Kommentar: Die CDU bastelt sich zurück zur Regierungspartei

Selbst im Sommerloch verschwindet die in der Opposition machtlose Union nicht in der Versenkung. Die CDU agiert geschickt. Wenn das so weitergeht, wird ein Friedrich Merz als Kanzler sogar zu einer realistischen Option.

CDU-Parteichef Friedrich Merz bei einer Rede im Mai 2022 in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
CDU-Parteichef Friedrich Merz bei einer Rede im Mai 2022 in Berlin. (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Man könnte auch sagen, dass es der CDU am wenigsten schlecht geht – abgesehen von den Grünen. Die können auch eine Kröte schlucken und sowas glaubhaft als Dreisternegenuss verkaufen. Die CDU aber erfreut sich nicht nur am zuweilen rieselnden Sand im Getriebe der Ampel-Koalition, sondern macht schlicht nicht die schlechteste Figur. Die CDU ist auf Erholungskurs.

Erinnern wir uns: Im vergangenen Herbst stürzte die Union bei der Bundestagswahl ab. Im Gegensatz zu den Programmparteien wie der SPD und der FDP (ähm ja, schon) versteht sich die CDU als Regierungspartei, als Geist des Pragmatismus, dem man die Schatzschatulle anvertraut. Da war es mehr als ein einziger großer Schmerz, derart vom Wähler abgestraft zu werden. Die CDU flog in die Sinnkrise. Auch war Angela Merkel weg, welche die Partei über viele Jahre hinweg geprägt hatte und einen leisen, aber konsequenten Schlussstrich zog. Und dann schaffte es auch noch Friedrich Merz an die Parteispitze, dieser miesepetrige Finanzhai von Blackrock, der knochenharte Verweigerer gewisser Sensitivitäten für Realitäten in der Gesellschaft. Die CDU, so schien es zum Jahresende 2021, erholt sich so schnell nicht.

Auferstanden aus Ruinen

Doch sie tat es. Natürlich liefert die Ampel ihr Steilvorlagen, das ist normal; dabei arbeitet die Bundesregierung durchaus konstruktiv, ein total fail sieht wirklich anders aus. Aber die Chancen zum Sticheln nutzt die CDU geschickt, ohne es zu übertreiben. Bei den großen Krisen wie dem Pandemiemanagement oder dem Ukraine-Krieg verhielt sich die CDU durchaus staatsbewusst und setzte nicht auf Totalopposition. Das unterscheidet sie auch von AfD und Linkspartei, die mehr ans Schmoren im eigenen Saft denken als ans Vorankommen. Merz zeigt immer mehr Milde und Nachdenklichkeit. Und er setzt sich an die Reform der Partei.

Kommissionen erarbeiten gerade ein neues Programm, der Wertekanon soll aktualisiert werden und ein größeres Fundament erhalten. Merz häutet sich nicht. Aber er zeigt Einsicht, wie etwa bei der Frauenquote, die nun ernsthaft erwogen wird. All dies macht Merz zu einem möglichen Kanzler. Er ist mittlerweile weder Witz- noch Schreckfigur.

Und jetzt noch ein bisschen Wumms

Was noch fehlt, sind Konzepte und Visionen. Wie soll Deutschland durch den Coronawinter kommen? Wie soll es weitergehen mit der Allianz der bekriegten Ukraine? Und wie soll Energiesicherheit hergestellt werden? Hier schlicht nach Atomkraft zu rufen, greift zu kurz. Die CDU war immer Europapartei. Das stellt sie gerade nicht aufs schönste Tablett. Sollte die Union auf europäischer Ebene ein Konzept schneidern, das Pandemie, Sicherheit und Solidarität sowie Nachhaltigkeit bei Strom und Gas avisiert, wird sie wieder eine mögliche Regierungspartei. Und dies ganz unabhängig von der Performance der SPD unter Olaf Scholz.

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