Jede Minute zählt: Wie Sie einen Schlaganfall erkennen – und was zu tun ist

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Der plötzliche Tod des 45-jährigen Sängers Roger Cicero nach einem Schlaganfall hat nicht nur die Künstlerwelt geschockt und aufgerüttelt. Dazu kommt der Fall Matthias Sammer: Der 48-jährige Sportvorstand des FC Bayern arbeitet nicht, nachdem bei ihm eine „winzige Durchblutungsstörung des Gehirns“ diagnostiziert wurde. Lesen Sie hier, was bei einem Schlaganfall passiert und wie Sie sich im Ernstfall verhalten sollten!

Sprachstörungen und einseitige Lähmungen sind die klassischen Symptome eines Schlaganfalls, die von Betroffenen und deren Angehörigen in der Regel auch erkannt werden. Schwieriger wird es aber, wenn sich die Warnsignale in Form von plötzlich auftretenden starken Kopfschmerzen, Schwindel, Schluck- oder Sehstörungen zeigen. „Nicht alle Patienten rufen den Rettungsdienst“, weiß Dr. Dennis Dietrich. Der Oberarzt des städtischen Klinikums Harlaching arbeitet auf der so genannten Stroke Unit, einer Spezial-Einheit für Schlaganfall-Patienten. Und da zählt jede Minute: „Je früher wir eingreifen können, desto größer sind die Überlebens- und Heilungschancen.“

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Der größte Risikofaktor ist ein hoher Blutdruck

In Deutschland erleiden rund 270.000 Menschen pro Jahr einen Schlaganfall, 200.000 sind zum ersten Mal davon betroffen. Bei 80 Prozent der Patienten führt ein Blutgerinnsel zu einem Gefäßverschluss und damit zu einer Mangeldurchblutung im Gehirn, der Fachausdruck dafür lautet ischämischer Schlaganfall. Bei den restlichen 20 Prozent verursacht ein gerissenes Blutgefäß den Schlaganfall, hier spricht man von einer Hirnblutung. Die große Mehrheit der Patienten ist über 60 Jahre alt. Mit 45 Jahren gehört Roger Cicero zu jener Minderheit von 5 bis 15 Prozent der 18- bis 45-Jährigen, die einen so genannten juvenilen Schlaganfall bekommen.

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„Der größte Risikofaktor ist ein hoher Blutdruck“, sagt Dr. Dietrich. Er erhöht die persönliche Schlaganfallgefahr um das 12-fache, daneben können aber auch Herzerkrankungen, hohe Blutfettwerte, Zucker, Rauchen und Alkohol eine Rolle spielen. Dass der Tod von Roger Cicero unmittelbar mit dem seines Vaters zusammenhängt, der mit 57 Jahren ebenfalls an einem Schlaganfall gestorben war, hält der Experte für eher unwahrscheinlich. „Es gibt bestimmte Blutgerinnungsstörungen, die vererbbar sind. Die machen aber nur einen sehr kleinen Prozentsatz aus.“

Auf der Station von Dr. Dietrich werden jährlich circa 1.600 Patienten behandelt. Rund 30 Prozent davon überleben den Schlaganfall nicht. „Hier kommt es vor allem darauf an, welches Hirnareal betroffen ist. Im Hirnstamm zum Beispiel werden lebenswichtige Prozesse wie Herzschlag, Blutdruck und die Atmung geregelt. Ist dieser Teil betroffen, ist das natürlich besonders gravierend.“ Doch auch Folgeerkrankungen wie beispielsweise eine durch Schluckstörungen verursachte Lungenentzündung können zum Tode führen.

