"Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun?" - Was Deutsche Kriegsreporter in der Ukraine erlebten

Drei Kriegsreporter des Senders WELT und der Russland-Korrespondent des privaten Nachrichtensenders fassen im knapp 50 minütigen Film "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" ihre Erfahrungen der letzten zwölf Kriegsmonate - durchaus auf persönliche Weise - zusammen. (Bild: WeltN24 GmbH)
Drei Kriegsreporter des Senders WELT und der Russland-Korrespondent des privaten Nachrichtensenders fassen im knapp 50 minütigen Film "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" ihre Erfahrungen der letzten zwölf Kriegsmonate - durchaus auf persönliche Weise - zusammen. (Bild: WeltN24 GmbH)

Drei Kriegsreporter und der Russland-Korrespondent des Nachrichtensenders WELT fassen im Film "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" (Freitag, 24. Februar, 20.05 Uhr, WELT) ihre Erfahrungen der letzten zwölf Monate zusammen. Ein persönlicher Film aus der Hölle des Krieges.

Steffen Schwarzkopf, Tatjana Ohm und Max Hermes berichten seit zwölf Monaten für den privaten Nachrichtensender WELT aus der Ukraine. Sie und ihr Kollege, Russland-Korrespondent Christoph Wanner, haben in einem sehr persönlichen Jahresrückblick ihre Stationen eines Krieges zusammengefasst, den sie selbst wenige Tage vor dessen Beginn noch für unmöglich hielten. Es ist ein Krieg, der auch ihren Blick aufs Leben verändert haben dürfte.

Die Reportage mit dem Titel "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" zeigt vor allem das Leben an der Front: Es feuert, knallt und dampft über angekokelten Häuserzeilen und eigentlich friedlich wirkenden Feldböschungen. Doch die sichere Distanz zum Krieg via Bildschirm täuscht. Der junge Reporter Max Hermes erlebte, wie ein französischer Kollege und Kameramann von Granatsplittern getötet wurde. Der tote Journalist fuhr in einem Hilfskonvoi mit, in dem Hermes selbst hätte sitzen sollen.

Der Film vermittelt eine Ahnung davon, wie Menschen mit dem Krieg leben lernen - obwohl die Gefahr nicht geringer wird. Es geht um immense Opferzahlen, um Wehrhaftigkeit und einen unmenschlichen Wahnsinn, den man in Deutschland - zumindest für Europa - überwunden glaubte. Neben der Reportage "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" um 20.05 Uhr zeigt der Sender WELT am Nachmittag, um 15 Uhr, eine Sonderausgabe von "Welt Talk". TV-Chefredakteur Jan Philipp Burgard begrüßt Anton Hofreiter (B90/Die Grünen), Roderich Kiesewetter (CDU), Sarah Pagung (Russland-Expertin) und Sahra Wagenknecht (Die Linke).

Welt-Chefreporter Steffen Schwarzkopf hat im vergangenen Jahr viel Zeit an der russisch-ukraninischen Front verbracht. Im Film "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" fassen er und drei seiner Kollegen ihre Erfahrungen zusammen.
 (Bild: WeltN24 GmbH)
Welt-Chefreporter Steffen Schwarzkopf hat im vergangenen Jahr viel Zeit an der russisch-ukraninischen Front verbracht. Im Film "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" fassen er und drei seiner Kollegen ihre Erfahrungen zusammen. (Bild: WeltN24 GmbH)

"Putin hatte offenbar andere Informationen, wie stark die russische Armee ist"

Doch zurück zum Film: Steffen Schwarzkopf beginnt seine Reportage an einem schmucklosen, aber für ihn besonderen Ort. Es ist ein matschiger Hof im Nirgendwo, hinter ihm eine Art Baracke. Von hier aus sind es in die eine Richtung 30 Kilometer nach Bachmut, zehn Kilometer nach Kramatorsk in die andere. Raketeneinschläge schrecken Schwarzkopf und seine Kollegen am 24. Februar 2022 an dieser Stelle morgens um vier Uhr aus dem Schlaf. "Zwölf Regionen wurden zu Kriegsbeginn zeitgleich beschossen", erinnert sich der 49-jährige Familienvater an den Beginn des Krieges. Er und seine Kollegen gingen damals von einem Blitzkrieg im Sinne Russlands aus.

