Kommentar: Die SPD muss zwischen zwei Monstern wählen

Olaf Scholz und Andrea Nahles bei der SPD-Fraktionssitzung zum Asylstreit am Mittwoch (Bild: dpa)
Olaf Scholz und Andrea Nahles bei der SPD-Fraktionssitzung zum Asylstreit am Mittwoch (Bild: dpa)

Die Sozialdemokraten schauten bisher entgeistert auf den Unionsstreit. Doch nun werden sie hineingezogen. Ungeschoren kommen sie nicht davon.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Spitze der Sozialdemokraten weilt gerade auf einer metaphorischen Bootstour, genauer auf einer zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Die Sonne brennt, ein frisches Lüftchen weht – wären da nicht die beiden Ungeheuer aus der griechischen Sagenwelt der Antike, zwischen denen die Genossen sprichwörtlich hindurchsegeln: Die SPD hat die Wahl zwischen zwei Übeln. Und bisher ist nicht ausgemacht, welches das größere ist.

In der Antike wachte bei einem Felsen der Meerenge Skylla – ein Wesen mit einem Frauenoberkörper, dann abwärts aus sechs Hunden bestehend, alles ergreifend und essend, das in seine Nähe kam. Skylla gegenüber hauste Charybdis, ein gestaltloses Meeresmonster, das dreimal am Tag Meereswasser ansog, um es brüllend wieder auszustoßen; manches Schiff soll darin verloren gegangen sein.

Die Genossen können einem leidtun. Ihre Qual der Wahl besteht darin: Sollen sie sich dem mühsamst zwischen CDU und CSU ausgehandelten Kompromiss in der Asylpolitik beugen oder sich ihm widersetzen?

Es geht um Bilder

Das absurde Possenspiel blieb bisher in der Arena der Union. Doch nun muss die SPD als Koalitionspartner einbezogen werden. Sie soll ein Projekt bejahen, welches sie 2015 noch lauthals verdammte: die Einrichtung so genannter Transitzentren. Die CSU will unbedingt Kamerabilder von zurückgewiesenen Geflüchteten. Die Wähler der SPD dagegen sind in dieser Frage gespalten. Die ursprüngliche Klientel der Arbeiter bevorzugt durchaus eine abweisendere Haltung der SPD gegenüber Migranten. Und das linksliberale Bildungsbürgertum, ist eh zu sehr mit sich selbst beschäftigt und flieht zu allem möglichen – auch zur SPD, aber die Partei ist für sie nur eine Option von mehreren.

Und dann gibt es für die SPD-Spitze ein drittes Ungemach, das ist ihr Ex-Chef Sigmar Gabriel, der gerade gern in die Twittertasten haut oder ins nächste Mikro stänkert, wenn es klarzumachen gilt, dass er der größte Vorsitzende aller Zeiten gewesen sei, größer als die aktuelle Chefin jedenfalls. Gabriel ist aber ein leicht umschiffbares Risiko, er ist ein Scheinriese. Nur die Medien machen ihn groß. In Wirklichkeit ist seine Zeit in der Politarena zwischen Legislative und Exekutive vorbei.

Die Parteilinke also sorgt sich um die humanistische Seele der SPD und stellt sich bei den Unionsplänen quer. Die Parteirechte dagegen ängstigt sich umso mehr vor den eigenen Hinterbeinen, denn wenn die Genossen vor Skylla fliehen, könnten sie von einem neuen Wahlkampf verschlungen werden, gegen den Charybdis einen Kuraufenthalt böte. Die Sozialdemokraten haben sich widerwillig für die Regierungsverantwortung entschieden, und solch Schwarzbrot erscheint den Wählern weniger attraktiv als markige Sprüche aus der Opposition. Der Zeitgeist ist halt Anti.

Auch hat SPD-Parteichefin Andrea Nahles den Erneuerungsprozess der Genossen zwar angeschoben, aber noch längst nicht abgeschlossen. Sie moderiert viel in die Partei hinein, verleiht vernachlässigten Gremien und Strukturen wieder Haltung – doch dies braucht Zeit. Die SPD muss sich erst daran gewöhnen, dass kein vor Testosteron strotzendes Alphatierchen von oben nach unten durchregiert, sondern sie die Einheit in der Vielfalt finden muss. Das kann klappen. Eine Neuwahl aber, welche die unweigerliche Konsequenz einer Nichteinigung im Asylstreit wäre, käme zur Unzeit. Zumal die SPD dann plötzlich als Verweigerin dastehen würde.

Wenn der Sommer erst vorüber ist

Vielleicht hilft den Genossen, dass Tinte schnell trocknet. Worauf sich CDU und CSU geeinigt haben, könnte in der Praxis über Symbolwerte kaum hinauskommen. Die CSU will eine Schranke sehen. Aber dies nur an drei Grenzkontrollposten, an denen, zusammengerechnet, maximal fünf Leute pro Tag anlanden würden, sollten sie keine Smartphones besitzen und um diese schlicht herumlaufen.

Es könnte also sein, dass jene Sozialdemokraten, denen das Regieren an der Seite von Vizekanzler Olaf Scholz durchaus schmeckt, kreative Ideen präsentieren werden, wie solche „Transitzentren“ genannt werden könnten, ohne allzu negativ zu wirken. Und die Genossen könnten dann lächelnd abwarten, ob es Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gelingt, jene Abkommen mit anderen Ländern zur Rückführung von dort bereits registrierten Geflohenen abzuschließen, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bisher vergeblich ansteuerte. Für die SPD könnte es ein kalter Genuss werden. Seehofer wird auf Politiker in Österreich und in Italien stoßen, die so egoistisch vorgehen wie er selbst und damit einer von ihm angestrebten Lösung kaum zustimmen werden.

Eine Art Kompromiss ist also das wahrscheinlichste Szenario. Die SPD wird womöglich darauf hoffen, dass das unionsinterne Narrenspiel in der Praxis wenige Spuren hinterlässt. Die SPD-Führung wird Kurs gen Mitte nehmen und darauf setzen, dass sie weder von Skylla auf der einen Seite noch von Charybdis auf der anderen erfasst wird.