Kommentar: Friedrich Merz manövriert sich aufs Abstellgleis der CDU

Der Parteichef irrlichtert konsequent mit komischen Äußerungen, die er oder seine Getreuen im Nachhinein einfangen müssen. Von einem Kanzlerkandidaten erwartet man aber Statur, Impulskontrolle – und eine Vision für die Zukunft. Noch ist es für Friedrich Merz nicht zu spät. Aber bald.

CDU-Parteichef Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz im Februar in Berlin (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
CDU-Parteichef Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz im Februar in Berlin. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Oppositionschef ist ein einflussreicher Mensch. Er setzt zum Beispiel Themen, über die dann die halbe Republik spricht. Dank Friedrich Merz wissen wir nun mehr über die Vorschriften zur zahnärztlichen Versorgung von abgelehnten Asylbewerbern. Man lernt ja nie aus. Nur blöd für den CDU-Parteichef, dass er wie ein belehrter Fünfer-Schüler in der Ecke steht: Merz sagt zu oft Dinge, die schlicht nicht stimmen.

Das ist für jemanden, zu dem man kraft seiner Aufgaben aufschaut, etwas misslich; schließlich meldet Merz Anspruch auf das wichtigste Amt an, das man in Deutschland haben kann. Bundeskanzler, das geht einher mit einer Menge Verantwortung.

"Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen"

Merz muss nun in den nächsten Tagen erklären, warum einer wie er in der Regierungszentrale gutgeheißen werden sollte, der sowas von sich gibt wie: "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." Merz meinte abgelehnte Asylbewerber, und an diesem Satz stimmt eigentlich nichts. Merz malt damit den Zustand des Landes in einem klitzekleinen Detail schwärzer, als er ist.

Vorher meinte er, einigen Leuten in einem Bierzelt damit zu gefallen, indem er von sich gab: "Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland." Natürlich ist Gillamoos Deutschland. Und Kreuzberg auch. Es sei denn, man will einige Leute ausschließen – was für einen Kanzler in spe, der für alle zu regieren hat, nicht passt.

Noch davor unterstellte er nach Deutschland geflüchteten Ukrainern "Sozialtourismus", davor bezeichnete er seine eigene Partei als "Alternative für Deutschland – mit Substanz". Und auf die Frage, ob er sich einen Homosexuellen als Bundeskanzler vorstellen könne, antwortete Merz: "Solange es nicht Kinder betrifft", sei die sexuelle Orientierung "kein Thema für die öffentliche Diskussion."

Wo, bittschön, geht’s zum nächsten Fettnäpfchen?

Da pflegt einer seine Ressentiments. Einmal verunglimpft er homosexuelle Menschen als Pädophile, dann rückt er die CDU morphologisch in die Nähe der AfD. Vor Krieg Fliehende verwechselt er mit Urlaubern – was kommt nächste Woche?

Merz wird angesichts dieser Pannenserie versucht sein, sich hinzustellen und zu sagen: Ich bin doch auch nur ein Mensch. Er sollte sich hüten.

Als Kanzler ist man Vorbild. Man hält sich zurück, wenn es darum geht, dem Nächsten einen einzuschenken. Ein Kanzler darf nicht wie ein Lästermaul daherkommen. Zwar war das stoische Schweigen von Angela Merkel des Guten zuweilen zu viel, aber ein Mindestmaß an Statur verlangt das Amt schon. Doch Merz agiert unbeherrscht, zeigt sich schnell beleidigt. Fehler zugeben, das gehört nicht zu seinen besten Eigenschaften. Von Tag zu tag wird es für ihn schwieriger werden, die Leute davon zu überzeugen, der richtige Mann in der höchsten Verantwortung sein zu können.

Apropos Leute: Merz will ja für sie sprechen. Deswegen redet er von den "deutschen Bürgern nebendran". Aber weiß er wirklich, wie die ticken? Der Sauerländer könnte seine Aussichten auf eine Spitzenkandidatur noch retten. Aber dafür müsste er einiges ändern.

Immer nur dagegen reicht nicht

Zuallererst bräuchte er eine Vision für Deutschland. Ein Konzept für die Zukunft. Derzeit versteift sich der CDU-Vorsitzende aufs Keifen & Keilen. Er vermittelt aber weniger, wofür er steht. Was er machen will. Wenn Merz das Land beschreibt, dann greift er zu den dunkelsten Farben: Die Wirtschaft? Eine Katastrophe. Die Sozialsysteme? Am Rande eines Kollaps. Und überall irgendwelche woken Genderfanatiker, die Merz ausmacht. Es fällt schwer zu glauben, dass er selbst meint, was er sagt. Es klingt mehr danach, der AfD nach dem Mund zu reden, um sie dadurch überflüssig zu machen; der Erfolg indes bleibt aus. Merz als tatsächlicher Wirtschaftsexperte sollte wissen, dass sich ein Original stets besser verkauft als die Kopie.

Merz hätte also eine Chance, wenn er mehr auf die Mitte zielt. Wenn er den Grünen als angeblichen "Hauptgegnern" weniger Beachtung schenkt, sich weniger an Windmühlen abarbeitet und stattdessen sich einen Kopf macht, was er eigentlich mit dem Land anstellen will. Der Arnsberger sollte alle mitnehmen, die Kreuzberger, die Ukrainer und Homosexuellen. Entweder er kann das, oder er sollte einsehen, dass gewisse Schuhe ihm zu groß sind.

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