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Kommentar: Das ist die Hitliste der Corona-Spinner vom Wochenende

Eine Meditation für den Weltfrieden? Gebetliche Vertreibung der Eisheiligen? Nein, eine "Hygiene-Demo" in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)
Eine Meditation für den Weltfrieden? Gebetliche Vertreibung der Eisheiligen? Nein, eine "Hygiene-Demo" in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Es war ein echtes Coming Out: An diesem Wochenende offenbarten eine Menge Bürger ihren Hang zu komischem Verhalten. Hier die Hitliste der Top Five.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Man kam mit dem Aufzählen in den letzten beiden Tagen gar nicht mehr mit: Der Corona-Virus ist tatsächlich ansteckend, vor allem geht mit ihm ein Herdentrieb zu bizarrem Auftritt einher. Was, der auch? Und die – das hätt ich jetzt nicht gedacht. Eine Krise offenbart eben manches.

“Hygiene-Demos”: Sorge vor Radikalisierung des Protests gegen Corona-Regeln

Jedenfalls kommen hier die besten fünf Ausrutscher auf dem öffentlichen Parkett. Im Privaten darf ja jeder dumm herumreden, wie er möchte; dringen diese Worte indes bewusst herbeigeführt nach außen, wie im Falle unserer Top Five, dann ist zwar nicht das Grundgesetz in Gefahr, wohl aber der gute Geschmack.

Platz 5: Ein Referent auf einer Mission

“Gefahr im Verzug!” Dramatisch zeigte sich ein Referent im Bundesinnenministerium. Der legte einen 80 Seiten starken Bericht vor, in dem nach Angaben von “n-tv” Hämmer standen wie: Ein “globaler Fehlalarm” sei im Gange, der Schaden durch die getroffenen Maßnahmen deutlich größer als der, den das Virus alleine hätte verursachen können. Die Gefahr des Coronavirus sei “nicht größer als die vieler anderer Viren”. Und am Schluss: “Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer der größten fake-news-Produzenten erwiesen.” Nun, als die Ärzte in Wuhan, in Bergamo oder in Städten Frankreichs entscheiden mussten, wen sie an die verfügbaren Beatmungsgeräte lassen und wen sie ersticken lassen, da werden sie sich nicht inmitten eines “Fehlalarms” empfunden haben. Ob der Referent über wissenschaftliches Fachwissen zu Viren verfügt (“nicht größer als die vieler anderer Viren”), ist nicht bekannt, aber ebenso wenig anzunehmen. In seiner Freizeit kann jeder schreiben, was er will. Manche reimen sogar Limericks. Aber jener Referent aus dem Innenministerium versah seinen Sermon mit dem offiziellen Briefkopf seiner Behörde – obwohl ihn niemand dazu beauftragt hatte. An relevanten coronabedingten Arbeiten scheint er im Ministerium auch nicht beschäftigt gewesen zu sein. Fazit: Aufplustern ist peinlich.

Platz 4: Thomas Kemmerich, FDP

In Gera ging der FDP-Politiker Thomas Kemmerich am Wochenende spazieren. Nichts Verwerfliches ist daran zu finden, nur war er nicht allein, es kamen um die 600 Spaziergänger zusammen, und die kamen sich nahe: Jedenfalls wurden kaum Atemmasken gesichtet, und um die nötigen Abstände kümmerte man sich auch nicht; und Kemmerich mittendrin. Der hatte sich nicht verlaufen, sondern beteiligte sich an einer Demo für die Lockerung der Corona-Einschränkungen. Meinungsfreiheit ist garantiert, selbst Demonstrieren geht, wer’s will – nur eben sollten die nötigen Abstände eingehalten werden. Darum scherte sich Kemmerich nicht; womöglich verspürt er in sich Superkräfte, die ihn gegen eine Erkrankung immunisieren. Das ist verständlich: Immerhin meinte er im Februar, als Spitzenkandidat einer Fünf-Prozent-Partei zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt werden zu können – mit Stimmen der AfD, deren Anhänger sich bei diesem Geraer Spaziergang zahlreich beteiligten. Kemmerichs Superkräfte hielten nicht lange, er ging in die Geschichte als turboschnell gescheiterter Landeschef ein. Immerhin zeigte Kemmerich die Größe, seinen Fehler einzugestehen und sagte: Er habe Verschwörungstheoretikern keine Bühne bieten wollen, habe es aber getan. Das sei ein Fehler gewesen. Zudem entschuldigte sich Kemmerich dafür, dass er die Schutzvorschriften gegen das Coronavirus bei der Versammlung nicht eingehalten hat. Das bringt ihn in der Covidioten-Hitliste von Yahoo noch auf einen Platz hinter einem Parteifreund.

