Interview mit Henriette Reker: „Sobald ich die erste Tröte höre, bin ich unterwegs“

Kölns Oberbürgermeisterin über Karneval, Köln und die aktuelle Politik.

Frau Reker, freuen Sie sich auf Karneval? Sehr, auch wenn ich in diesem Jahr zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl habe, mich karnevalistisch akklimatisieren zu müssen. Ich bin erst Mittwochmorgen von einer viertägigen Reise aus Israel zurückgekommen. Wenn man dann morgens die Kölner mit ihren Karnevalsmützen sieht, fragt man sich schon ganz kurz, in welcher Welt wir hier eigentlich leben. Wie jeck sind Sie? Extrem jeck. Brainwashed geradezu. Ich bin ja in Köln aufgewachsen, und sobald ich die erste Tröte höre, bin ich unterwegs. Wie fühlt sich Karneval für Sie an? Das fängt bei mir innerlich so sehr zu vibrieren an, dass ich einfach mitmachen muss. Deswegen kann ich auch die Stimmen nicht verstehen, die Karneval für Fröhlichkeit auf Kommando halten. So ist das ja nicht. Das entsteht in einem selbst, und bei mir vor allem über die Karnevalsmusik. Ihr Lieblingslied? Ich mag die alten Ostermann-Lieder sehr gerne. Sind Sie in einem jecken Haushalt aufgewachsen? Mein Vater ist Urkölner, meine Großmutter ist Karneval mit der dicken Trumm durch Köln gezogen. Meine Mutti nicht, die kam erst 1945 nach Köln. Als ihre Schwiegermutter das erste Jahr Weiberfastnacht über Nacht weg war, wollte sie die Polizei rufen. Meine Mutti hat sich aber immer zum Nähen der Kostüme zur Verfügung gestellt. Auf welchem Wagen fahren Sie am Rosenmontag mit? Auf dem Wagen „175 Jahre Dombauverein“. In Funken-Uniform? Ja. Am Rosenmontag bekommt man mich nur als Funkin. Welches Kostüm haben Sie an, wenn die Uniform zuhause bleibt? Ich kann die Funkenuniform drei Tage lang anziehen. Das mache ich dann auch: Weiberfastnacht, Samstag und Rosenmontag. Früher hat man mich mit meinen Kostümen übrigens nie erkannt. Oder nur die ganz emphatischen Menschen, weil ich mich bis zur Unkenntlichkeit maskiert habe. Das sah nicht schön aus, aber spektakulär, so wie ich es in meiner Kindheit gelernt habe. Haben Sie ein Lieblingskostüm? Schusterjunge, Tünn. Gibt es Kostüme, die Sie gar nicht mögen? Militärische Kostüme. Was ist das Besondere am Karneval? Egalité (dt. Gleichheit). In Köln feiern alle zusammen. Wenn sich einer einen Tribünenplatz nicht leisten kann, dann wird er einfach hochgezogen. Das habe ich schon selbst erlebt. Spüren Sie diese Gleichheit auch als erste Frau in einer Rote-Funken-Uniform – oder fühlt es sich seltsam an als einzige Frau in dieser patriarchalischen Organisation? Nein, das ist fantastisch. Das hatte ich mir vorher niemals so vorgestellt: Ich bin eine rote Funkin und habe auf einmal Hunderte Kumpel. Selbst in einem Möbelgeschäft in der Eifel ist es mir passiert, dass ein Mann kam und sagte: Ich glaube, wir sind im gleichen Knubbel. Das war für mich eine ganz neue Welt. Das kennt sonst keine Frau. Muss diese Welt nicht für mehr Frauen geöffnet werden? Ich fände es gut, wenn es keine Geschlechterunterschiede im Karneval gäbe, aber die Korps tun sich damit schwer. Dass ich jetzt aufgenommen wurde, ist ja ausschließlich meinem Amt geschuldet. Aber ich habe auch Verständnis für Rotarier, die sich als Männerclubs gegründet haben und das bleiben wollen. Diskutieren Sie mit Ihren Funken-Kumpels über dieses Thema? Nein, gar nicht. Als ich vereidigt wurde, haben mir die anderen Rekruten erst einmal