Kommentar: Doppelmoral oder doch Regenbogen-Solidarität?

Vor dem Spiel wurden Regenbogenfähnchen verteilt (Bild: REUTERS/Kai Pfaffenbach)
Vor dem Spiel wurden Regenbogenfähnchen verteilt (Bild: REUTERS/Kai Pfaffenbach)

Kann, darf oder muss Fußball politisch sein? Wie Niederknien oder Regenbogen-Armbinden die Diskussion eröffnen, wie sehr Politik und Sport Hand in Hand gehen.

Ein Kommentar von Nour Khelifi

Die Empörung nach dem Regenbogenfarbenverbot der UEFA und dem ungarischen Gesetz ist in Deutschland groß. Doch wieviel Vielfalt und Toleranz zeigen insbesondere CDU und CSU? In der vergangenen Woche verabschiedet das ungarische Parlament ein Gesetz, in dem vordergründig der Kinderschutz steht. Neben strengerem Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, sollen diese auch vor Informationen und Aufklärung über andere sexuelle Orientierungen "geschützt" werden. Damit zählt das sogenannte LGBTQIA+-Gesetz zum übrigen menschenrechtswidrigen politischen Repertoire von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Aussagen Orbáns über Migration und Flüchtlinge als das "Trojanische Pferd des Terrorismus" oder einen drohenden "kulturellen Selbstmord" Europas durch Geburtenrückgang und die "Unterwanderung der Muslime" zeugen von rechtsnationalen und uneuropäischen Werten. Applaus und Zuspruch gibt es dennoch - bisher häufig auch von der CSU.

Blau-weißes Bayern will plötzlich alle Farben

Der deutsche Torhüter Manuel Neuer liefert den Anstoß, als er während der Gruppenphase in der EM mit einer Regenbogen-Armbinde aufläuft, die UEFA prüft den Fall, wertet ihn aber dann doch als "Zeichen für Vielfalt". Die Diskussion über die Diskriminierung von Menschen aus der LGBTQI+-Szene entfacht so richtig, als die deutsche National-Elf gegen die Ungarn in der Gruppenphase der EM 2021 antritt. Als Zeichen der Vielfalt, Gleichstellung und Toleranz, reicht Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den Antrag ein, das Münchner Stadion in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen. Die UEFA lehnt daraufhin den Antrag ab, sie sei "aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale Organisation", heißt es im offiziellen Statement. Der politische Kontext sei in der Hinsicht viel zu groß und die Botschaft ziele auf das ungarische Parlament, weswegen das Stadion nicht in den Regenbogenfarben am Spieltag von Deutschland gegen Ungarn aufleuchten darf.

Regenbogen-Heuchelei

Während die ungarische Regierung die Entscheidung der Europäischen Fußball-Union begrüße, wird von der deutschen politischen Landschaft viel Ärger, Enttäuschung und Unmut kundgetan. FDP und Linke kritisierten die Entscheidung der UEFA, SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil fand auf Twitter harte Worte an die UEFA gerichtet: "Liebe UEFA, es ist nicht so, dass ich von euch viel erwartet habe. Aber ihr seid noch peinlicher als ich dachte. Schämt euch!" Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hingegen rief zur Solidarität auf und dazu, "den Regenbogen durchs Land zu tragen." Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nahm dazu auf Twitter Stellung: "Das wäre ein sehr gutes Zeichen für Toleranz und Freiheit gewesen." Dass selbst die CDU/CSU sich plötzlich für Homo-und Transsexualität einsetzen, ist neu. Nicht zuletzt 2017, als die CDU/CSU im Bundestag großteils gegen die Ehe für alle stimmte. Ein gemeinsames Adoptionsrecht für homosexuelle Paare wird bis heute abgelehnt.

Horst Seehofer umarmt Viktor Orbán bei einem Besuch im bayerischen Landtag 2016 (Bild: REUTERS/Michael Dalder)
Horst Seehofer umarmt Viktor Orbán bei einem Besuch im bayerischen Landtag 2016 (Bild: REUTERS/Michael Dalder)

Auch dass Ministerpräsident Viktor Orbán nun dermaßen von der Union dämonisiert wird, ist überraschend. 2018 wurden noch andere Töne angeschlagen, als der rechtskonservative Orbán vom damaligen CSU-Parteichef Horst Seehofer gelobt und hofiert wurde. Besonders seit der Flüchtlingsfrage 2015 steht Ungarn hart in der Kritik, was Menschenrechte anbelangt - die Union unterstützte aber die ungarische Grenzpolitik.

Politik kommt im Fußball langsam an

Glaubwürdig sind in diesem Fall weder die UEFA, noch die CSU. Beide schreiben sich Vielfalt und Toleranz auf die Fahne, handeln aber widersprüchlich. Dass Fußball sehr wohl politisch ist oder besser gesagt sein kann, haben nicht zuletzt die Aktionen währen der jetzigen EM gezeigt. Im Spiel Russland gegen Belgien knien sowohl das Schiedsrichter-Team als auch alle belgischen Spieler nieder als Zeichen für die "Black Lives Matter"-Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt. Wo Fußball aufhört und Politik anfängt wird neu verhandelt und das ist auch gut so. Angesichts der politischen Entwicklungen der letzten Jahre, den laufenden gesellschaftspolitischen Diskussionen und vor allem diskriminierender Politik weltweit, kann Fußball einen großen Teil dazu beitragen, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Es ist schwierig, als Fußballspieler auf dem Feld nicht politisch zu sein, wenn Hautfarbe, Name oder Herkunft als Anlass für Diskriminierung genommen werden vom eigenen Verband, den Fans, anderen Spielern auf dem Feld, Medien oder im Alltag. Allein die letzten Tage haben auch gezeigt, dass es gerade für Fußballspieler schwierig bis unmöglich erscheint, sich während einer laufenden Karriere zu outen.

Symbolpolitik und Zweckentfremdung des Fußballs

Klar ist, dass der Fußball oder Sport im Allgemeinen sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen muss und diese Auseinandersetzung auch längst überfällig ist. Diese Diskussionen sind wichtig und müssen von allen Akteurinnen und Akteuren geführt werden, um eben eine Zweckentfremdung oder reine Symbolpolitik des Sports zu vermeiden, wie die Union sie gerade führt. Es mag nett sein, wenn Vielfalt ausschließlich auf dem Feld gefeiert und gelebt wird, doch ankommen wird man in Deutschland bei diesem Diskurs erst, wenn auch die Führungsetagen von Vielfalt und Gleichstellung zeugen. In den letzten 30 Jahren hat sich besonders im deutschen Fußball viel getan, dennoch wächst der Fußball nicht schnell genug mit der Gesellschaft mit. Allein das DFB-Präsidium gibt kein gutes Beispiel ab: 16 Männer, aber nur eine Frau und niemand mit Migrationsgeschichte.

In Anbetracht des Status Quo des deutschen Fußballs, der Strukturen dahinter und ebenso in der Politik, hat die Regenbogen-Diskussion einen sehr fahlen Nachgeschmack. Nicht alles sieht so bunt-fröhlich aus, wie es scheint.

Video: Deutsche Stadien während des Spiels gegen Ungarn in Regenbogenfarben