Kommentar: Mit der Verurteilung von Beate Zschäpe kehrt keine Ruhe ein

Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)
Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)

Der NSU-Prozess ist vorerst zum Abschluss gekommen. Die zentralen Fragen aber hat er nicht beantwortet.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es lässt nichts daran deuteln: Der Gerichtsprozess zur Aufarbeitung des NSU ist gescheitert. Die wichtigste Frage wurde vom Gericht und von der Bundesanwaltschaft nicht gestellt: Wie viel Staat steckte im NSU?

Für die beiden staatlichen Akteure ist alles auf ein bequemes Urteil hinausgelaufen. Beate Zschäpe erhält zwar ihre wohl verdiente Strafe, nämlich einen lebenslangen Gefängnisaufenthalt. Damit wird aber auch bei ihr und den wenigen Mitangeklagten die Schuld abgeladen: dafür, dass in Deutschland jahrelang eine faschistische Terrororganisation Menschen ermorden konnte – obwohl Sicherheitsbehörden im Umfeld dieser Gruppe aktiv waren. Oder vielleicht auch deshalb?

Diese Frage mag ketzerisch erscheinen. Aber die Bundesanwaltschaft gab sich keine Mühe, sie auszuleuchten und gegebenenfalls zu widerlegen.

Wen betrifft es schon?

Damit verweigert sie sich dem wichtigsten Bürgeranliegen überhaupt. Der Staat sorgt für Schutz und Ordnung. Dazu gehört nicht, Mörderbanden agieren zu lassen. Die Hinterbliebenen der Opfer aber müssen damit leben, dass der Staat ihre Lieben nicht nur nicht geschützt hat, sondern sich auch nicht richtig um Aufklärung bemüht hat und womöglich über einzelne Akteure mit den Mördern verbandelt war.

Daher bleibt der NSU-Prozess der große Makel unseres Landes.

Warum wurden bei den Verfassungsschutzämtern Akten geschreddert? Warum werden die Aussagen von deren Beamten als glaubwürdig eingeschätzt, wie zum Beispiel jene, dass ein in einem Internetshop anwesender Ermittler nichts vom gleichzeitigen Mord dort mitgekriegt haben will? Wie war es möglich, dass sich Polizeien und verschiedene Landesämter für Verfassungsschutz nicht absprachen, obwohl sie sich im Umfeld des NSU tummelten?

Protestaktion vor dem Gericht in München am Tag der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)
Protestaktion vor dem Gericht in München am Tag der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)

Und warum wurde nicht intensiv die Schattenregion rund um den NSU ausgeforscht? Warum ging man rasch davon aus, dass die Untaten nur von drei Leuten begangen worden seien, zwei von ihnen bequemerweise längst tot? Existiert noch heute ein Netzwerk, eine den damaligen NSU stützende Organisation?

Heute hat Deutschland einen kommoden Weg gewählt und lässt die Hinterbliebenen, mal wieder, allein.

Solche und solche

Das ist bemerkenswert konsequent und folgt der Richtschnur, dass Straftaten an nicht reinrassigen Deutschen nicht so bemerkenswert sind. Als die ersten Morde geschahen, schrieben wir Journalisten von den „Döner-Morden“, das klang wohl niedlich. Die Türken unter sich. Wir folgten damit den angeblichen Ergebnissen der Polizeien, welche die Terroranschläge als milieubedingt abtaten.

Da ist es kaum verwunderlich, dass der NSU-Prozess weitgehend aus dem Interesse der Öffentlichkeit verschwunden ist. Er wurde irgendwann lästig. Für heute noch ein kräftiges Blitzlichtgewitter, morgen Schwamm drüber.

Solange wir nicht lernen, dass sich der NSU von unserer Überheblichkeit nährte, von unserer strukturellen Missgunst und dem Denken, dass einige gleicher sind als gleich – solange wird der NSU kein abgeschlossenes Kapitel unserer Geschichte sein. Der NSU hielt uns nur den Spiegel der Tat vor.