Kommentar: Nach dem "Green Deal" – Verwandelt die EU Europa nun in eine grüne Wüste?

Das EU-Parlament hat für ein so genanntes "Renaturierungsgesetz" gestimmt. Damit stemmt sich die Politik gegen die Versteppung des Landes. Bauern warnen, sie könnten auf der Strecke bleiben. Sie sollten auf den Boden hören, den sie beackern.

Gleiche Fraktion, aber Rivalen: Manfred Weber und Ursula von der Leyen in Brüssel (Bild: REUTERS/Yves Herman)
Gleiche Fraktion, aber Rivalen: Manfred Weber und Ursula von der Leyen in Brüssel. (Bild: REUTERS/Yves Herman)

Ein Kommentar von Jan Rübel

High Noon in Strasburg: Gestern trafen vorm Europäischen Parlament zwei Gruppen aufeinander, die beide für die Natur sprechen – aber in unterschiedlichem Ton. Auf der einen Seite Umweltschützer, Experten und Wissenschaftler, auch Klimaaktivistin Greta Thunberg war angereist. Und auf der anderen Seite hatten Landwirte in Gummistiefeln ihre Trecker vorgefahren. Drinnen, im Plenarsaal, kam es zu einem denkwürdigen innerkonservativen Duell; EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und ihr "Green Deal" genanntes Gesetz stand zur Abstimmung, und der Vorsitzende der größten Fraktion stellte sich dagegen. Nur heißt der Manfred Weber, ist von der CSU und damit "Parteikollege" von der Leyens. Aber Weber agiert auf eigenem Ticket, dazu später mehr.

Was hat es mit dem Gesetz auf sich?

Der Name erinnert an den "New Deal" von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, der damit im Amerika der vorigen Dreißiger eine Ära des fairen Wirtschaftswachstums und ernst zu nehmender Arbeitnehmerrechte einleitete. Der Deal, den von der Leyen anstrebt, ist einer mit dem Planeten, auf dem wir leben. Denn der muss sich vom Menschen erholen. 80 Prozent der schützenswerten Lebensräume in Europa, so hat die EU ermittelt, sind krank. Moore sind trockengelegt, Böden ausgelaugt. Intensivstdüngung durch Gülle und Chemiedünger sowie die bekannten Cocktails aus Pestiziden machen ihnen zu schaffen. Auch kümmert sich die Industrielandwirtschaft, die mit dem kleinen Bauern um die Ecke nichts mehr zu tun hat, kaum um Fruchtfolgen und um die Robustheit der Böden von morgen.

Am besten sprechen die Fakten

Das Gesetz ist kein harter Schnitt. Es geht nicht gegen den Menschen. Es sagt nur, dass die EU-Mitgliedsländer selbst bestimmen sollen, wo sie Flächen sozusagen in die Kur schicken. Das betrifft laut Zielkorridor rund 30 Prozent der erkrankten Naturflächen. Also wirklich kein Big Deal.

Aber da wir gerade generell in Retrostimmung sind, liefen Einige dagegen Sturm. Bauernverbände (nicht alle) befürchten, dass den Landwirten ihre Lebensgrundlagen genommen werden. Politiker mahnen an, es könnte zu Lebensmittelverknappung und Verteuerungen kommen. Und überhaupt, der Klimawandel, können wir nicht mal über anderes sprechen?

(deutsch: Wir haben für unsere Überzeugungen gekämpft. [...] Wichtige Fragen zu den Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise und die Rechtssicherheit bleiben unbeantwortet. Wir werden weiterhin gegen ein Gesetz argumentieren, das unsere Klimabemühungen eher polarisiert als vereint.)

Zum Glück hat sich Weber mit seiner EVP-Fraktion der christdemokratischen Parteien nicht durchgesetzt, trotz eines Bündnisses mit den Rechtsparteien. Denn während sich sozialdemokratische und grüne Parteien konsequent für den Green Deal aussprachen, spielten die liberalen Parteien das Zünglein an der Waage, zeigten sich bis zum Schluss unentschlossen. Am Ende überzeugten die Wissenschaftler, welche beharrlich aufklärten und manches Lügenmärchen der Rechten korrigierten: Nein, gegen die Bauern wird nichts gemacht. Aber eine erste Reform muss avisiert werden. Wir haben ja nur den einen Planeten. Und wer den Boden heute behutsamer nutzt, sorgt für die Nahrungsmittelsicherheit von morgen vor. Alles eine Investition in die Zukunft.

Konservative Politiker wettern nun, es habe sich ein Spalt aufgetan: Einerseits die großstädtischen Abgeordneten in ihrer Blase, und andererseits die Leute, die in und von der Natur leben. Dieses Bild ist verzerrt. Blasen entstehen überall. Auch Landwirte können sich in ihrem Überlebenskampf in einer Blase wiederfinden. Denn natürlich geht es ihnen, trotz der irren Subventionen, schlecht. Jede Reform funktioniert nur mit ihnen, aber sie müssen sich auch bewegen.

Was hilft, ist bekannt

Immer mehr von ihnen steigen um auf eine ökologische Bewirtschaftung. Sie tun das, weil ihnen dort sichere Absätze winken, aber auch sichere Ernten. Das merken sie. Der Boden macht halt nicht jeden industriellen Eiertanz mit. Die wahnwitzigen Subventionen für die Agrarwirtschaft gehören umgelenkt, teilweise direkt in die Hände der Bauern – aber eben in die der echten Landwirte und nicht in die jener, die keine sind, sondern agrarfremd als Vermögende in Holdings investieren, welche das Land überziehen und es in eine grüne und dann gelbe Wüste verwandeln. Der Green Deal ist das Gegenteil davon.

Infografik: Sachsen-Anhalt macht Tempo bei Bio-Landwirtschaft | Statista
Infografik: Sachsen-Anhalt macht Tempo bei Bio-Landwirtschaft | Statista

Webers Rechnung ist zum Glück nicht aufgegangen. Mit einer Mehrheit von 36 Stimmen setzte sich die Stimme der Vernunft durch. Der Deal ist übrigens noch recht soft, er lässt den Ländern viel Bein- und Entscheidungsfreiheit. Die Schreckgespenster, die Weber entwarf, lösen sich ab heute in Luft auf. Er manövrierte nur aus Kalkül. In von der Leyen sieht er zurecht eine Rivalin, sich selbst am liebsten auf ihrem Stuhl. Auf dem Weg dorthin irrlichtert er politisch, um seine Legionen zu vergrößern: Da lobte er den verstorbenen Silvio Berlusconi zu seinen Lebzeiten über den grünen Klee – weil er ihn brauchte. Und nun sein Deal mit Parteien des rechten Randes; doch es reichte nicht. Es ist Zeit, seiner Selbstherrlichkeit beharrliche Grenzen aufzuzeigen.