Kommentar: Könnte Frankreichs Randale auf Deutschland überschwappen?

Die Wucht der Straßenkrawalle in Frankreich überrascht Viele – und dann gibt es noch Jene, die alles erklären können. Eine bestimmte Mahnung auch für die Bundesrepublik hat die Randale aber schon.

Immer wieder kam es in den letzten Tagen zu gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich. (Bild: REUTERS/Juan Medina)
Immer wieder kam es in den letzten Tagen zu gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich. (Bild: REUTERS/Juan Medina)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Bilder erinnern an Netflix. Junge Leute, meist Männer, in schwarzen Hoodys, Molotows hier, Stöcke da: Brennende Läden und Barrikaden. Und Polizisten, die sich im Krieg wähnen. Letzteres ist ein Kern von vielen Problemen, die wohl zu den Ausschreitungen in Frankreich geführt haben. Dennoch fällt nur leicht, festzustellen, dass eine Erklärung für all dies nur schwer zu finden ist.

Eindrücke der Situation in Frankreich und Reaktionen auf die dortige Gewalt im Video:

Klar, da ist der strukturelle Rassismus, die Perspektivlosigkeit, die Isoliertheit der Banlieues genannten Wohnsiedlungen, welche wie Ghetto-Trutzburgen wirken. Auch ist die vielbeschworene Égalité in Frankreich eben so, dass Manche gleicher sind als andere. Dann haben wir Gewalt als Druckventil und als Fun-Faktor gleichermaßen. Eine Computergamisierung des Straßenalltags, virtuelle Bilder werden dreidimensional. Und unholde Männlichkeit spielt hinein, ein "Ich zeig es denen da oben", das sich nicht in gesteigerter Sozialkompetenz oder Bildung entlädt, sondern in tumben Eruptionen steckenbleibt.

Aber all dies sind nur Facetten. Auch sind sie nur in Teilen theoretisch auf Deutschland übertragbar. Doch sie wirken, weil etwas fehlt. Und das ist in Frankreich wie in fast allen Ländern der Welt eine abnehmende Rolle des Staates. Wenn die Polizei von französischen Bürgern, und das sind die randalierenden Jugendlichen der Vorstädte ja, als Alien-Soldateska wahrgenommen wird, dann stimmt etwas nicht. Dann finden wir uns in dystopischen Comics à la Nathan Never wieder, in denen Staaten abgelöst wurden und Konglomerate oder Unternehmen herrschen, die sich Privatarmeen halten. Das ist natürlich Zukunftsmusik.

Schwerpunkte der Krawalle in Frankreich. (Redaktion: dpa; Grafik: F. Bökelmann)
Schwerpunkte der Krawalle in Frankreich. (Redaktion: dpa; Grafik: F. Bökelmann)

Aber trotz der gewachsenen Aufgaben, welche die Staaten durchaus erfolgreich in der Pandemie, im Ukraine-Krieg und in der Finanzkrise gestemmt haben, setzt sich schon ein Trend durch: Dass der Staat der Digitalisierung zu wenig entgegensetzt, sich zurückzieht. Und dass der Staat beim Klimawandel versagt, während von der Wirtschaft bisher nicht wirklich eine Lösungsbereitschaft angesichts dieser planetaren Bedrohung zu sehen ist.

Das frustriert. Und darin liegt eine Lektion auch für Deutschland.

Mehr zu dem Thema lesen Sie hier: GdP und Sozialverband sehen Parallelen zu Frankreich

Etwas ist im Rutschen

(deutsch: Ein Drittel der gestern Abend Festgenommenen sind junge Menschen, teilweise sehr jung. Ich rufe die Eltern zur Verantwortung auf.)

Eine diffuse Jugendbewegung entsteht gerade. Sie ist nicht unbedingt politisch, sondern richtet sich als Aufschrei gegen Verhältnisse, die alles andere als okay sind. Die nachfolgenden Generationen aber zu verlieren, würde bedeuten, die Zukunft einer Gesellschaft zu verlieren, die sich auf gewisse Grundprinzipien einigen kann. Wir riskieren schon mittelfristig, die humanistischen Werte über Bord gleiten zu lassen.

Was wir aus dem Feuer und aus dem Rauch in Frankreich lernen können? Dass eine Inklusion gewollt und ernstgemeint sein sollte, und zwar auf bildungspolitischer, sozialer und kultureller Ebene.

Die Chance in der Krise

In Frankreich hat man zum Beispiel einwandernde Menschen nur zum Schein zu Bürgern gemacht; die Hierarchien der alteingesessenen Privilegien wurde nicht angefasst. Solche Rechnung geht auf Dauer nicht auf, und die Fehlkalkulation wird den Franzosen in pünktlichen Reihenfolgen präsentiert. Die Lösung für diesen Schlamassel liegt nicht im identitären Quatsch einer von Homogenität faselnden Links-Rechten, denn dies versucht nur Probleme weg zu meditieren.

Infografik: Wo ist den Deutschen Diversität am wichtigsten? | Statista
Infografik: Wo ist den Deutschen Diversität am wichtigsten? | Statista

Vielmehr kann auf die Vorteile und Potenziale von Diversität ruhigen Gewissens gesetzt werden. Wer sich wohl fühlt, geht auf keine Barrikade. Wer denkt, da gehe noch was, entwickelt weniger Zorn. Und wer Bezugsstrukturen des Staates fühlt, hat weniger Ohnmacht. Darin liegt die Chance. Der Staat kann achtsam und fürsorgend sein, ohne gleich paternalistisch oder gar zum Big Brother zu werden. Die Rechnung wird indes komplizierter, wenn sich Menschen und ihre Kinder sowie Kindeskinder gegenüber Privilegien durchzusetzen haben, die ihnen nie gewährt werden. Sowas kann jenes nähren, das sich gerade in Frankreich entlädt. Diese Kraft wird besser umgelenkt.