Die Ukraine wurde von mehreren Seiten angegriffen. Bald standen russische Truppen vor den Toren Kiews. Aus der ukrainischen Hauptstadt mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern rollte eine Flüchtlingswelle in Richtung Westen. Väter setzen ihre Familie in Züge, sofern sie einen Platz fanden. Sie selbst meldeten sich beim Militär, um ihr Land zu verteidigen. "Die Ukrainerinnen und Ukrainer waren schon verängstigt", erinnert sich Tatjana Ohm an die Stimmung im Land. "Aber nicht so verängstigt, dass sie nicht mehr wehrhaft gewesen wären. Diese absolute Entschlossenheit, sich zu wehren und die russische Aggression zurückzuschlagen, sich ihr Land zurückzuholen - das war vom ersten Mal, als ich ins Land kam, bis heute durchgängig."

Februar und März 2022 war die Zeit der Verteidigung der Hauptstadt. Ende März mussten die russischen Soldaten unter schweren Verlusten abziehen. Dabei erwies sich die russische Kriegslogistik zur Überraschung vieler Beobachter als nicht allzu ausgreift. Die Kreml-Truppen bewegten sich in langen Konvois, die man leicht angreifen konnte. Auch mit Widerstand und Kampfmoral der Ukrainer hatte man offenbar nicht gerechnet - und nicht mit der eigenen Schwäche: "Putin hatte offenbar andere Informationen, wie stark die russische Armee ist", sagt WELT-Reporter Max Hermes im Film.

Dann der erste Schock dieses Krieges über Gräueltaten, die man sich so nicht vorstellen konnte. Als sich die russischen Truppen aus den Vororten Kiews zurückziehen müssen, werden in Butscha und Umgebung Kriegsverbrechen offenbar. Steffen Schwarzkopf erinnert sich: "Hier in den Vororten wurden damals, Anfang April, fast 1.200 ermordete Zivilisten gefunden. Wir Reporter, eigentlich die ganze Welt, wir fragten uns: Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun?"

Auch Tatjana Ohm, WELT-Chefmoderatorin, berichtet aus der Ukraine. Zwischendurch schlug ihr die Enttäuschung der ukrainischen Bevölkerung über ausbleibende deutsche Waffenlieferungen entgegen. "Es war schwierig, damit umzugehen", sagt sie. (Bild: WeltN24 GmbH)
Auch Tatjana Ohm, WELT-Chefmoderatorin, berichtet aus der Ukraine. Zwischendurch schlug ihr die Enttäuschung der ukrainischen Bevölkerung über ausbleibende deutsche Waffenlieferungen entgegen. "Es war schwierig, damit umzugehen", sagt sie. (Bild: WeltN24 GmbH)

"Es kann damit enden, dass man einen Tag nicht überleben wird"

Seinen bislang schwierigsten Tag dieses Krieges erlebt der junge Reporter Max Hermes, geboren 1989, am 30. Mai 2022. Er erinnert sich, für einen Bericht aus dem Frontgebiet mit einem Hilfskonvoi verabredet gewesen zu sein. Geplant war, mit einem Fahrzeug mitzufahren, doch man musste den Dreh beenden, als ein französischer Kollege ums Leben kam, getroffen von Einschlagsplittern in just jenem Fahrzeug, mit dem auch das deutsche TV-Team fahren sollte. "Letztendlich kann ein Moment darüber entscheiden, ob man lebt oder stirbt", zieht Hermes sein Fazit aus dem schockierenden Erlebnis. "Es ist ein Krieg, man geht ein Risiko ein. Es kann damit enden, dass man einen Tag nicht überleben wird."

Als westliche Waffenlieferungen, anfangs vor allem aus Großbritannien und den USA, den Krieg während des Sommers 2022 zugunsten der Ukraine günstig beeinflussen, werden die deutschen Reporter im Kriegsgebiet unter Tränen darauf angesprochen, dass "euer Scholz" nicht hilft. Tatjana Ohm, die von solchen Situationen erzählt, erinnert sich. "Es war schwierig, damit umzugehen. Aber das Ganze hat sich gewandelt zu sehr viel Dankbarkeit."

Fast spürbar wird der Krieg in jenen Berichten, in denen die Reporter mit kleinen, mobilen Artillerie-Einheiten nahe der Front unterwegs waren. Eigentlich wirkt die ländlich verschlafene Szenerie hier fast idyllisch. Doch dann geht der Krieg weiter. Vielleicht drei Schuss werden aus einer altertümlich wirkenden Haubitze auf russische Stellungen ein paar Kilometer entfernt abgefeuert. Schnell weg, bevor man geortet wird. So sieht der Abnutzungskampf an der Front aus: alte Geschütze hinter Büschen versteckt, ein paar Soldaten wenige Kilometer von der Front entfernt. Feuern und dann das Weite, eine neue Position suchen. Danach geht das Spiel von Neuem los.

WELT-Reporter Max Hermes erlebte in der Ukraine aus der Nähe, wie ein Kolleg - der Kameramann eines französischen Teams - während eines Granatangriffes starb. (Bild: WeltN24 GmbH)
WELT-Reporter Max Hermes erlebte in der Ukraine aus der Nähe, wie ein Kolleg - der Kameramann eines französischen Teams - während eines Granatangriffes starb. (Bild: WeltN24 GmbH)

"Der Kampfeswille ist auf beiden Seiten sehr groß - und der Verhandlungswille gering"

Auch die schwierige Frage nach Opferzahlen wird in dem sehenswerten Film thematisiert. Die Zahl russischer Toter liegt im Herbst 2022 bei 65.000 Menschen, nach ukrainischen Angaben. Russland meldete damals: knapp 6.000 tote Soldaten. Das war im September 2022, seitdem gab es keine neuen Zahlen mehr. Opferzahlen sind in den russischen Staatsmedien kein Thema. "Man kämpft hier gegen den kollektiven Westen, sagen die Russen. Da geht es um das Überleben der russischen Föderation", fasst Russland-Experte Wanner die Sichtweise des Angreifers zusammen. Tatjana Ohm spekuliert über die ukrainischen Verluste: "Im Sommer gab es Zahlen, die gingen von 10.000 bis 12.000. Das ist schwierig nachzuprüfen. Man hält sich - nachvollziehbar - aus Gründen einer möglichen Demoralisierung zurück. Aber wenn man durchs Land fährt, wenn man an den Friedhöfen vorbeifährt, dann bekommt man schon einen Eindruck ..."

Bis zum November 2022, als die russische Mobilmachung eingesetzt hat, wurden 300.000 Reservisten eingezogen und ausgebildet. Das große Sterben hat nun offenbar erst begonnen. Christoph Wanner dazu: "Ich denke schon, dass sich die Stimmung in der russischen Bevölkerung verändert hat. Das Gros unterstützt immer noch Putin und die sogenannte Militär-Spezialoperation, also den Krieg in der Ukraine, aber mit der Teilmobilmachung ist der Krieg eben auch in der Bevölkerung angekommen. Die Familien sind jetzt ganz anders in Mitleidenschaft gezogen. Die sind jetzt immer stärker auch gegen das, was da in der Ukraine passiert."

Doch vorerst wird der Krieg mitten in Europa immer hässlicher. Spätestens seit die Ukraine auch Stellungen in Russland hinter den Frontlinien angreift, um Nachschub und seine Routen abzuschneiden, so heißt es der Film, wird verstärkt auch die Infrastruktur der Ukraine angegriffen. Drohnen aus meist iranischer Produktion feuern auf Umspannwerke, Wohngebäude, Schulen, Spielplätze. Brutale Raketenangriffe treffen Ziele wie zum Beispiel eine Autoschlange von Zivilfahrzeugen an einem Checkpoint zu den ehemals besetzten Gebieten, die nun zurückerobert wurden. Städte wie das umkämpfte Bachmut sind mittlerweile zu großen Teilen zerstört.

"Ab einem bestimmten Punkt geht es nicht mehr nur um das Strategische, sondern um das Symbolhafte", sagt Tatjana Ohms über die Logik eines verbitterten Krieges.

Und wie lautet die Perspektive? Eigentlich gibt es kaum eine, glauben die deutschen Kriegsreporter. Das Minimalziel Putins, so erklären sie, dürfte lauten: Die annektierten Gebiete müssen in die russische Föderation integriert werden. Die Ukrainer wollen hingegen sämtliche Gebiete inklusive der 2014 annektierten Krim zurückerobern. "Der Kampfeswille ist auf beiden Seiten sehr groß - und der Verhandlungswille gering", zieht Reporter Max Hermes nach zwölf Monaten Krieg ein bitteres Fazit.

Christoph Wanner ist Russland-Korrespondent des TV-Senders WELT. "Das Gros unterstützt immer noch Putin und die sogenannte Militär-Spezialoperation", sagt er. "Aber mit der Teilmobilmachung ist der Krieg eben auch in der Bevölkerung angekommen. Die Familien sind jetzt ganz anders in Mitleidenschaft gezogen." (Bild: WeltN24 GmbH)
Christoph Wanner ist Russland-Korrespondent des TV-Senders WELT. "Das Gros unterstützt immer noch Putin und die sogenannte Militär-Spezialoperation", sagt er. "Aber mit der Teilmobilmachung ist der Krieg eben auch in der Bevölkerung angekommen. Die Familien sind jetzt ganz anders in Mitleidenschaft gezogen." (Bild: WeltN24 GmbH)