Kommentar: Das Establishment frisst die AfD als Vorspeise

Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland im Bundestag (Bild: AP Photo/Michael Sohn)
Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland im Bundestag (Bild: AP Photo/Michael Sohn)

Mangelnde Werte und Haltung vermisst die AfD bei den „Altparteien“. Doch ihr Auftritt in den Parlamenten lässt sie ziemlich alt aussehen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das Establishment ist ein Monster. „Die da oben“ hört man immer wieder von der AfD, damit meinen die Rechtspopulisten ein kartellartiges Regieren am Volk vorbei. Leider erweist sich dieses Establishment als so stark, dass selbst die unerschrockene AfD ihrem zweifelhaften Charme unterliegt.

Plötzlich gilt die scharfe Kritik, welche die Partei an andere anlegt, nicht für sie selbst. Werte, Haltung, das so genannte Stehvermögen gegen den Untergang des Abendlands, sind für den Umgang in den eigenen Reihen Mumpitz; jüngst zu besichtigen bei der Wahl von AfD-Abgeordneten zu Ausschussvorsitzenden und der Bestellung anderer Posten.

Wie Fraktionschefin Alice Weidel die Kandidatur ihrer Leute begründete, würde sie dies bei anderen Parteien nie durchgehen lassen. „Es geht in erster Linie um die Qualifikation“, sagte sie zum Beispiel. Nun, Qualifikation ist für den Job eher eine Vorbedingung. Vor allem aber steht die Frage nach der Eignung. Und da schaut die AfD nicht so genau hin. Der Abgeordnete Sebastian Münzenmaier etwa erhielt den Vorsitz im Tourismusausschuss. Was er unter Förderung des Fremdenverkehrs versteht, könnte man aus einem Überfall deuten, an dem er 2012 beteiligt gewesen sein soll: Anhänger der Hooligan-Szene des FC Kaiserslautern attackierten Fans des FSV Mainz, dabei sollen die Angegriffenen Platzwunden und Knochenbrüche erlitten haben. Drei Mitangeklagte hatten ihre Tatbeteiligung zu Beginn der Hauptverhandlung zugegeben. Münzenmaier war im Oktober zu einer Haftstrafe von sechs Monaten auf drei Jahre Bewährung und einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt worden. Sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung gegen das Urteil ein.

Sind die Fleischtöpfe erstmal nah

Der Vorwurf also ist unglaublich, es existiert ein Urteil, Fraktionschefin Weidel aber sagt: „Wir sind fest davon überzeugt, dass er nicht verurteilt wird.“ Woher nimmt sie eigentlich ihre Gewissheit, weiß sie mehr als Polizei und Gericht? Richtig wäre gewesen, dem Parteigenossen meinetwegen zu glauben, aber bis zum Abschluss eines endgültigen Gerichtsurteils mit Verantwortung und Würde verbundene Aufgaben bei ihm ruhen zu lassen. Oder hat die AfD ein gebrochenes Verhältnis zu Recht und Ordnung?

Auf diese Idee könnte man kommen, wenn man hinschaut, wer in den Ländern alles von der AfD bestellt wird. Ein unter Terrorverdacht stehender Polizist soll zum Beispiel in der AfD in Mecklenburg-Vorpommern Grundsatzpapiere zur Inneren Sicherheit mit vorbereiten. Der wegen der laufenden Ermittlungen suspendierte Beamte wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden des Landesfachausschusses „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz“ gewählt.

Wenn die Kameraden da mal nicht den Bock zum Gärtner machen: Der suspendierte Polizist soll der so genannten Prepper-Szene angehören, die sich mit Vorräten auf gravierende Krisen vorbereitet und auch den Schusswaffeneinsatz einkalkuliert. Die Bundesanwaltschaft geht dem „Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ nach. Die Männer sollen sich im Internet über einen möglichen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung ausgetauscht und Vorkehrungen getroffen haben. Dabei soll es auch eine Liste mit Personen aus dem linken Spektrum gegeben haben, die im Krisenfall getötet werden sollten.

Kritik ist für die anderen

Und was sagt die AfD? „Herr Jäger ist ein unbescholtener Bürger, solange nicht ein Gericht anderes feststellt. Für die AfD als Rechtsstaatspartei gilt klipp und klar die Unschuldsvermutung“, heißt es bei AfD-Landeschef Leif-Erik Holm.

Ein Urteil möchte man in der AfD also nicht abwarten? Oder sind auch Gerichtsurteile einigen Leuten in der AfD nichts wert, weil sie dem „Establishment“ entstammen? Holms Argumentation jedenfalls ähnelt jener Weidels.

Dass die AfD mit zweierlei Maß misst, bringt ihr kurzfristig Erfolg. Waffenhortung hier, Hool-Szene da, das klingt nach einem saftigen Umfeld, nach einem echt integrativen Gesellschaftsansatz. Nur den starken Staat, den die Partei beschwört, schwächt sie damit Tag für Tag.