Platz 3: Wolfgang Kubicki

Dass Kubicki im Nebenberuf Vize-Bundestagspräsident ist, erstaunt. Er redet nämlich wenig präsidial, mehr wie ein Rummelbudenbesitzer. Der Freidemokrat offenbarte am Wochenende in einer Talkshow sein Verständnis von Liberalismus: “Menschen müssen für sich selbst sorgen. Wenn jemand Angst hat, soll er eben zu Hause bleiben.” Vielleicht wollte Kubicki sein starkes Vertrauen in die Eigenverantwortung der Bürger ausdrücken (was seinen Parteifreund Kemmerich offenbar nicht einschließt), dass es sich bei Epidemien so verhalte wie beim Markt, der alle Probleme am besten ohne den Staat regele. Rein faktisch aber äußerte sich Kubicki sozialdarwinistisch: Wer Angst hat, hat selbst schuld. Nun ist Angst ein individuell messbarer Grad. Und was ist mit Leuten, die in wichtigen Berufen in der Pflicht stehen? Können sie sich einfach zuhause einsperren? Und was ist mit den vielen Menschen aus den so genannten Risikogruppen – wird ihnen durch die so genannte Eigenverantwortung die Rückkehr in eine Normalität nicht erschwert, weil draußen wieder wie verrückt angesteckt wird? Kubicki besitzt das Talent, Kaltherziges in einer Lässigkeit auszudrücken, dass es wirklich fröstelt.

Platz 2: Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Der Herr war von Papst Franziskus von wichtigen Aufgaben entbunden worden, das muss wurmen. Nun unterschrieb er mit anderen geistlichen Würdenträgern ein obskures Papier, das eine wahre Lachnummer ist: Da wird nach Angaben der “taz” geraunt, man habe Grund zu der Annahme, “dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung und der damit verbundenen Kontrolle über Personen […] durchsetzen. Diese illiberalen Steuerungsversuche sind der beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.” Ferner werde gemunkelt von einer “Einmischung von fremden Mächten” und “unklaren Absichten supranationaler Einheiten”. Müller muss einen scharfen Blick haben. Supranationale Einheiten, eine Welt-Regierung – all dies sehe ich nicht einmal schemenhaft am Horizont. Im Gegenteil: Die EU könnte ruhig geeinter auftreten. Aber für den Unfrieden in Europa sorgen mitunter jene Regierungen, die gedanklich dem Kardinal nahe stehen, wie die von Polen und Ungarn. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Leute wie Müller sind es, die Panik schüren. Es gibt also keinen Grund zu einer anderen Annahme als dieser: Der Kardinal neigt zu starken Übertreibungen und zu Halluzinationen. Daher: Stay at home, Gerd!

Platz 1: Die Demonstranten

Der Siegerplatz gebührt nicht den Kens und Attilas, denn die laufen außer Konkurrenz. Ganz oben aufs Treppchen kommen die Teilnehmer der Spinner-Demos, die für Grundrechte oder sowas öffentlich eintraten. Für Freiheit und so. Dabei frage ich mich, welche Freiheit eigentlich eingeschränkt war: die zum Einkaufen, zum Bewegen, zur Meinungsäußerung jedenfalls nicht. Und ein Regime gibt es immer noch nicht, sapperlott! Doch die Spinner standen bei ihren Demos dicht an dicht. Sie stehen symbolisch für den Irrsinn, dass wir es in Deutschland geschafft haben, die so genannte Reproduktionszahl bei Neuinfektionen mit Corona wieder ordentlich nach oben getrimmt zu haben, nämlich auf 1,13. Diese Zahl besagt: Ein Infizierter steckt statistisch gesehen 1,13 Mitbürger an. Hochgerechnet bedeutet das nichts Gutes. Vielen Dank auch und herzlichen Glückwunsch!

Video: Proteste gegen Corona-Beschränkungen in Washington