Kommentar: Gender, Trans & Co: Wer bedroht hier wen?

Eine Person am Rande der New Yorker Pride Parade im Juni (Bild: REUTERS/David Dee Delgado)
Eine Person am Rande der New Yorker Pride Parade im Juni (Bild: REUTERS/David Dee Delgado)

Ein Messerangriff in Kanada, Übergriffe bei Pride-Paraden – wer sich fürs Gendern oder für die LGBTQ+-Gemeinschaft engagiert, muss mit Gefahren leben. Komischerweise wird zuweilen ein gegenteiliges Bild gezeichnet.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Mit zwei langen Messern betrat der Mann am vergangenen Donnerstag einen Seminarraum der Universität Waterloo in Kanada. Ziel des gestrigen Angriffs: Eine Professorin und ihre Studierenden im Seminar über Gender Studies. Er stach zu, verletzte sie und zwei Studenten schwer, gab sich später im Chaos erfolglos als Opfer aus und wurde dennoch erkannt. „Durch Hass motiviert“ sei die Attacke gewesen, heißt es von der Polizei. Sie habe mit Geschlechtsausdruck und Geschlechtsidentität zu tun gehabt.

Wenige Tage zuvor, in Paris: Bei einer Gay Pride Parade wird eine Frau mit Regenbogenfahne von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen. Oder in der Türkei: Bei Paraden in Istanbul und in Izmir wurden insgesamt 140 Teilnehmer von der Polizei festgenommen. All dies „Ereignisse“ der wenigen vergangenen Tage.

Es zeigt, dass Menschen der LGTBQ+-Gemeinschaft nicht wie selbstverständlich ihren Menschenrechten nachgehen können, nicht im 21. Jahrhundert – trotz der vielen Errungenschaften liegt noch ein Weg vor ihnen. Und wer sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, wer die Macht der Sprache zu analysieren versucht, kann Besuch von einem „Messermann“ kriegen, wie es Alice Weidel von der AfD ausdrücken würde, aber nie macht.

Täter und Opfer sind nicht dasselbe

Komischerweise nehmen wir diese Angriffe hin. Klar, in den Medien wird darüber berichtet. Aber die große Empörung bleibt aus; was wiederum nachvollziehbar ist, denn sowas kommt eben leider häufiger vor. Man stumpft ab.

Was dagegen noch super die Empörung nach oben trimmt, sind die Warnungen im Internet vor gefährdeten Schutzräumen von Frauen – oder vor der Gefährdung von lesbischen Frauen, die sich transkritisch äußern. Da hört man dann sogar die Stimmen besorgter Politiker etwa aus der Union, die sich ansonsten nie zu Frauenrechten äußern. Überhaupt gibt es da eine Schieflage.

Sollte sich ein Deutschland überhaupt nicht Kennender ein Bild über unsere Bundesrepublik ausschließlich mit Hilfe von Socialmedia-Lektüre machen, müsste er Folgendes denken: Dass da eine Wortpolizei die Straßen patrouilliert, welche anderen über den Mund fährt, sobald nicht mit Sternchen um sich geworfen wird. Oder mit Unterstrich oder Doppelpunkt. Dass die Leute sich gar nicht mehr trauen, etwas zu sagen. Und dass der Besuch von Fitnessstudios und Saunen ein gefährliches Unterfangen ist, denn da geben sich Männer als Frauen aus, aus finsteren Absichten heraus. Sportwettbewerbe sind nur noch absurd, da Muskelmänner bei den Frauensparten abräumen, gender-getarnt.

Und all dies im Schatten einer woken Autokratie, eines goldenen Kalbs der Gender-Vermischung, die alles vorschreibt!

Freiheit gehört ernstgenommen

Dieses Bild ist natürlich ein Trug. Aber es ist Ausdruck eines Abwehrkampfes. Trans Menschen nehmen niemandem etwas weg, sie bedrohen keinen Menschen. Schwule oder Lesben sorgen nicht dafür, dass Heteros aus Angst um ihr körperliches Wohlergehen die Straßenseite wechseln müssen. Sie wollen einfach nur sein. Aber dann würde dem Mainstream etwas fehlen, der Gesellschaft war bisher nicht unwichtig, kleinere Gruppen auf Schubladen zu verteilen, um sie nach Belieben auf- und zuzuschieben.

Natürlich gibt es an einigen Universitäten bedenkliche Entwicklungen, die freie Forschung und freien Diskurs einschränken wollen – mit der Absicht, Gutes zu tun, nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber damit liegen sie falsch, und sie bleiben vor allem in kleinen Blasen, die in der Gesellschaft nicht wirklich über Rückhalt verfügen. Und solange das bleibt, ist niemand in seiner Identität bedroht – außer man gehört der LGBTQ+-Gemeinschaft an. Diese Tatsachen sollten wir nicht verdrehen.

Video: Polizei in Istanbul versucht vergeblich Pride Parade zu stoppen