erzählt, was sie alles tun mussten, um Roter Funk zu werden. Ich habe dann gesagt: Hallo, ich musste auch erst einmal Oberbürgermeisterin werden. So einfach war das jetzt auch nicht. Dann war das wieder okay. Die Last der Silvesternacht Im vergangenen Jahr stand Weiberfastnacht unter dem Eindruck der Silvesternacht und der besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Ist die Last in diesem Jahr weg? Nein, und das wird es auch in absehbarer Zeit nicht sein. Wir müssen uns klar machen, dass es trotz guter Rahmenbedingungen keine absolute Sicherheit gibt. Großveranstaltungen sind einfach ein beliebter Anziehungspunkt für Menschen, die nichts Gutes im Schilde führen. In diesem Jahr wird es Lkw-Blockaden geben, um den Rosenmontagszug zu schützen. Bereitet Ihnen das ein mulmiges Gefühl, wenn Frohsinn und Terrorgefahr so dicht beieinander liegen? Mir geht’s gut dabei und ich glaube auch nicht, dass dieser Gegensatz so empfunden wird. Die Kölner feiern ja besonders heftig Karneval unter den schwierigsten Bedingungen. Die haben wir zwar zum Glück noch nicht, aber belastet sind diese Zeiten schon. Im vergangenen Jahr waren Sie dabei, als die Funken eine Menschenkette um den Dom bildeten, um ihn symbolisch vor Wildpinklern zu schützen. Wird es eine ähnliche Aktion in diesem Jahr geben? Nein. Ich glaube, so eine Aktion sollte einmalig bleiben. Allerdings ist die Zahl der mobilen Toiletten erhöht worden. Wildpinkler gibt’s ja nicht nur am Dom. Händler und Anwohner der Zülpicher Straße berichten von immer unzumutbareren Zuständen während der Karnevalstage, von Aggressionen, Vandalismus und Körperausscheidungen aller Art. Können Ordnungskräfte da überhaupt noch etwas ausrichten? Man kann nur eine gewisse Präsenz zeigen, um die Menschen anzuregen, ein angemessenes Benehmen an den Tag zu legen. Das wird aber gerade bei alkoholisierten Leuten nicht immer gelingen. Schaden solche Brennpunkte dem Image des Kölner Karnevals? Meine persönliche Meinung: Das hat mit Karneval gar nichts zu tun, da wird der Karneval als Gelegenheit genutzt, um hemmungslos zu feiern. Sie sind im Rosenmontagszug auch Motiv auf einem Mottowagen – als Maria mit Heiligenschein, die dem Verwaltungs-Tünnes den Hintern versohlt. Wie fühlen Sie sich damit? Ich brauche ein solches „Marketing“ nicht, zumal ich ja wirklich das Gegenteil von gewalttätig bin. Ich kann keine Spinne töten und keine Blume wegwerfen, die die Fasson verloren hat. Aber im Kölner Karneval werden die Dinge eben zugespitzt – und damit muss man rechnen. Deshalb bin ich über das Motiv nicht beleidigt, sondern lache darüber. Kann die Verwaltung vom Karneval denn lernen? Auf jeden Fall. Wer gut zusammen feiert, kann auch gut zusammen arbeiten. Das Festkomitee hat in den vergangenen Jahren mehrfach betont, dass es sich von der Stadt allein gelassen fühlt, was zum Beispiel die Organisation des Rosenmontagzugs angeht. Nehmen Sie die Kritik an? Zunächst haben Sie richtig gesagt: Das Komitee fühlt sich allein gelassen. Natürlich ist es mir wichtig, wie der scheidende Komitee-Präsident Markus Ritterbach sich fühlt. Aber bei der Stadt geschieht schon eine ganze Menge. Wir fördern den Karneval vielleicht finanziell nicht so, wie das Komitee sich das wünscht, aber wir tun alles drum herum, um die Veranstaltungen zu ermöglichen. Man kann mit mir immer darüber sprechen, was man besser machen kann. Ich bin die Letzte, die nicht