Wo Kinderbetreuung in Europa am teuersten ist - Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland
Sarah Ronan musste ihren Job aufgeben, weil sie sich die Kinderbetreuung nicht mehr leisten konnte.
Das ist kein seltenes Beispiel, sondern eine Geschichte, die in Großbritannien für viele Mütter zum Alltag gehört. Kinderbetreuung ist so teuer wie kaum irgendwo sonst in Europa. Frauen werden wegen der Kosten davon abgehalten, nach der Geburt eines Kindes wieder ins Berufsleben einzusteigen.
"Für mich und für viele Eltern ist es so: wie ein Puzzle muss die Kinderbetreuung zusammengesetzt werden, um alles unter einen Hut zu kriegen. Mein Sohn war zwei Tage in der Woche bei den einen Großeltern und einen Tag in der Woche bei den anderen. Er war nur zwei Tage pro Woche in der Kinderkrippe. Und dann änderte sich die Situation mit den Großeltern wegen einer Erkrankung", berichtet Sarah Ronan, Projektleiterin für frühkindliche Bildung und Kinderbetreuung bei der UK Women's Budget Group.
"So war ich gezwungen, ihn fünf Tage pro Woche in eine Kita zu schicken. Die Kosten dafür waren £1200 (€1356) pro Monat. Nach Abzug der Steuern verdiente ich etwa 1700 Pfund (1921 Euro) im Monat", erzählt sie Euronews.
Die jüngste Umfrage der Wohltätigkeitsorganisation Pregnant The Screwed zeigt, dass die Kinderbetreuung für britische Familien bis zu 75 % des Einkommens der Eltern verschlingen kann.
Im Jahr 2022 wurde das Vereinigte Königreich zum teuersten Land für Kinderbetreuung in der gesamten entwickelten Welt.Tausende protestierten in mehreren Städten im ganzen Land bei der Aktion "March of the Mummies".
"Bislang hat die Regierung nichts gegen die Inflation in Großbritannien unternommen. Es sieht so aus, als würden die Kinderbetreuungskosten im April um mindestens weitere 10 Prozent steigen", sagt Joeli Brearley, die Gründerin von Pregnant Then Screwed.
"Im Durchschnitt kostet ein Kinderbetreuungsplatz 14.000 Pfund (etwa 15.700 Euro) pro Jahr, und wir gehen davon aus, dass diese Kosten um 1.000 Pfund (1.120 Euro) pro Jahr steigen werden", sagt sie gegenüber Euronews Next.
Einer von drei Elternteilen, die an der Umfrage teilnahmen, erklärte, dass sie sich bereits in irgendeiner Form verschuldet haben, um ihre Kinderbetreuung zu finanzieren.
Mitten in der anhaltenden Lebenshaltungskostenkrise, die bereits Grundbedürfnisse wie Lebensmittel in Großbritannien für viele unerschwinglich gemacht hat, verschärfen die hohen Kinderbetreuungskosten die sozioökonomischen Ungleichheiten und treffen Frauen unverhältnismäßig stark, so dass sie gezwungen sind, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder ganz aus dem Berufsleben auszuscheiden.
Nach Angaben des Centre for Progressive Policy arbeiten schätzungsweise 1,7 Millionen Frauen im Vereinigten Königreich aufgrund der unbezahlbaren Kinderbetreuung weniger Stunden als sie es sonst tun würden.
Wie teuer ist Kinderbetreuung in Europa?
In den EU-Ländern besuchen bis zu 90 Prozent der Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren und ein Drittel der Kinder unter drei Jahren Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Kosten für die Kinderbetreuung variieren jedoch stark.
In der Grafik sehen Sie links wieviel Prozent des Einkommens Alleinerziehende mit niedrigem Einkommen für die Kinderbetreuung ausgeben. Rechts sehen Sie den Anteil in Prozent für doppelt verdienende Eltern mit mittlerem Einkommen.
Die Kinderbetreuungskosten reichen von weniger als 5 % in Deutschland und Österreich bis zu fast 52 % des weiblichen Medianeinkommens im Vereinigten Königreich, wie aus Daten der OECD hervorgeht.
In den meisten europäischen Ländern können Eltern von einer hoch subventionierten Kinderbetreuung profitieren, die die finanzielle Belastung der Eltern verringert.
