Kommentar zum DFB-Abschied - Mit Thomas Müller verlieren wir Fähigkeiten, die wir lange nicht mehr finden werden

Thomas Müller<span class="copyright">IMAGO/Sven Simon</span>
Thomas MüllerIMAGO/Sven Simon

Thomas Müller verlässt als vorletzter Spieler der Weltmeister von 2014 die Nationalmannschaft. Der 34-Jährige hat mit seiner besonderen Art das DFB-Team in den vergangenen 14 Jahren nicht nur bereichert, sondern entscheidend mitgeprägt. Dennoch ist es nun an der Zeit, Platz für andere Akteure zu machen. Ein Kommentar.

Da wäre er fast noch einmal gewesen, einer dieser vielen Müller-Momente. In seinem 131. Länderspiel. Die deutsche Nationalmannschaft läuft nach dem Treffer zum 1:2 gegen Spanien in der 119. Minute nochmals an. Müller stiehlt sich auf dem rechten Flügel frei und bedient Niclas Füllkrug mit einer butterweichen Flanke.

Doch der Dortmunder setzt den Kopfball knapp neben den Pfosten. Es wäre das 2:2 gewesen, kurz danach ist alles vorbei. Deutschland scheidet im Viertelfinale der Heim-EM aus . Und Müller steht zum letzten Mal mit dem DFB-Dress auf einem Spielfeld. Fünf Tage später teilt er mit, dass er nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen wird.

Müller prägte die Nationalmannschaft über Jahre entscheidend

Wirklich überraschend kommt das nicht. Nur wenige Minuten nach Schlusspfiff in Stuttgart äußerte sich der 34-Jährige schon dahingehend. „Realistisch betrachtet, ist es schon möglich, dass das meine letztes Länderspiel gewesen ist“, sagte er. Nun ist sein Abschied Realität geworden.

Das Ende einer großen, nein mehr: einer sehr großen Karriere in der Nationalmannschaft mit 131 Länderspielen und 45 Toren. Lediglich Lothar Matthäus (150 Länderspiel) und Miroslav Klose (137) streiften sich häufiger das Trikot mit dem Bundesadler über. Sein erstes Länderspiel bestritt Müller im März 2010 gegen Argentinien.

Im Anschluss ging alles rasend schnell. Gleich bei der WM 2010 wurde der erst 20-Jährige der große Shootingstar, wurde mit fünf Treffern und drei Vorlagen sogar Torschützenkönig des Turniers. Doch Müller glänzte nicht nur auf dem Spielfeld. Er war und ist bis heute viel mehr als das.

Müller: Authentisch im besten Sinne des Wortes

Normale Müller-Interviews gibt es eigentlich nicht. Bereits in jungen Jahren glänzt der Offensivspieler mit seinem Humor, seinem Wortwitz, seiner Schlagfertigkeit. Gefühle und Stimmungen in Worte zu fassen, Deutschland zu erzählen, wie es der Nationalelf geht, das konnte Müller wie kein Zweiter.

All das immer authentisch. Ein Wort, das heutzutage viel zu schnell benutzt wird, aber bei ihm durch und durch passt. Einer, der sich nicht zu viel aus Frisuren oder Klamotten macht, sondern sich stets treu blieb.

Passend dazu war Müller auch stets auf dem Platz: einmalig, unverwechselbar. Für ihn wurde sogar ein Begriff erfunden: Raumdeuter. In dieser Rolle war er für seine Gegner quasi nie zu fassen, agierte stets torgefährlich und hatte immer einen Blick für seinen Mitspieler. Eigenschaften, die ihn zum Weltklassespieler machten.

Bei seinem Karrierehöhepunkt 2014 gab es wohl den besten Müller aller Zeiten zu bestaunen, der erneut fünf WM-Treffer erzielte und einen großen Anteil am WM-Triumph hatte.

Sein größter Triumph: 2014 wird Müller Weltmeister<span class="copyright">IMAGO/Sven Simon</span>
Sein größter Triumph: 2014 wird Müller WeltmeisterIMAGO/Sven Simon

 

In den Folgejahren gab es auf Vereinsebene immer wieder Aufs und Abs, Müller setzte sich letzten Endes aber immer durch und wusste zu überzeugen, wenn er gefragt war.

Etwas anders verlief es im DFB-Dress. Sein letzter Treffer bei einem Turnier war das Führungstor zum 1:0 gegen die Brasilianer beim legendären 7:1. Man mag das kaum glauben: Müller schoss zehn Jahre lang kein Turniertor mehr.

In der Folge war Müller bei den Turnieren nicht mehr der gewohnte Müller, der oft herausragte. Das lag natürlich auch daran, weil die gesamte Mannschaft nur noch beim EM-Turnier 2016 (Halbfinale) überzeugte und in der Folge (bis 2024) nur noch enttäuschte.

Keine gute EM-Bilanz - der letzte Müller-Moment kam nicht

Dennoch ist es überraschend zu sehen, dass Müller bei 17 EM-Spielen keinen einzigen Treffer erzielen konnte. Ein Ende der Nationalmannschaftskarriere wäre somit nach der Katastrophen-WM in Katar auch durchaus denkbar gewesen. Müller selbst hielt schon eine Art „Abschiedsrede“ bei einem Interview nach dem damaligen Ausscheiden.

Aber dann ging es doch noch einmal weiter. Sechs Monate nach dem Katar-Desaster war Müller wieder dabei und sorgte auch dafür, dass die Mannschaft ein wenig wiederbelebt wurde.

Beim Regenspiel von Dortmund gegen die Franzosen im September 2023 warf ihn Interimsbundestrainer Rudi Völler in die Startelf. Müller nutzte die Gelegenheit, traf zum 1:0 und feierte zusammen mit dem Team ein wichtiges 2:1.

Es war der erste Lichtstreifen am Horizont, der die Fans auf eine gute EM hoffen ließ. In der Folge blieb Müller auch bei Julian Nagelsmann an Bord und federte mit seiner eben beschriebenen Art auch vieles ab. Stets positiv nach vorne gerichtet konnten sich bei seinem letzten Turnier viele Teamkollegen an ihm orientieren.

Leider bleib ihm selbst ein letzter Müller-Moment vergönnt. Nun ist es an der Zeit, dass andere Akteure die Verantwortung übernehmen. Mit seinem Rücktritt beweist Müller das richtige Gespür und gutes Timing. Wie so oft in seiner Karriere.