gesprächsbereit ist. Zu solchen Gesprächen gehört dann manchmal ja auch eine Diskussion um Diskriminierungsfragen im Karneval. Worauf spielen Sie an? Es gab vor einigen Jahren, als ich noch Sozialdezernentin war, eine Diskussion um die Karnevalsgesellschaft Mülheimer Neger. Das N-Wort wurde auch in einer Traditionsgaststätte verwendet. Das hat mir nicht gefallen, das ist politisch einfach nicht korrekt. Da gab es dann eine Diskussion zwischen Herrn Ritterbach und mir. Wenn sich jemand diskriminiert fühlt, muss man darüber nachdenken, wie man das ändern kann, um nicht auszugrenzen. Diskriminierung ist immer ein Gefühl. Und einem Gefühl kann man nur mit einem Gegengefühl begegnen. Als Sie die Karnevalisten unterstützt haben bei deren Protest gegen den AfD-Bundesparteitag im April, war das auch aus einem Gefühl heraus? Ich habe nicht die Karnevalisten unterstützen wollen, sondern meine Meinung gesagt: Wenn hier in dieser Stadt so etwas geschieht, finde ich schon, dass ich dazu deutlich werden darf. Jetzt hat die AfD ein Gerichtsverfahren gegen mich angestrengt, es wird vermutlich nicht bei dem einen bleiben. Aber dann werden wir ja sehen, was geht und was nicht geht. Als Oberbürgermeister wollen Sie nicht „politisch neutral“ bleiben? Nein. Ich sage meine Meinung, und das erwarten die Menschen auch von mir. Zu Recht, auch wenn sie nicht immer gut finden werden, was ich sage. Aber ich muss ja eine Position haben, ich kann ja nicht freischwebend agieren. Dann wissen die ja gar nicht, wer ich bin. Was werden Sie tun am Wochenendes des Bundesparteitags in Köln? Es gibt viele wunderbare Veranstaltungen an dem Tag, die ich sicherlich besuchen werde. Der Polizeipräsident wünscht sich ein Bürgerfest statt Demonstrations-Umzügen. Was halten Sie davon? Ich fände das auch gut. Dass am Neumarkt etwas geschieht, an verschiedenen Stellen der Stadt, damit man die Dominanz sieht, die wir als Bürgerinnen und Bürger haben. Ich hoffe, dass es keine Auseinandersetzungen gibt, die man sich nicht wünscht. Der Büttenredner Jupp Menth hat mit einigen Äußerungen in dieser Session ebenfalls eine große Debatte ausgelöst. Viele haben seine Äußerungen über Simone Peter und Claudia Roth als Sexismus empfunden. Und Sie? Ich finde auch, das hätte nicht sein müssen. Am Dienstagabend wird traditionell der Nubbel verbrannt. Gibt es einen politischen Nubbel, den Sie gerne verbrennen würden, wenn Sie an das letzte Jahr zurückdenken? Ja, aber ich weiß nicht, ob ich mich dazu äußern kann, ohne eine weitere Klage zu erwarten (lacht). Dann schweifen Sie doch ins Internationale. Mir macht der Front National in Frankreich Sorgen, die politische Lage in den Niederlanden macht mir Sorgen. Ich werde mir große Mühe geben von Köln aus, die Dinge positiv zu beeinflussen. Ich möchte mich mit den europäischen Partnerstädten treffen und verbünden. Die Demokratie ist seit jeher von den Städten ausgegangen. Wenn die Städte miteinander arbeiten, machen wir im Kleinen das, was wir uns im Großen wünschen. Zurück zum Karneval: Ihr Wunsch an die Kölner für die tollen Tage? Ich möchte die Kölner anregen, zusammen zu singen. In der Zeit, in der man singt, trinkt man nicht. Sonst würde man sich ja auch massiv verschlucken. Feiern ist nicht nur trinken. Feiern ist auch nicht andere zu belästigen, sich schlecht zu benehmen. Also singen wir doch lieber....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta