Kairo: Ein Highway 50 Zentimeter vor dem Fenster

Das ist schon eine abenteuerliche Konstruktion, die sich die Verkehrsplaner in Kairo da ausgedacht haben. Eine Autobahnbrücke führt mitten durch ein belebtes Viertel und kommt den Wohnhäusern dabei unfassbar nah.

Kairo ist berüchtigt für seine verstopften Straßen. Die neue Brücke soll nun große Verkehrsachsen verbinden. (Symbolbild: Getty)
Kairo ist berüchtigt für seine verstopften Straßen. Die neue Brücke soll nun große Verkehrsachsen verbinden. (Symbolbild: Getty)

Angenommen man hat eine schöne lichtdurchflutete Wohnung im Al-Haram Viertel von Kairo, etwas über dem Straßenlärm und den Abgasen, mit ein wenig Aussicht. Und dann schaut man eines Tages aus dem Fenster und sieht, dass da plötzlich eine riesige Brücke ist. Mit mindestens vier Spuren und zwar etwa 50 Zentimeter vor dem eigenen Fenster. Genau das geschieht gerade auf der Giza-Achse, zu der auch die Nasr el-Din Straße gehört. Insgesamt 12 Kilometer lang und an manchen Stellen bis zu 65 Meter breit soll die neue Brücke werden. Die Kosten für das Mega-Projekt belaufen sich auf etwa 5 Milliarden Ägyptische Pfund (ca. 300 Millionen Euro).

Neue Brücke geht 50 cm am Balkon vorbei

In der ägyptische Metropolregion wohnen über 20 Millionen Menschen, die Straßen sind notorisch überfüllt und verstopft. Da braucht es öfter mal kreative Verkehrsregelungen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Mahmoud Nassar, Chef der Zentralen Baubehörde, hält die Brücke deshalb für “sehr bedeutend und nützlich” für die Nachbarschaft. Das könnten einige der Anwohner allerdings anders sehen. Besonders die, die nun plötzlich ein Betonmonster direkt vor dem eigenen Balkon stehen haben. Das Argument des Bauamtes ist allerdings umgekehrt.

Sprecher behaupten, dass eigentlich vier der Gebäude illegal errichtet worden seien und deshalb an nicht genehmigter Stelle ständen. Also seien inzwischen Anordnungen erlassen worden, die Wohnhäuser abzureißen. An der auf Kante genähten Brücke hingegen sei nichts auszusetzen, heißt es von offizieller Seite. Das sehen die Besitzer und Bewohner besagter Gebäude naturgemäß ein wenig anders.

Fakten durch Abreißen und Neubauten

Zwar hüten sie sich davor, das “nationale Projekt” an sich zu kritisieren, verwehren sich aber gegen die Vorwürfe der Illegalität und fordern Entschädigungen für die Bewohner der unteren Stockwerke. Währenddessen aber frisst sich die Brücke immer weiter durch das belebte Viertel. In den Sozialen Medien finden sich inzwischen zahlreiche Aufnahmen von den Bauarbeiten an der Teraet Al-Zomor Brücke.

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Nun ist es in Kairo ein gängiges Manöver, durch Abreißen und Neubauen Fakten zu schaffen, die sich nicht mehr umkehren lassen. So wurde schon so manch altes belebtes Viertel dem Erdboden gleich gemacht, ehe es noch zu einem Verfahren über die Beschwerden der Bewohner oder Denkmalschützer kommen konnte. Für die Bewohner der Gebäude, die nun im Zuge des Brückenbaus abgerissen werden sollen, habe der Staat bereits etwa 14 Millionen Euro zur Entschädigung bereitgestellt sagte Nassar. Gefragt haben wird sie allerdings vorher kaum jemand.

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Nachdem jahrelang über die Baupläne der Brücke verhandelt worden war, begannen die Bauarbeiten plötzlich und überhastet. Dass die Regierung das bereits begonnene Großprojekt noch einmal überdenken wird, ist kaum vorstellbar. Solche Prestigeprojekte, wie auch der Neubau der neuen administrativen Hauptstadt östlich von Kairo, sind oft mit politischen Interessen und Profiteuren verbunden. An Großbaustellen verdienen zahlreiche Politiker und auch oft das ägyptische Militär mit, das Anteilseigner an großen Baufirmen ist.

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