Kommentar: Beim Impfen wiederholt die Geschichte sich nicht

Beim Impfen wiederholt die Geschichte sich nicht. (Symbolbild: Getty)
Beim Impfen wiederholt die Geschichte sich nicht. (Symbolbild: Getty)

In Kalifornien wurde Schauspielerin Julia Dietze ein Mikrofon unter die Nase gehalten und nach ihrer Meinung zum Corona-Impfen gefragt. Ihre Antworten waren ein traurig-komischer Ausflug in den Geschichtsunterricht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Natürlich muss gleich Adolf Hitler herhalten. Keine Ahnung, woher die Frau kam und inwiefern sie von dem Straßenreporter Jordan Klepper überrascht wurde, der sie plötzlich befragte. Aber sie holte auf einer Straße in Los Angeles beim Thema Impfen gegen COVID-19 gleich die verbale Bazooka hervor. Eine Bauchbinde der „Daily Show“ informierte zwar nicht über den Namen, aber die Frau meinte, sie komme aus Deutschland – und nach Angaben mehrerer Zeitungen handelt es sich um die Schauspielerin Julia Dietze.

Zuerst fragte Klepper sie brav nach Ratschlägen, wie man sich gesund halte, und Dietze empfahl, keine Nachrichtensendungen zu schauen, die würden nur Gehirnwäsche betreiben. Da der Reporter nicht nachhakte, erfahren die Zuschauer nicht genau, was sie damit meinte. Etwa eher „Let’s Dance“ schauen, wo Dietze mitwirkte? Unterhaltsamer und mehr Balsam für die Seele ist solch eine Sendung sicherlich, bei all dem Elend, über das Nachrichtensendungen berichten (müssen). Aber die Unbill dieser Welt lassen sich nun auch nicht einfach ausblenden, ich finde: TV-Nachrichtenjournalisten erfüllen nur ihre Chronistenpflicht, aber sei’s drum.

Dann wurde es aber doch konkreter. Klepper fragte sie nach ihrer Einstellung zum Impfen gegen das Coronavirus.

„Ich denke nicht, dass dies ein Impfstoff ist. Ich denke, dass es die DNA in Hälften teilt.“ Dann gibt es erstmal einen Schnitt.

Danach sagt sie: „Interessant ist, zumal ich aus Deutschland komme, dass sich gerade Geschichte wiederholt.“ Auf Nachfragen antwortet sie: „Mit all den Pflichten (wh. Impfpflichten, die Red.) und so weiter – es geht über in einen Polizeistaat.“

Der Reporter fragt, ob sie damit das Deutschland des Zweiten Weltkriegs meine, und sie sagt: „Ja, ‚wo sind Ihre Papiere, wo sind Ihre Papiere‘, es ähnelt sehr der Hitler-Zeit.“

Klepper gibt sich ungläubig, fragt, ob es so sei wie Juden, die aus Polen fliehen, weil sie nicht ins Fitnessstudio dürfen – und das findet sie nicht lustig. „Sie haben den Punkt nicht verstanden“, sagt sie, lächelt und dreht sich ab.

Ich glaube nicht an die Vorbildrollen von Prominenten. Jeder Mensch hat sich zum Umstand zu verhalten, dass dieses Coronavirus auf die Welt gekommen ist. Jeder findet seinen eigenen Weg damit. Und Schauspieler haben genauso viele Rechte wie alle anderen, ihre Meinung auszudrücken, Impfstoffe zu kritisieren, ihre positive Wirkung anzuzweifeln und die Schutzmaßnahmen als Eingriffe in die Bürgerrechte zu geißeln. Alles, was Dietze in diesem kurzen Clip sagt, ist nicht dazu angebracht, ihre berufliche Zukunft nur irgendwie zu beschneiden. Schauspieler sollen sowas sagen dürfen, wie es auch Finanzbeamte oder Krankenpfleger sagen dürfen.

Da Dietze aber eine Person des öffentlichen Lebens ist, darf man ihr ebenfalls an dieser Stelle schlicht widersprechen. Wir haben auch versucht sie zu kontaktieren, um mehr zu erfahren - aber bisher noch keine Antwort erhalten.

