Kommentar: Beste Beißreflexe - "Bild" kommt auf den Hund

Die “Bild” jubelte der SPD einen trojanischen Hund unter – und schluckte selbst den Köder der “Titanic” (Bild: Titanic/Twitter)
Die “Bild” jubelte der SPD einen trojanischen Hund unter – und schluckte selbst den Köder der “Titanic” (Bild: Titanic/Twitter)

Die Boulevardzeitung nimmt sich der SPD an. Merke: Wer am Boden liegt, kriegt noch mehr Tritte ab. Das rächt sich nun.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Mit Hunden kennt sich “Bild” aus, die laufen nicht nur auf vier Pfoten, sondern wie geschnitten Brot. Hunde sind harmlos, beste Freunde, eben die Unschuld vom Park. Daher verkaufen sich Tiergeschichten im Boulevard bestens, dem es sogar gelingt, Hunde in Pferde zu verwandeln, jedenfalls trojanische.

Ein solches jubelte das Blatt der SPD unter, und zwar in Form der Hündin Lima, welche die Redaktion als Mitglied anmeldete – um zu prüfen, wie gut das Kontrollsystem der Partei ist, schließlich stimmen gerade die Mitglieder über Wohl und Weh einer Großen Koalition ab.

Das Verfahren der SPD ist demokratisch. Dass in der Union geheult wird, nun würden einige Wenige über das Schicksal eines ganzen Landes abstimmen, soll nur darüber hinwegtäuschen, dass der eigene Laden einem Abnickreflex huldigt und die rebellischen Potenziale eines Finanzbeamten an den Tag legt.

Der Gang in die Regierung wäre für die SPD schicksalhaft, darüber ist in den vergangenen Monaten alles gesagt worden, und es schüttelt die Partei mächtig. Es ist nur folgerichtig, dass die Mitglieder darüber befinden.

Dass “Bild” nun die Hündin Lima auf die SPD losließ, ist zum Teil ein Jux. Spaß muss sein, keine Frage. Aber die Redaktion politisiert ihren Klamauk, und da überhöht sie das Thema. “Bild” fragt, wie manipulierbar die Abstimmung über gefälschte Mitgliedschaften ist. Dieses Anliegen würde Sinn machen, wenn nun Unmengen von Hunden, Katzen und Kanarienvögeln in die Partei drängten.

Demokratische Wahlverfahren aber ähneln einer Tischlerei: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Die entscheidende Frage wäre, ob die Späne mehr wiegen als das Handwerksprodukt. Statistiker werden sie eindeutig beantworten. Lima wird eine Ausnahme bleiben, welche die Regel bestätigt. Natürlich wird das Votum der SPD-Mitglieder eine echte und ehrliche Bestandsaufnahme darüber sein, wie die Partei tickt, alles andere ist Kokolores.

Wann beginnt eine Kampagne?

Dem Unernst von “Bild” sind indes einige Fragezeichen anzufügen, wenn andere Geschehnisse ins Augenmerk kommen. Da veröffentlichte “Bild” doch tatsächlich groß angebliche Mails von Juso-Chef Kevin Kühnert, in denen er sich mit einem Russen über manipulative Hilfen für seine Kampagne gegen die Große Koalition austauschen soll.

Bisher deutete schon alles darauf hin, dass es sich bei den der Zeitung anonym zugespielten Mails um primitive Fälschungen handelt. Dennoch pustete “Bild” den Verdacht in den Raum, ohne vorher valide recherchiert zu haben. Ohne Hinweise also titelte “Bild”: “Neue Schmutzkampagne bei der SPD”, besser formuliert wäre gewesen: “Unsere Schmutzkampagne gegen die SPD”…

Und schließlich wird es wirklich komisch. Der Newsticker des Satire-Magazins “Titanic” vermeldet, die Mails des angeblichen russischen Internettrolls selbst der “Bild” untergejubelt zu haben. Chefredakteur Moritz Hürtgen: “Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‘Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda passt.”

Sollte dies stimmen, wäre es ein journalistischer Gau für die Zeitung. Dann hätte “Bild” ein eigenes trojanisches Pferd an Land gezogen, und in der Redaktion liefen lauter Limas herum. Hürtgen triumphiert:”Wir möchten uns trotzdem gegen den Vorwurf der Jusos verwehren, es handle sich um eine ‘plumpe Fälschung’. Das ist unverschämt. Da stecken mindestens drei Stunden Arbeit drin.”

Nun verhält es sich mit Satiremedien wie mit einer Pralinenschachtel: Du weißt nie, was du kriegst – jedenfalls vorerst. Der Vorstoß von “Bild” wirkt derart unjournalistisch, dass sich die Leute von “Titanic” diese Meldung auch als Fake ausgedacht haben können; nur präsentieren sie als HINWEIS, Achtung, liebe “Bild”-Redaktion, Auszüge aus dem angeblich brisanten Mailverkehr. Woher sollten sie diese haben, wären sie nicht deren Urheber?

“Bild” macht sich unglaubwürdig. Selbst die aktuelle Umfrage im Auftrag der Zeitung, wonach die AfD erstmals vor der SPD liegt, erscheint dann in anderem Licht, obwohl an der Seriosität und Professionalität der Demoskopen nicht zu zweifeln ist. Nur: Wer einmal mit dem Werfen anfängt…

Reichelt sind die großen Lettern vergangen

Mittlerweile hat “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt reagiert, im Gegenzug zu den großen Lettern, mit denen er auf die “Schmutzkampagne” täfelte, diesmal halbherzig und verklausuliert auf Twitter. “Einmal zur Einordnung der Titanic-Geschichte” beginnt er, das soll lässig klingen, wie nicht der Rede wert. Dabei ist seine Erklärung nicht der Rede wert, vielmehr redet er sich heraus, indem Reichelt sich auf die Position zurückzieht, man habe nur von einer Kampagne gegen den Juso-Chef geschrieben; und verschweigt, dass allein “Bild” diese Kampagne war.

Dass die Zeitung erst mit der Berichterstattung begonnen hat, nachdem die SPD eine “Strafanzeige geprüft/gestellt hat”, ist Mimimi: Man erzählt dem Nachbarn, in dessen Badezimmer sei ein Löwe – und denkt, dies sei eine berichtenswerte Geschichte, wenn der Nachbar zur Polizei läuft. Aha.

Keine Größe zeigt Reichelt, indem er versucht, der “Titanic”-Redaktion den Peter zuzuschieben: “Titanic wollte Bild in mehreren Versuchen in eine klare Festlegung treiben” – natürlich, damit hat er den Sinn des Tricks umrissen. Und? “Bild” dagegen habe “immer die Position der SPD dargelegt und explizit geschrieben, dass diese plausibel ist”.

Warum hat Reichelt es dann nicht bei einem Schreiben an die SPD belassen, gab es hier irgendeine Chronistenpflicht? Der Chefredakteur tut, als kenne er nicht die Wirkung seines Blatts.

“Bild” sollte seine Reflexe überprüfen. Und ein paar Ausrufezeichen weniger im Blatt setzen. Diese Story ist ein HINWEIS, dass der Abgang von Chefredakteurin Tanit Koch der Zeitung nicht gut tut.