

Könnte es sein, dass Rechte jubeln werden, wenn Sie tatsächlich dafür ins Gefängnis gehen?

Ich weiß, dass es für sie eine Genugtuung wäre. Aber die Strafe habe ich ja schon bekommen, die Genugtuung haben sie eh. Ich hatte auch nie gehofft, straffrei davonzukommen. Wenn mich jemand zehnmal beleidigt, zeige ich den auch an. Ich will durch diesen Schritt Aufmerksamkeit schaffen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie seine Rede sahen?

Nur Wut. Und Unverständnis. Ich wunderte mich, wie man einerseits so Böses sagen kann. Und andererseits, wie zurückgeblieben man sein kann. Der benutzt zum Beispiel das N-Wort wie selbstverständlich, dabei ist es derart verletzend. Ich verstehe Menschen nicht, die sagen: ‚Wieso, das haben wir doch schon immer so gemacht.‘ Ich meine, früher durften Frauen nicht wählen, und das haben wir doch auch geändert.

Welche Folgen sehen Sie für die Gesellschaft?

Worte wie die von Herrn Winhart sind Gift. Sie sickern ein und verbreiten dieses miese Gedankengut, den Rassismus. Darunter leiden Menschen konkret, das ist nichts aus der Wohlfühlbubble. Geht diese Saat auf, ist eine Folge das, was wir in Hanau gesehen haben: Dann zieht ein rechter Rassist los und erschießt Mitmenschen.

Das ist dann die Spitze des Eisbergs…

…und darunter ist es massiv. Ich habe zum Beispiel die Polizei in Deutschland immer als Freund und Helfer empfunden; ich habe es aber auch leichter: Ich bin eine Frau, bin hübsch, rede Deutsch wie alle anderen. In meinem Umfeld aber gibt es viele Menschen, vor allem Männer, die andere Erfahrungen machen. Die erleben von der Polizei extremes Profiling, werden im Schnitt einmal in der Woche aus ihrem Auto geholt. Vollbart, schwarz, was weiß ich: Sofort ist ein Verdacht da, aber ein unbegründeter. Und dann kommt ein Herr Winhart daher und faselt von Krankheiten und Dieben.

Sie haben ihn also beleidigt, um aufzurütteln?

Wenn Herr Winhart vom Rechtssystem keine Quittung für seine Worte erhält, geht es nicht anders. Verbesserungen brauchen immer mehrere Anläufe. In den seltensten Fällen ändert man ja auch in seinem Leben etwas mit einem Mal und radikal. Es muss halt oft und von vielen Menschen benannt werden, dass so etwas wie seine Worte einfach nicht geht. Dann setzt sich das irgendwann durch. Auch vor Gericht. Alles, was eine harmonische Welt ausmacht, braucht Zeit. Mein Traum ist, dass die nächste Staatsanwaltschaft in Worten wie denen von Herrn Winhart Strafwürdiges sieht. Oder dass der nächste AfD-Politiker sich nicht mehr traut, sowas zu sagen.