1 Der Impfstoff

Wenn die Impfstoffe gegen das Coronavirus keine sein sollen – wie erklärt sich Dietze den Fakt, dass Geimpfte im Vergleich zu Ungeimpften deutlich geschützter vor einer Ansteckung sind, und dass sie im Fall einer Infektion deutlich mildere Verläufe haben? Ihre Befürchtung, der Impfstoff würde irgendwie an die DNA gehen, ist unbegründet. Es gibt keinerlei Hinweis. Wissenschaftler lachen über dieses Märchen, oder sie weinen. Die Medizinredakteurin Ulrike Till hat die Wirkung des Impfstoffs im SWR – Achtung, eine Nachrichtensendung! – so erklärt: „Die Boten-RNA ändert die Erbinformation der Geimpften nicht. Die Erbinformation steckt ja in der DNA im Zellkern, bis dahin dringt der Impfstoff gar nicht vor. Die mRNA erreicht nur die äußere Zellschicht, und ist im übrigen auch nach rund zwei Tagen wieder vollständig raus aus dem Körper. Dann hat die Boten-RNA ihre Mission erfüllt. Die mRNA liefert den Bauplan für die stachelige Hülle des Coronavirus, das sogenannte Spike-Protein. Das kann der Körper nach der Impfung dann selber herstellen. Aber eben nur die leere Virushülle, kein aktives Virus. Dagegen bildet der Körper dann neutralisierende Antikörper und schützende T-Zellen. Wenn dann eine echte Infektion passiert, kann der Körper diese Abwehrtruppe gleich mobilisieren.“

2 Hitler-Zeit

Es ist immer gut und wichtig, vor faschistischen oder anderen totalitären Tendenzen in Deutschland zu warnen, nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Aber der Vergleich zwischen Ungeimpften und Opfern des Nationalsozialismus ist mehr als schief. Die einzige Diskriminierung, die Ungeimpfte in Deutschland erfahren, ist das Verwehren von Zugängen in einige Einrichtungen – wie eben das Fitnessstudio. Und ganz ehrlich, niemand hat Spaß daran, es gibt keinen Willen zur Machtkonsolidierung wie bei den Nazis und auch keinen Hass. Verdammt, allen Geimpften, die in der aktuellen Corona-Politik einen Sinn sehen, wäre es am liebsten, alle würden sich impfen lassen und dann wäre endlich Ruhe im Karton. Andersdenkende im Naziregime wurden jedenfalls anders angegangen – und der Vergleich verhöhnt sie. Er schmerzt sie. Hat Dietze sich einmal gefragt, ob es einen überlebenden Homosexuellen, eine überlebende Kommunistin, einen überlebenden Sozialdemokraten, eine überlebende Jüdin und einen überlebenden Sinto gibt, die meinen, dass die Ungeimpften von heute sie von damals seien – oder dass es zumindest in diese Richtung gehe? Frag die Überlebenden, und du wirst die Antwort erhalten. Wäre ich ungeimpft, hätte ich große Schwierigkeiten, im Gastronomen um die Ecke, der meinen Impfpass sehen will, einen Schläger in SA-Uniform zu erkennen. Es geht nicht einmal einen Millimeter in diese Richtung.

3 Wiederholung der Geschichte

Ich werde den Verdacht nicht los, dass Ungeimpfte sich zu rasch als Opfer sehen und die ganze Angelegenheit überdramatisieren. Keiner wird sie jemals durch die Straßen treiben, und ihnen droht schlimmstenfalls ein Bußgeld; wer in coronasensiblen Jobs arbeitet, wie in der Pflege oder bei der Bundeswehr, kriegt natürlich berufliche Probleme – aber wenn es um den Schutz von Menschen geht, fällt mir auch keine bessere Lösung ein.

Und damit kommen wir zum Kern des Problems. Es entsteht, wenn die Tödlichkeit des Virus nicht akzeptiert wird. Wenn es keine radikale Akzeptanz dessen gibt, was wir nicht beeinflussen können: Corona können wir nicht wegmeditieren. Was wir tun können, ist impfen, Maske tragen, Achtsamkeit und Gelassenheit zeigen.

Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber wie Mark Twain sagte: Sie reimt sich. Denn die Grundtendenzen des Anzweifelns von Impfstoffen, wie es Dietze tut, die gab es bereits früher. Anfang des 19. Jahrhunderts wüteten die Pocken – und es gab einen Impfstoff. Doch den wollten viele nicht haben, zweifelten daran. In Tirol kam es sogar zu Aufständen, die Leute befürchteten, sie würden sich in Kühe verwandeln. Bayern setzte 1807 als erster Staat Europas eine Impfpflicht durch. Das Ende vom Lied: Die Pocken verschwanden nach und nach aus Europa – wegen der Impfung. Mehr Kühe gab es übrigens nicht. All das geschah stillschweigend, bald redete keiner mehr darüber.

Und genauso wird es auch mit den Impfungen gegen Corona sein. Impfskeptizismus („zerteilt die DNA“) ist ein historischer Klassiker. Positiv war er nie. Zum Glück durchsetzen konnte er sich auch nie. Also ist eine Impfflicht der beste Weg: So können Ungeimpfte ihr Gesicht wahren und aufrechterhalten, sie seien halt dazu gezwungen worden, wenn sie sich fügen. Und dann sterben weniger Menschen, die Lage ist befriedet – und die Demokratie war eh nie in Gefahr.