Jahrestag des Genozids an den Jesiden: Rufe nach Gerechtigkeit

Jesiden auf der Flucht vor dem IS im August 2014 (Bild: REUTERS/Rodi Said)
Jesiden auf der Flucht vor dem IS im August 2014 (Bild: REUTERS/Rodi Said)

In diesen Tagen jährt sich zum siebten Mal der Genozid des sogenannten "Islamischen Staats" an den Jesiden. Am Morgen des 3. August 2014 nahmen die Dschihadisten die Stadt Shingal ein, nachdem sich die Peschmerga der kurdischen Autonomieregion zurückgezogen hatten. Es folgte eine Serie von grausamen Kriegsverbrechen an der jesidischen Bevölkerung in der Region.

Nach UN-Angaben wurden etwa 5000 Menschen getötet, etwa 7000, zumeist Frauen und Kinder, wurden verschleppt. Frauen und Mädchen mussten für IS-Anhänger Sklavenarbeit verrichten und wurden sexuell ausgebeutet, Jungen wurden als Kindersoldaten eingesetzt. Hunderttausende weitere flohen vor den Gräueltaten, viele von ihnen konnten nur dank einer Intervention kurdischer Guerillas der PKK und YPG/YPJ entkommen.

Ein zerstörtes jesidisches Dorf Anfang 201 (Bild: REUTERS/Thaier al-Sudani)
Ein zerstörtes jesidisches Dorf Anfang 201 (Bild: REUTERS/Thaier al-Sudani)

Auch lange nachdem der IS aus der Region zurückgedrängt wurde, bleibt die Situation der Jesiden katastrophal. Die Sicherheitslage im Shingal-Gebirge bleibt angesichts regionaler Spannungen bis heute unsicher, der Wiederaufbau kommt kaum voran. Angesichts dieser Umstände kehren die Jesiden nur zögerlich in ihre Siedlungen zurück, etwa 200.000 von ihnen leben immer noch in Flüchtlingslagern im Irak. Auch bei der Aufklärung der Verbrechen des IS hat sich wenig getan, von 2800 der entführten Frauen und Kinder fehlt weiter jede Spur.

In einer Mitteilung zum Jahrestag des Genozids prangert die jesidische Überlebende und Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad diese Zustände mit scharfen Worten an: "Nach sieben Jahren kann ich nicht verstehen, warum es noch keine Gerechtigkeit für meine Familie und meine Gemeinschaft gab. Warum laufen immer noch IS-Verbrecher frei herum, während meine Schwägerinnen und ein Neffe weiter in Gefangenschaft sind?", schreibt die Friedensnobelpreisträgerin. "Wo bleibt der Plan, wie der IS für den Genozid und die sexuelle Gewalt angeklagt wird? Und wo bleibt der Plan zur Unterstützung der Heilung der jesidischen Gemeinschaft? Wir schaffen das nicht alleine. Und auf die Pläne müssen Taten folgen. Als der IS 2014 in Shingal einmarschiert ist, haben wir um unsere Leben gefürchtet. Heute bin ich davon überzeugt, dass die unerbittlichste Bedrohung für meine Gemeinschaft die Indifferenz der Mächtigen ist."

Nadia Murad und Amal Clooney bei einem Pressetermin 2017 (Bild: REUTERS/Lucas Jackson)
Nadia Murad und Amal Clooney bei einem Pressetermin 2017 (Bild: REUTERS/Lucas Jackson)

"Gerechtigkeit ist der Anfang jeglicher Heilung. Sie ist die Grundvoraussetzung, um darüber hinwegzukommen", ergänzt Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. "Jesidische Überlebende wie Nadia haben erstaunlichen Mut im Angesicht des Bösen bewiesen. Doch die Welt hat größtenteils weggesehen. Gegen welche Verbrechen können sich die demokratischen Länder noch zusammenschließen, wenn wir den IS nicht für den Genozid zur Verantwortung ziehen? Welche Botschaft sendet das an die Terroristen? Hoffen wir, dass wir in den nächsten sieben Jahren ein viel stärker koordiniertes Vorgehen sehen werden, um IS-Kämpfer und Kollaborateure zu verhaften und anzuklagen, und dass andere Länder dem Beispiel Deutschlands folgen, wo IS-Mitglieder Haftstrafen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit absitzen und der erste Prozess wegen Genozids begonnen hat."

Im Juli war die IS-Anhängerin Omaima A. in Hamburg wegen ihrer Beteiligung an der Versklavung von Jesidinnen verurteilt worden. In Frankfurt läuft seit 2020 der erste Prozess gegen einen IS-Anhänger, bei dem Völkermord zu den Anklagepunkten zählt. Es sind wichtige Präzedenzfälle, die jedoch nur der Anfang der Aufarbeitung dieser ungeheuerlichen Verbrechen sein können.