In den Niederlanden beispielsweise, wo der Markt von privaten Anbietern beherrscht wird, können die Kosten bis zu 80 % des Medianeinkommens von Frauen betragen. Nach Abzug des staatlichen Kinderbetreuungsgeldes müssen Eltern mit niedrigem Einkommen in den Niederlanden jedoch nur 5 % der Kosten tragen. Die niederländische Regierung plant sogar ein System, das bis 2025 bis zu 95 Prozent der Kinderbetreuungskosten für alle berufstätigen Eltern abdecken soll.
In Großbritannien ist dies jedoch nicht der Fall, obwohl die Regierung in den letzten fünf Jahren jährlich 4 Milliarden Pfund (4,52 Milliarden Euro) in die Kinderbetreuung investiert hat, und zwar über acht verschiedene Förderprogramme.
"Die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen der Familien", sagt Sarah Ronan von der Women's Budget Group.
Dies könnte zum Teil erklären, warum schätzungsweise eine Million anspruchsberechtigte Familien in Großbritannien ihr Recht auf steuerfreie Kinderbetreuung, für die jährlich 2.000 Pfund (2.260 Euro) gezahlt werden, nicht in Anspruch genommen haben.
"Die Regierung ist sehr gut darin, über diese Leistungen zu reden. Die tatsächliche Verwaltung und die Zugänglichkeit sind katastrophal", sagt Joeli Brearley von Pregnant then Screwed.
Benachteiligte Familien in Großbritannien können den "Universal Credit Childcare" beantragen, der bis zu 85 % der Kinderbetreuungskosten für einkommensschwache Familien mit einem Jahreseinkommen von höchstens 16.000 Pfund (18.080 Euro) übernimmt, allerdings wird das Geld erst im Nachhinein zurückgezahlt.
"Wenn man das Geld zunächst nicht hat, woher soll man es dann nehmen? Es ist ja nicht so, als läge es irgendwo hinter der Couch versteckt", sagt Sarah Ronan.
"Und so kommt es, dass nur 13 Prozent der Menschen das Angebot der Unterstützung annehmen, und von diesen 13 Prozent sind 81 Prozent alleinerziehende Mütter."
Das deutsche Kita-Netz hat immer noch seine Schwachstellen
Am anderen Ende des Spektrums stehen Länder wie Deutschland, wo die durchschnittlichen jährlichen Kosten für die Kinderbetreuung nur 1.310 Euro betragen.
Seit 2013 haben Kinder, die älter als 12 Monate sind, einen gesetzlichen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte, die von der jeweiligen Gemeinde betrieben wird. Die Kitas oder Kindergärten verlangen in der Regel 70 bis 150 Euro pro Monat, aber die Kosten werden vom Staat bezuschusst.
Clara Gruitrooy, eine Geschäftsfrau und Mutter von zwei Kindern, sagt, sie habe Glück gehabt, weil sie vorher in Hamburg gelebt habe, jetzt aber in Berlin wohne, wo die Kinderbetreuung kostenlos sei.
Gruitrooy leitet den Berliner Zweig von Working Moms, einer deutschen Vereinigung, in der sich gleichgesinnte Mütter in Führungspositionen gegenseitig bei der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf unterstützen können.
"Wenn ich mir keine Kinderbetreuung hätte leisten können, wüsste ich nicht, wie ich es dorthin geschafft hätte, wo ich heute bin", sagt sie Euronews Next.
Obwohl das Kinderbetreuungsmodell in Deutschland für Länder wie Großbritannien beneidenswert ist, ist es bei weitem nicht perfekt.
Vielerorts in Deutschland sind die Kitas unterbesetzt und es gibt lange Wartelisten, vor allem für Kinder unter drei Jahren. In einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts aus dem Jahr 2020 gaben 49 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren an, dass sie eine Kita benötigen, aber nur 24 Prozent konnten die benötigte Stundenzahl sicherstellen.
"In Deutschland ist es nicht nur eine Frage des Preises, sondern vor allem eine Frage des Platzes", sagt Gruitrooy, die in einer Zeit, in der sie ihr eigenes Unternehmen gründete, Schwierigkeiten hatte, einen Platz für ihre Töchter zu finden, bevor diese ein Jahr alt wurden.
Da ihre Karriere es ermöglichte, im Homeoffice zu arbeiten, gelang es ihr, weiter zu arbeiten, bis sie ihre Töchter in einer Kita unterbringen konnte.
"Wenn man die Freiheit erlangt hat, eine kostenlose Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen, stellt man dies nicht mehr in Frage", sagt Gruitrooy.
"Jetzt geht es um Qualität, um Gleichheit und um Service."