Kommentar: CDU-Merz flirtet mit den Grünen – es gibt nur Gründe, die dafür sprechen

Der Parteivorsitzende der Christdemokraten überrascht seine Mitglieder: Auch eine Koalition mit den Grünen sei denkbar, schreibt Friedrich Merz. Ach, jene Partei, die im vergangenen Sommer noch "Hauptgegner" war? Doch sein Blinzeln ist nicht nur alternativlos, sondern völlig normal. Damit wächst zusammen, was viele Schnittpunkte kennt.

Eine grüne Krawatte hat er schon mal: Friedrich Merz (CDU) im Januar 2022 in Berlin (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)
Eine grüne Krawatte hat er schon mal: Friedrich Merz (CDU) im Januar 2022 in Berlin. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Von Friedrich Merz weiß man, dass nicht jedes seiner Worte auf die Waagschale zu legen ist. Zu unbeherrscht ist der Oppositionsführer, auch zu kalkulierend. Mal nützt dem CDU-Partei- und Fraktionschef dies, mal das.

Welchen Nutzen er sich in den kommenden Monaten sichern will, hat Merz nun in einer seiner "Merz-Mails" dargelegt, die er in Abständen an die Parteimitglieder verfasst. Eine feste Koalitionsaussage vor der Wahl dürfe es nicht geben, schrieb er darin, "auch eine Koalition darf nicht alternativlos werden." Zwei mögliche Optionen laut Merz: SPD und die Grünen. "Keine besonders verlockende Aussicht", so der Sauerländer, "aber eine regierungsfähige Mehrheit muss es geben".

Ach nee, wirklich, die Grünen? Die Sonne hatte im vergangenen Jahr gerade noch ihren längsten Tag gehabt, da hatte Merz die Grünen zum "Hauptgegner" erkoren. So verwundert es schon, dass er nun in ihnen mögliche Regierungspartner sieht. Dies aber nur auf den ersten Blick. Unnormal ist nicht sein aktueller Schwenk, sondern sein Trompetenstoß vom vergangenen Sommer.

Natürlich sind Grüne und Union mögliche Bündnispartner. Zwar hat Merz die CDU unter seiner Ägide weiter nach rechts bugsiert, sie konservativer gemacht. Aber zum einen sind die Machtverhältnisse immer bunter geworden; da werden manche Wettbewerber zu klein, um ein Koalitionär werden zu können – und andere werden nicht groß genug, um frei zu agieren. Und dann ist da zum anderen die AfD, die alles tut, um als "Alternative" fürs Regieren nicht in Frage zu kommen; jedenfalls für die von ihr postulierten "Altparteien": Warum sollte man mit jemandem zusammengehen, der nur beleidigen kann, keine Lösungen aufweist und dann noch ein grundsätzliches Problem mit allem hat, das einem lieb ist?

Infografik: Ein Viertel der Wähler:innen befürwortet CDU-AfD-Koalition | Statista
Infografik: Ein Viertel der Wähler:innen befürwortet CDU-AfD-Koalition | Statista

Wie es begann

Klar, CDU und Grüne trennen auch Welten. Aber eine gemeinsame Sprechfähigkeit haben sich beide Parteien erarbeitet, seit in den vorigen Neunzigern vor allem junge Bundestagsabgeordnete aus Union und Grünen zu informellen Abenden zusammenkamen und sich austauschten – die sogenannte "Pizza-Connection" war geboren (man traf sich erstmals in einem italienischen Restaurant in Bonn). Viele der damaligen Jungen haben in beiden Parteien nun Karriere gemacht. Merz war zwar damals nicht dabei, aber man lernt nie aus, theoretisch.

Auch haben CDU und Grüne in Landesregierungen bereits gemeinsame Verantwortung übernommen – und immer mit durchaus positiven Erfahrungen. Der Respekt voreinander ist gewachsen.

Außerdem war das Merzsche Stakkato vom grünen "Hauptgegner" nicht inhaltlich gemeint, sondern rein strategischer Natur. Man wollte auf die Grünen draufhauen, weil sie gerade nicht gut dastanden. Da war die Debatte ums Heizungsgesetz, die Bemühungen um Klimaschutz, die immer weniger öffentliches Gehör fanden. Die Union mit ihrem populistischen Unterton konnte damals dieser Versuchung nicht widerstehen. Hinter vorgehaltener Hand aber können Christdemokraten auch nicht ignorieren, dass sich die Grünen in der Ampel-Koalition als der am meisten verlässliche Partner erwiesen und eine Menge Kröten geschluckt haben. Hat man sich gemerkt, bei der CDU.

Dass die CSU nun ob der aktuellen "Merz-Mail" entrüstet aufschreit, ist nur dem Fakt geschuldet, dass bei ihr der Hang zum Populistischen viel stärker ausgebildet ist. Außerdem haben die Christsozialen mit den Freien Wählern um Hubert Aiwanger einen Bündnispartner in der Freistaatsregierung, der noch doller die Grünen kritisiert, weil ein Aiwanger nichts anderes kann als Symbolpolitik. Das Praktische liegt ihm nicht, so belegt es sein Alltag im Wirtschaftsministerium. Akten mag er kaum. Poltern dagegen schon. Und da steigt die CSU notgedrungen mit ihm in einen Wettkampf, wer am besten gegen Grüne ledert, die es so nie gab. Aber sei's drum. Wer sagt, dass Politik immer faktenbasiert ist?

Wofür man keinen Taschenrechner braucht

Darüber hinaus ist Merz nicht schlecht im Rechnen. Mit wem soll es denn reichen, zu einer Regierungsbildung – vorausgesetzt, die CDU wird wirklich stärkste Partei, wie es die aktuellen Umfragen vorhersagen? Sein Wunschpartner bleibt die FDP. Bloß, wie er selbst in der "Merz-Mail" schrieb: "Fraglich ist aber, ob sie als Partei überlebt." Denn die Liberalen, wie gestern an dieser Stelle beschrieben, manövrieren gerade wegen ihrer Profilsucht nicht nur die Ampelregierung ins Abseits, sondern vor allem sich selbst.

Das Lieblingsgericht der kommenden Monate von Christdemokraten und Grünen wird also die Pizza sein. Die rote Sauce kann man ja auch mal weglassen, stattdessen grünen Rucola drauf tun, und natürlich leicht schwarz am Rand.

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