Joachim Gauck: Ein Leben für die Freiheit

In der DDR lebte er im Bewusstsein: Wir sind die Anständigen. Danach lebte er für die Freiheit. Nun wird Joachim Gauck, was ihm 2010 noch verwehrt blieb: deutsches Staatsoberhaupt.

Schon vor fünf Wochen wurde Joachim Gauck gefragt, ob er erneut als Kandidat für das Bundespräsidentenamt zur Verfügung stehen würde. Der sonst so eloquente frühere Pfarrer schwieg dazu bei einem Bürgertag in der früheren Stasi-Zentrale. 

Nun ist alles anders: Gauck zeigte sich am Sonntagabend "verwirrt und überwältigt" über den Anruf von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ob er für das Amt des Bundespräsidenten nach dem Rücktritt von Christian Wulff kandidieren würde. Der habe ihn noch im Auto erwischt. "Ich bin nicht mal gewaschen." Er freue sich über das Vertrauen. 

Auch am Sonntagabend sprach der 72-Jährige bei einer Pressekonferenz gleich sein großes Thema an: Freiheit. Es sei wichtig, dass Menschen lernen, dass sie in einem guten Land leben. Die Freiheit, für etwas zu leben, sei Verantwortung. 

Schon 2010, als Gauck gegen Christian Wulff erst im dritten Wahlgang scheiterte, wurde er als "Präsident der Herzen" gefeiert. Auch jetzt zeigen Umfragen, dass der populäre frühere Pastor und DDR-Bürgerrechtler viel Sympathie genießt. 

Gaucks Name ist mit der Gründung der Stasi-Unterlagen-Behörde und der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eng verknüpft. Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernahm er die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis 2000, als er das Amt an Marianne Birthler abgab, avancierte Gauck zum bekanntesten Gesicht der früheren DDR-Demokratiebewegung. Verschiedene Angebote zur Übernahme von politischen Ämtern lehnte der Parteilose danach ab. 

Gauck kam 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater verschwand für lange Zeit in einem Lager in Sibirien, als Gauck sechs Jahre alt war. Als evangelischer Pastor erlebte er später, wie das DDR-Regime brutal gegen Kirchenmitglieder vorging. Als sich 1989 in der Bevölkerung der Widerstand gegen die Führung formierte, führte Gauck als Sprecher des Neuen Forums in Rostock Demonstrationen an. Später, nach dem Mauerfall, trennte er sich von seiner Frau und fand eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen. 

Im Herbst 2009 erschien sein biografisches Buch "Winter im Sommer - Frühling im Herbst". Gauck stellt es noch immer bei Lesungen vor. Die Botschaften des früheren DDR-Oppositionellen sind nach wie vor aktuell. Er habe zwar zur Kenntnis nehmen müssen, dass die erkämpfte Freiheit Jahre nach der Wiedervereinigung im Alltag einen Teil ihres Glanzes verloren habe, meint Gauck. Doch für ihn werde die Freiheit immer leuchten. 

Gauck spricht gelegentlich auch in der dritten Person von sich. Er ruft Beifall hervor, er erntet auch Buhrufe - wie jüngst bei einer Diskussion zum Umgang mit früheren Stasi-Leuten. Gauck ist für Verhältnismäßigkeit und dass derjenige, der dem Rechtsstaat dient, eine Chance haben sollte. 

Der Fall der Mauer 1989 war die entscheidende Wende in seinem Leben. Gauck sagt, er habe in der DDR in dem Bewusstsein gelebt: Wir sind die Anständigen. Er studierte Theologie und baute in Rostock in einem Neubaugebiet eine evangelische Kirchengemeinde auf, die junge Leute anzog. Werbeversuche der Stasi wehrten sie gemeinsam ab. 

Er habe sich ausgekannt im Osten und sei auch deshalb nach dem Mauerbau 1961 geblieben, schrieb Gauck in seinen Erinnerungen. Und doch musste er persönlich bittere Momente hinnehmen: Drei seiner vier Kinder reisten in den Westen aus, ebenso Bekannte und Freunde. Was würde denn sein, wenn die Aufrechten immer weiter geschwächt würden, fragte er sich damals. Er sei traurig gewesen, dass seine Kinder den Aufbruch, die Proteste, den Zusammenhalt in der Kirche, den wachsenden Mut der Menschen vor dem Mauerfall nur aus der Ferne erleben konnten. 

Er selbst sei von der Stasi unter dem operativen Vorgang "Larve" beobachtet worden, so Gauck. Er habe nicht mal geahnt, welche Erblast der Diktatur der Demokratiebewegung in die Hände gefallen sei, sagt er im Rückblick auf die Anfänge der nach ihm benannten Behörde. Er sieht sich aber natürlich auch nicht als der Großinquisitor, der zu sein ihm manche Linke vorwerfen. 

Schon 2010 hatte SPD-Chef Siegmar Gabriel bei der Vorstellung von Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gesagt: "Gauck bringt ein Leben mit in seine Kandidatur", Wulff dagegen "bringt eine politische Laufbahn mit". 

dpa