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Kommentar: Erdogan plant den nächsten Krieg - schaut der Westen wieder weg?

Schon während des Krieges gegen Afrîn inszenierte Erdogan sich gerne als Kriegsherr (Bild: Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via Reuters)
Schon während des Krieges gegen Afrîn inszenierte Erdogan sich gerne als Kriegsherr (Bild: Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via Reuters)

Vor knapp elf Monaten überfiel die türkische Armee im Schulterschluss mit dschihadistischen Söldnern die kurdische Enklave Afrîn im Norden Syriens – ein klar völkerrechtswidriger Angriffskrieg, gegen den niemand einschritt. Nun droht eine Wiederholung dieser Tragödie.

Diverse Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Monaten schwerste Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen aufseiten der Angreifer – sowohl von Dschihadisten als auch regulären türkischen Soldaten – dokumentiert.

Das zuvor friedliche Afrîn wurde zur Hölle auf Erden: Menschen wurden und werden gefoltert, Frauen versklavt, Kinder in eigens eingerichteten Kinder-Bordellen sexuell missbraucht (Afrîn ist mittlerweile ein Pilgerort für türkische Pädophile). Zehntausende Familien wurden enteignet und vertrieben.

Die Welt hat tatenlos zugesehen, als Erdogan den Terror gegen die Kurden ausrief und sogar gezielt Krankenhäuser bombardieren ließ. Die NATO hat über die Gräueltaten geschwiegen, obwohl sie von einem ihrer Mitgliedsstaaten verübt wurden. Die Vereinten Nationen haben geschwiegen, als die Türkei einmal mehr das Völkerrecht mit Füßen trat.

Türkische Patrouille im besetzten Afrîn (Bild: AP Photo/Lefteris Pitarakis)
Türkische Patrouille im besetzten Afrîn (Bild: AP Photo/Lefteris Pitarakis)

Und Deutschland hat geschwiegen, obwohl dieser türkische Staatsterror auch mit deutschen Panzern durchgeführt wurde. Einmal mehr zeigte sich, dass Wirtschaftsinteressen auch für die deutsche Bundesregierung mehr zählen als Grundwerte und Menschenrechte.

Zurückhaltung ermutigt Kriegstreiberei

Dank der rückgratlosen Zurückhaltung des Westens weiß Erdogan, dass er seine Agenda eines “neuen Lebensraums im Süden” ohne jeden Widerstand der zivilisierten Welt weiter verfolgen kann.

Der als ausgesprochen feige geltende Diktator, der die offene Konfrontation im Zweifel eher scheut, lässt deshalb nichts unversucht, um sich durch kleine Nadelstiche – quasi als “Testläufe” – voranzutasten und so rückzuversichern, dass sich ihm bei seinen Begehrlichkeiten niemand in den Weg stellt.

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So ließ er aktuell wieder das jesidische Shingal-Gebirges bombardieren – und dies zum Zeitpunkt des höchsten jesidischen religiösen Fests. Wenn die Weltöffentlichkeit es sogar hinnimmt, dass die Türkei das durch die IS-Barbarei geschundene Volk der Jesiden wahllos bombardiert – und dies ausgerechnet Stunden, nachdem der Jesidin Nadia Murad der Friedensnobelpreis in Oslo überreicht wurde -, dann lässt sie sich alles gefallen. Das hat Erdogan kapiert.

Verbündete des Westens, Feindbild der Türkei: Kämpfer der YPG (Bild: AFP Photo/Delil Souleiman)
Verbündete des Westens, Feindbild der Türkei: Kämpfer der YPG (Bild: AFP Photo/Delil Souleiman)

Wer bei derartigen Aggressionen und Provokationen weder auf den Widerstand Europas noch der UN trifft, der weiß, dass er sich fortan wirklich alles erlauben darf; jeder noch so schwere Bruch des Völkerrechts, jedes noch so schwere Kriegsverbrechen, sogar jeder weitere Schritt in Richtung Genozid an den Kurden wird keine negative Reaktion hervorrufen.

Wie die Türkei den IS unterstützt

Erdogan macht aus seinen Absichten überhaupt keinen Hehl: Er hat angekündigt, den Norden Syriens, also vor allem jene Gebiete, die die Kurden vom IS befreit haben, zu überfallen und militärisch gegen die kurdischen Heldinnen und Helden vorzugehen, die den islamistischen Terror zerschlagen haben. Einmal mehr kommt der türkische Diktator auf diese Weise dem IS zur Hilfe.

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Schon den Jahren zuvor hatte er keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich als enger Partner der Terrorgruppe sieht. Dies zeigte sich darin, dass er die IS-Schlächter nie als “Terroristen” bezeichnen mochte; Kämpfer des IS wurden kostenlos in türkischen Krankenhäusern versorgt; der IS erhielt freie Passage durch die Türkei, und Erdogan (und seine hochkorrupte Familie) betrieb mit dem IS einen regen Handel an Öl im Tausch gegen Waffen und Devisen.

Doch nicht nur das Regime kooperierte mit den Dschihadisten ganz unverhohlen; auch in der türkischen Bevölkerung war in den Jahren 2014 bis 2017 eine offene Sympathie für den IS zu spüren.

Dies war auch ein Grund, warum die Türkei jegliches Vorgehen gegen die Terrorgruppe und Waffenhilfe für die Kriegsgegner des IS verweigert hat – abgesehen von ganz praktischen Erwägungen wie etwa einer reellen Angst vor riesigen Verlusten in der türkischen Armee, da man wusste, dass die meisten IS-Kämpfer militärisch weit besser ausgebildet waren als die türkischen Streitkräfte.

Banges Warten auf die nächsten Schritte

Bang erwartet man auf der syrischen Seite nun die nächsten Schritte Erdogans. Türkische Truppenbewegungen entlang der Grenze haben die Anti-IS-Kämpferinnen und Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bereits wachsam zur Kenntnis genommen.

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Von den USA erhoffen sie sich zwar, dass diese als Partner der Anti-IS-Allianz den Staatsterrorismus Erdogans stoppen und einen Einmarsch der türkischen Armee verhindern werden; doch ob die USA wirklich bei ihrer bisherigen pro-kurdischen Haltung bleiben, hängt ganz von den zukünftigen geopolitischen Prioritäten ab.

Welche Absprachen die USA mit der Türkei treffen, bleibt ungewisse (Bild: Tatyana Zenkovich/Pool via Reuters)
Welche Absprachen die USA mit der Türkei treffen, bleibt ungewisse (Bild: Tatyana Zenkovich/Pool via Reuters)

Insbesondere der schwelende Konflikt mit Russland könnte hier ein Umdenken einleiten, braucht Washington Erdogan doch womöglich noch aufgrund der strategischen Lage der Türkei als Bollwerk gegen Kriegsgelüste Putins.

Keine Illusionen über den Westen

Über eines sind sich die Kurden im Klaren: Die USA werden immer zuerst rein nach ihren Interessen entscheiden. Menschenrechte, Anstand und zivilisiertes Handeln sind ihnen zwar als möglicher Vorwand zur Legitimierung militärischen Interventionen stets willkommen, doch verbindliche Maßstäbe stellen sie eben nicht dar – übrigens auch nicht für den Rest der sogenannten “zivilisierten” Welt.

Und von Deutschland können die Kurden erst recht nichts erwarten: Im Bundeswirtschaftsministerium wird Peter Altmaier im Zweifel auf neue fette Waffendeals hoffen – bezahlt mit dem Blut eben der Menschen, die auch Deutschland vor dem IS gerettet haben. Das ist die bittere Wahrheit.

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