Kommentar: Am Ende fehlten der deutschen WM-Elf Glaube, Willen und am meisten Glück

Schon wieder in der Vorrunde ausgeschieden: Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der Fußball-WM gescheitert. Nun ist das Gezeter groß, aber überzogen: Wäre das Schicksal nur ein paar Millimeter zur Seite getreten, wären jetzt alle zufrieden.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Da sah noch alles gut aus: Serge Gnabry köpft am vergangenen Donnerstag bei der WM zum 1:0 gegen Costa Rica (Bild: Pool via REUTERS/Dan Mullan)
Da sah noch alles gut aus: Serge Gnabry köpft am vergangenen Donnerstag bei der WM zum 1:0 gegen Costa Rica (Bild: Pool via REUTERS/Dan Mullan)

Viel vorgenommen, stürmisch nach vorne, zuweilen überhastet – aber mangelnden Einsatz kann man den Jungs von Hansi Flick nicht vorwerfen. Dennoch hat es nicht gereicht. Denn Fußball ist nicht nur Rasenschach, sondern auch Religion. Manches hat man einfach nicht in der Hand.

Ein 20-Minuten-Schlaf gegen Japan reichte aus, um das Spiel zu versemmeln. Gegen starke Spanier hätte am Ende gar ein Sieg herausspringen können. Und wenn die japanische Nationalmannschaft bei ihrem Treffer zum 2:1 gegen die Spanier den Ball kurz vorher um eine Haaresbreite mehr aus dem Aus gefischt hätte – ja, dann wäre es kein Tor gewesen, in Deutschland hätte man aufgeatmet, sich eines durchaus abenteuerlichen Fußballabends versichert und wäre dann beruhigt und zuversichtlich ins Bett gegangen. Immerhin hatte die Elf mit dem Bundesadler 4:2 gegen Costa Rica gewonnen. Muss man auch erstmal machen.

Doch all dies gehört in die Kategorie „Hätte, Hätte, Fahrradkette“. Auch all die Lattentreffer verblassen im Nachhinein, ebenso die verwirrende Auswechslung von Ilkay Gündogan im ersten Spiel, wonach die Ordnung zerfiel. Diese Vorrunde hätte, mit minimalen Veränderungen hier und da, auch positiver für die Deutschen verlaufen können.

Magie liegt in der Stadionluft

Jetzt aber ist Fehleranalyse angesagt, und vielleicht macht sie auch Sinn. Und daran zu beteiligen habe ich mich nicht, dazu fehlt mir der Sachverstand, das genaue Hinschauen. Hab Fußball eigentlich immer nur diffus genossen. Aber deshalb tue ich mich schwer mit Schuldzuweisungen. Klar, vielleicht würde ein Jürgen Klopp die Jungs in der Halbzeitpause dermaßen zusammenfalten und aufputschen, dass sie jenen Willen und jene Entschlossenheit aufs Feld bringen, die in zahlreichen Spielsituationen am Ende einen Tick fehlten. Und solch ein Tick kann den Unterschied in Toren ausmachen. Aber auch Klopp hat kein stetes Glückshändchen. Er könnte ebenfalls bedröppelt dasitzen, wenn seine Verteidiger plötzlich einem Zauderanfall erliegen.

Okay, eine Turniermannschaft im klassischen Sinn sieht anders aus. Und diese vielen Torchancen hatten ab einem gewissen Zeitpunkt etwas Lähmendes. Aber nun in die Analyse zu gehen, dass vor zehn Jahren die Herausbildung eines Mittelstürmers versäumt wurde, dass da zu wenige Typen herumliefen, erinnert mich zu sehr an ein Businessmodell. Fußball aber ist immer unvorhersehbar. Magisch. Voller Glück und voller Pech. In dieser Vorrunde griff die deutsche Mannschaft eben zu sehr ins letztere Töpfchen.

An den Umständen lag es nicht

Und das hat nichts mit dieser WM an sich zu tun. Nichts mit Katar, den Zuschauern auf den Rängen, den Umständen eines gekauften Turniers für einen Staat, der sich damit aufhübschen will – und der ein Tamtam wegen Regenbogenfarben macht. Wegen der nicht gerade bunten Kapitänsbinde jedenfalls ist die Elf nicht ausgeschieden. Man wird auf dem Rasen nicht ohnmächtig gewesen sein, weil bis tief in der Nacht im WM-Quartier über Menschenrechte diskutiert wurde.

Diese WM hätte niemals nach Katar gehen dürfen, aber sie tat es doch. Dann gab es ein paar tolle Spiele, leider mit unglücklichem Ausgang für die Deutschen. Aber das ist ja das Tröstliche am Magischen, am Glauben und an der Religion: Der Schmerz geht vorbei.

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