Kommentar: Hoffentlich sucht Putins Panzer die Ausfahrt

Russlands Präsident Wladmir Putin einsam bei der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele in Peking. Einsam macht er sich auch mit seiner Annektionspolitik (Bild: Sputnik/Aleksey Druzhinin/Kremlin)
Russlands Präsident Wladmir Putin einsam bei der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele in Peking. Einsam macht er sich auch mit seiner Annektionspolitik (Bild: Sputnik/Aleksey Druzhinin/Kremlin)

Der Kreml annektiert Gebiete eines anderen Staates. Das erinnert an die hässlichen Seiten des vergangenen 20. Jahrhunderts. Es bleibt der Optimismus, dass der Herrscher dort noch rechtzeitig abbiegt. Und die Gewissheit, dass die freien Staaten ihm dazu auf die Sprünge helfen müssen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Seitdem in Osteuropa wieder Panzer fahren, sind zwei Nachrichten wichtig. Die Panzer sind nicht zu einem Manöver unterwegs, sondern zu einer Landnahme – ein schreckliches Wort; als wären die 15 Zentimeter Erdbelag mit all dem Leben darauf eine Ware aus dem Supermarktregal. Die erste Nachricht überlieferte Russlands Präsident Wladimir Putin, die zweite kam aus seinem Außenministerium.

In einer Rede, die der oberste aller Russen hielt und wie ein Auftritt bei „Wetten dass…“ daherkam, gab er bekannt: dass er nun Zar sei. Das Wort in den Mund nahm Putin freilich nicht. Aber alles zusammen ergibt nur den einen Sinn: Sein Geschichtsverständnis, sein Machtwahn und die Beschwörung äußerer Feinde funktionieren so, wie die Zaren früher Russland regierten. Wladi sieht sich als König. So kommt es, wenn man zu viele Agentenflausen im Kopf hat.

Den Ukrainern ist gerade womöglich nicht nach Scherzen. Sie haben mit Putin auszukommen, für den Freiheit nur ein Wert für ihn selbst ist, nicht für andere. Damit stellt er sich in die lange Tradition russischer Herrscher, die der Ukraine und ihren Menschen nur einen untergeordneten Rang einräumten – sobald sie sich nicht als Russen ansahen und Moskau beziehungsweise Petrograd als ihre Hauptstadt.

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Die zweite Nachricht von heute, die aus dem russischen Außenministerium, handelt von der beschwörungshaften Formel, man halte an der Diplomatie und an den Bemühungen rund um einen Frieden fest. Vielleicht macht Putin doch nicht auf komplett crazy und sucht einen Ausweg aus seiner außenpolitischen Geisterfahrt. Vielleicht hofft er, mit der Annektierung der ostukrainischen Teilrepubliken davonzukommen und sich dann zurückzuziehen – also nicht einen Krieg gegen die ganze Ukraine zu beginnen und in einen riesigen Schlamassel zu geraten, mit Sanktionen und so. Hoffen wir, Putin schaut auch nach der ersten Ausfahrt. Die beste Sicht hat man in einem Panzer aber nicht.

Wenn man nicht merkt, wie peinlich man ist

Aber noch einmal zurück zu „Wetten dass…“. Putins Rede war als Geschichtsstunde geplant, und sie geriet zu einer Zirkusvorstellung.

Er begann mit der These, die Ukraine habe nie eine echte Staatlichkeit gehabt. Das stimmt in Teilen, denn die russischen Zaren, all die Wladis, sorgten dafür, und zwar mit purer Gewalt. Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukrainer reichen jedenfalls Jahrhunderte zurück. Putins Lesart dessen ist: Habt ihr eben nicht geschafft, ihr Loser. Dass er indes ausblendet, was seit den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts passierte, nämlich die Entwicklung der Ukraine zu einem souveränen Staat, ist das Manöver einer Geschichtsklitterung. Alles, was nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und vor Putins Aufstieg passierte, deutet er zu einem Unfall um. Und Putin ist der Straßenbaumeister, der die Strecke wieder begradigt.

Geschichtslehrer Putin sagte dann in seiner Rede, die Ukraine sei ein Fehlkonstrukt Lenins gewesen. Hm. Der Zar war damals gegen jegliche Autonomie der Ukrainer. Und weil die Bolschewiken gegen den Zaren waren, sprachen sie sich für eine aus. Als sie dann mit Lenin an der Macht waren, vergaßen sie ihre Worte von gestern, denn Freiheit bedeutete für sie, unter einer vom Zarentum befreiten Regierung zu leben. Und sie brauchten die ukrainischen Gebiete als Kornkammern zur Ernährungssicherung. Dumm nur, dass diese Art von Freiheit nicht wenigen Ukrainern kaum schmeckte. Fehlkonstrukt hin oder her, Lenin und dann Stalin kontrollierten die Ukraine, wie Putin es wohl gern würde.

Schließlich bemühte Putin in seiner Rede die bekannte Rolle vorwärts. Ein Stilmittel, das von Diktatoren bestens geübt wird: Den Ukrainern warf er vor, böse zu sein. Sie seien nationalistisch, und ihre Gesellschaft sei korrupt. An beidem ist eine Menge dran, auch der ukrainische Nationalismus treibt wie jeder andere auch äußerst übelriechende Stilblüten. Und die Korruption in der Ukraine schreit von den höchsten Dächern. Nur ist Putin der Mann im Glashaus, der mit Steinen wirft. Er hat Russland auf einen ultranationalistischen Kurs getrimmt, und seine Karriere wurde von Korruption gepflastert.

Die Lüge als Kontinuum

Der Mann im Kreml hat sich mit dieser Rede mal wieder verhoben. Er präsentierte sich als Historiker, dabei hat er ein Jurastudium absolviert, ging dann auf eine Agentenschule. Irgendwann promovierte er wundersamerweise in Wirtschaftswissenschaften, aber die Arbeit soll eine Sammlung von Plagiaten sein, dass Guttenberg, Schavan und Giffey vor Neid erblassen würden. Die russische Bevölkerung hat einen Hochstapler und Gauner nach oben gelassen. Das ist die Tragödie, mit der die Weltgemeinschaft nun zu tun hat.

Wenn Panzer zur Landnahme fahren, ist das in der Regel kein Picknick. Es ist meist ein Unglück. Wenn Waffen sprechen, hat anderes versagt. Heute ist ein großer Unglückstag für die Menschheit, sie hat es mal wieder versemmelt. Die Leidtragenden sind heute Ukrainer, die nicht wissen, ob Schlimmeres kommt.

Putin sollte von den freien Ländern der Welt lernen, dass er die Ukrainer in Ruhe zu lassen hat. Sie sind nicht seine Angelegenheit. Für seine Rede von gestern und die Tat von heute sollte er mit harten Sanktionen bezahlen. Er hat nur erreicht, dass der von ihm zum Gegner deklarierte „Westen“ umso geeinter erscheint, dass sich die von ihm dämonisierte Nato von einem Untoten zu einem Verteidigungsbündnis entwickelt. So gesehen hat sich Putin verzockt. Seine Geschichtslektionen hat er aus dem Handbuch für Autokraten aus dem vergangenen Jahrhundert. Es wird Zeit, dass er im 21. ankommt. Helfen können ihm seine Gegner, die keine sind. Nämlich durch das, was sein eigenes Außenministerium ausgibt: durch Diplomatie.

Im Video: Das sind die Reaktionen auf Putins Ukraine-Rede