Der wichtigste Faktor ist die Zeit

Je länger die Versorgungsblockade nach einem Schlaganfall andauert und das Gehirn nicht ausreichend durchblutet wird, desto mehr Gewebe wird zerstört. Die Zeit drängt also und deshalb gibt es in Deutschland eine optimierte Rettungskette, die auf Zeitersparnis ausgelegt ist. Sie beginnt mit den Rettungssanitätern im Krankenwagen, die auf das Erkennen von Schlaganfall-Symptomen geschult sind. Die Rettungsleitstelle klärt ab, in welcher Stroke Unit Plätze frei sind und lotst sie zur nächstgelegenen. Mithilfe einer Computertomographie (CT) klären die Ärzte ab, ob es sich tatsächlich um einen Schlaganfall handelt.

Eine Hirnblutung kann einen operativen Eingriff nötig machen, bei einem Blutgerinnsel werden zuerst blutverdünnende Mittel gespritzt. „Die Lyse-Therapie ist der wichtigste Behandlungsschritt bei der Akutversorgung“, sagt Dr. Dietrich. Eine weitere Behandlungsmöglichkeit ist ein Stent-Retriever. Das Gittergeflecht wird mithilfe eines Katheters bis zum Gefäßverschluss transportiert, der Arzt kann das Gerinnsel umschließen und aus dem Gehirn ziehen.

Eine effektive Behandlung ist nur für wenige Stunden möglich

Das Problem an der Sache: Diese Behandlungsmöglichkeiten stehen nur in den ersten Stunden zur Verfügung. Ist ein Zeitfenster von etwa sechs Stunden überschritten, bleibt den Ärzten nur, die Symptome und Folgen des Schlaganfalls zu verbessern und einem möglicherweise folgenden vorzubeugen.

„Die Rehabilitation des Patienten beginnt bei uns schon am ersten Tag. Dazu gehört eine spezielle Pflege genauso wie Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie.“ Dabei richten sich die Therapiemöglichkeiten vor allem danach, was den Schlaganfall ausgelöst hat. In den meisten Fällen sind Blutgerinnsel die Ursache, die im Herz entstanden und dann ins Gehirn gewandert sind. Daneben gibt es Blutgerinnsel, die sich infolge von Ablagerungen an den Gefäßwänden gebildet haben, lakunäre Hirninfarkte, die durch Verstopfung kleinster Hirnarterien ausgelöst werden und Schlaganfälle, die zum Beispiel aus Gefäßentzündungen oder Blutgerinnungsstörungen heraus entstehen.

Schlaganfall oder nicht? Im Zweifel immer die 112 rufen!

Der Rat des Experten ist ganz klar: „Rufen Sie bei Verdacht auf einen Schlaganfall immer den Rettungsdienst!“ Um was es sich im Einzelfall genau handelt, sollte schnellstmöglich geklärt werden. Und das muss nicht immer ein Schlaganfall sein. Ein solcher kann auch Vorboten vorausschicken, eine so genannte Transitorisch-ischämische Attacke (TIA). Die Symptome sind dieselben wie bei einem Schlaganfall, verschwinden jedoch innerhalb von 24 Stunden von alleine wieder und hinterlassen keine Schäden.

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Festlegen will sich Dr. Dietrich in diesem Punkt nicht, jedoch wäre eine TIA eine Möglichkeit, weshalb die Ärzte Matthias Sammer, dem Sportvorstand des FC Bayern, eine Pause verordnet haben. Denn die Chance, nach einer solchen Attacke innerhalb der nächsten Woche einen Schlaganfall zu bekommen, liegt, abhängig von den Risikofaktoren, bei bis zu 10 Prozent, für den Zeitraum von drei Monaten sogar bei 20 Prozent.

Sammer: “Es gibt keine Einschränkungen für mich”

„Je nachdem, was der Auslöser ist, gibt es hierfür ganz individuelle Therapien, die ambulant oder stationär durchgeführt werden können“, so Dr. Dietrich. Matthias Sammer jedenfalls ist zuversichtlich und hat auch ein entsprechendes Statement abgegeben: „Es gibt keine Einschränkungen für mich und die Ärzte haben versichert, dass ich vollständig auskuriert und wieder hergestellt werde.“

(Text und Interview: Ann-Catherin Karg / Bilder: Getty Images)

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