Köln-Trainer Baumgart erklärt in ARD-Reportage, was Ostdeutsche an West-Medien so nervt

"Ich bin stolz darauf da geboren zu sein", sagt Steffen Baumgart, Cheftrainer beim 1. FC Köln, im Gespräch mit Jessy Wellmer über seine ostdeutsche Heimat. (Bild: beckground tv)
"Ich bin stolz darauf da geboren zu sein", sagt Steffen Baumgart, Cheftrainer beim 1. FC Köln, im Gespräch mit Jessy Wellmer über seine ostdeutsche Heimat. (Bild: beckground tv)

Wo liegen die Gründe für die wachsende Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland? Was muss geschehen, um die Gemüter zu beruhigen? ARD-Reporterin Jessy Wellmer begab sich zum zweiten Mal binnen eines Jahres auf Spurensuche in ihrer Heimat.

Mehr als 30 Jahre sind seit der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland vergangen. Die DDR kennen viele nur noch aus den Geschichtsbüchern. Dennoch sorgt das Verhältnis der ehemals getrennten Landesteile derzeit für mehr Diskussionen denn je.

Jessy Wellmer, die 1979 im Mecklenburg-vorpommerschen Güstrow geboren wurde, sucht nach Ursachen und Gründen: "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" (Regie und Buch: Dominic Egizzi) ist bereits iht zweiter Film zum Thema. "Die Story im Ersten: Russland, Putin und wir Ostdeutsche" beschäftigte sich im Oktober 2022 mit der Frage, warum sich viele Menschen im Osten auch nach Kriegsausbruch in der Ukraine Russland immer noch so nahe fühlen.

Auch Pierre Bartholomäus aus Zeuthen bei Berlin hat diese Reportage gesehen. In einem Zuschauerbrief an Jessy Wellmer machte er damals seinem Ärger Luft: "Diese sozialen Komponenten, die sind da [in der ersten Doku] ja gar nicht angesprochen worden", kritisiert er nun in der Nachfolge-Reportage: Er ist 1983 in der DDR geboren und im vereinten Deutschland aufgewachsen. Heute arbeitet er als Fluggerätemechaniker bei der Lufthansa Technik.

"Er ist zufrieden mit seinem Job", heißt es in der Reportage, die vorab in der ARD-Mediathek zu sehen ist: "Aber eines nervt ihn: Er muss jede Woche zweieinhalb Stunden länger arbeiten als seine Westkollegen bei gleichem Gehalt." Pierre klagt: "Es nervt die Leute, ständig Mitarbeiter zweiter Klasse zu sein. Wir diskutieren hier permanent über die Gleichberechtigung von Mann und Frau und schaffen es aber nicht, hier Ost und West irgendwie mal anzugleichen."

Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsen (CDU) will auch mit politikverdrossenen Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, wie er im Interview mit Jessy Wellmer für ihre Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" erklärt.  (Bild: beckground tv)
Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsen (CDU) will auch mit politikverdrossenen Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, wie er im Interview mit Jessy Wellmer für ihre Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" erklärt. (Bild: beckground tv)

Umstrittener Autor verteidigt "Auge um Auge"-Prinzip

Und Pierre Bartholomäus ist nicht allein: "Im Schnitt verdienen Beschäftigte im Osten rund 14 Prozent weniger als im Westen", bilanziert Jessy Wellmer. Als "Bürger zweiter Klasse" fühlen sich, laut einer für die Reportage in Auftrag gegebenen Umfrage, 43 Prozent der Ostdeutschen.

Vom Ärger vieler Ostdeutscher profitiert nicht zuletzt Dirk Oschmann: Im Februar veröffentlichte der Literaturwissenschaftler das Sachbuch "Der Osten, eine westdeutsche Erfindung": Es sei "eine polemische Abrechnung mit dem Westen", erklärt Wellmer in der Doku: "Es wurde über 100.000 Mal verkauft und steht seit über einem halben Jahr auf der Bestsellerliste."

Bei einem Besuch an der Universität in Leipzig präsentiert Oschmann seine nicht unumstrittene Meinung: Die Diffamierung des Ostens sei "ein Skandal, der seit 30 Jahren läuft, auf den ich mit einem skandalisierenden Buch geantwortet habe". Vorwürfe, sein Buch würde die Fronten verhärten, statt das demokratische Miteinander zu fördern, lässt er nicht gelten: "Das macht doch der Westen seit 30 Jahren. Der Westen produziert Ausschlussmechanismen ohne Ende."

Es gehe also um eine Abrechnung im Sinne von "Wie du mir so ich dir?", fragt Wellmer kritisch. "Ja, natürlich", antwortet Oschmann überraschend direkt: "Das sage ich ja auch. Ich sage Auge um Auge."

Jessy Wellmer wurde in Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern, geboren. Für "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" bereist sie bereits zum zweiten Mal ihre ostdeutsche Heimat. (Bild: NDR/rbb/beckground TV)
Jessy Wellmer wurde in Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern, geboren. Für "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" bereist sie bereits zum zweiten Mal ihre ostdeutsche Heimat. (Bild: NDR/rbb/beckground TV)

Heimatstolz und die Verantwortung der Medien

In besonderer Weise mit ihrer Region verbunden fühlen sich auch viele Ostdeutsche der jüngeren Generation. Das zeigt das Ergebnis einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung aus dem Jahr 2019: 68 Prozent der Ostdeutschen, die nach dem Mauerfall geboren wurden, fühlten sich demnach dem Osten besonders verbunden.

Unter ihnen auch die Mitglieder der Chemnitzer Band Blond: "Alle werden immer dafür gebasht, dass sie im Osten leben", sagt Sängerin Nina Kummer: "Wir haben uns nie darüber Gedanken gemacht, bis wir Interviews gegeben haben und ständig dazu befragt wurden." Heute engagiert sie sich gemeinsam mit ihrer Schwester Lotta und ihrem gemeinsamen Freund Johann Bonitz für die Heimat: Statt wegzuziehen, wollen die drei lieber die Probleme der Stadt, wie etwa den stetig wachsenden Anteil Rechtsextremer bekämpfen.

Ähnliche Ansichten vertritt Steffen Baumgart: Seit 2021 ist der gebürtige Rostocker Cheftrainer beim 1. FC Köln. Obwohl er selbst mit Vorurteilen zu kämpfen hatte, ist er stolz auf seine Herkunft. Das Problem sei ohnehin ein anderes: "dass der Westen mir erklärt, wie ich früher gelebt habe und wie das alles bei uns war". Überhaupt scheint es der Umgang (westdeutscher) Medien mit dem Osten zu sein, der die Gräben mancherorts vertieft und - so legt es der Film nahe - letztlich vielleicht auch die steigenden Umfragewerte für die AfD mit begünstigt.

Pierre Bartholomäus macht seinem Ärger Luft: Als Fluggerätemechaniker im Osten muss er bei gleichem Lohn mehr arbeiten als Kollegen im Westen. (Bild: NDR/rbb/beckground TV)
Pierre Bartholomäus macht seinem Ärger Luft: Als Fluggerätemechaniker im Osten muss er bei gleichem Lohn mehr arbeiten als Kollegen im Westen. (Bild: NDR/rbb/beckground TV)

Michael Kretschmer beklagt "Ohnmachtserfahrungen"

Ein Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hinterfragt Wellmer auch diese Entwicklung in der Reportage. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) glaubt fest daran, dass er auch mit wütenden, politikverdrossenen Bürgern ins Gespräch kommen muss. Den Hauptgrund für die steigenden Umfragewerte für die AfD sieht er vor allem in den "Ohnmachtserfahrungen" der vergangenen Jahre, die die Menschen belasten: von der Hartz-IV-Reform über die Coronamaßnahmen bis hin zum Umgang mit dem Krieg in der Ukraine.

Viele Ostdeutsche, so Wellmers Reportagen-Fazit, fühlen sich ungehört von der Bundesregierung. Manche von ihnen würden aus Protest die AfD wählen, andere gäben ungültige Stimmen ab. Kretschmer hält dieses Vorgehen "für richtig gefährlich".

Nina Kummer (links), Johann Bonitz und Lotta Kummer (rechts) von der Chemnitzer Band Blond engagieren sich gegen Rechtsradikale in ihrer Heimat. Jessy Wellmer trifft sie zum Gespräch. (Bild: rbb/beckground tv)
Nina Kummer (links), Johann Bonitz und Lotta Kummer (rechts) von der Chemnitzer Band Blond engagieren sich gegen Rechtsradikale in ihrer Heimat. Jessy Wellmer trifft sie zum Gespräch. (Bild: rbb/beckground tv)

Jessy Wellmer: "Der Osten ist Heimat, Hoffnung, aber auch eine Aufgabe"

Und so kommt Jessy Wellmer nach dem 45-minütigen Film zu dem Schluss, "dass die Vielfalt im Osten größer ist, als viele denken". Frust und Demokratieskepsis bereiteten ihr Sorge, gibt die 43-Jährige zu Protokoll. Gleichzeitig spüre sie aber auch Gelassenheit, Leichtigkeit und Optimismus: "Der Osten ist Heimat, Hoffnung, aber auch eine Aufgabe. Wir sollten sie annehmen!"

Die Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" ist in der ARD Mediathek verfügbar und am Montagabend um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen. Im Anschluss an die Ausstrahlung des Films diskutiert Louis Klamroth bei "Hart aber fair" zum Thema "Vorurteile West und Dauerfrust Ost: Kaum Chance für deutsche Einigkeit?". Seine Gäste sind Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, B'90/Grüne, der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla, "Zeit"-Korrspondentin Anne Hähnig, CDU-Landespolitiker Mario Voigt sowie "Spiegel"-Journalistin Ann-Katrin Müller.