Kommentar: Oliver Pocher drückt die bekannten Tasten

Komiker Oliver Pocher sucht mal wieder die Schlagzeilen (Bild: REUTERS/Johannes Eisele)
Komiker Oliver Pocher sucht mal wieder die Schlagzeilen (Bild: REUTERS/Johannes Eisele)

Der TV-Komiker macht sich über Musiker Gil Ofarim lustig. Doch dieser Humor ist nicht lustig. Er haut in eine bereits tiefe Kerbe, die Opfer verhöhnt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der Mann ohne Geschmack und Schmerz hat wieder zugeschlagen. In der Regel sind die verzweifelten Eskapaden des Oliver Pocher keine Kolumne wert, immerhin gibt es viele Versuche von vielen A-Z-Promis, Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist für sie eine Währung.

Nun hat allerdings Pocher Tasten gedrückt, die ins Politische gehen. Er mokierte sich über Gil Ofarim und sein Instagram-Video, in dem er dem Mitarbeiter eines Leipziger Hotels antisemitische Diskriminierung vorwarf. „Packen Sie Ihren Stern ein“, habe der ihm an der Rezeption gesagt – dann könne er einchecken; gemeint war Ofarims Kette mit Davidstern.

Die Sache ist noch nicht aufgeklärt. Filmaufnahmen sind aufgetaucht, auf denen kein baumelnder Stern zu sehen ist. Auch scheint das Hotel nach interner Untersuchung die Vorwürfe nicht zu übernehmen, was die Polizei dazu sagt, ist noch nicht bekannt.

Es ist alles möglich. Dass Ofarim genau erleben musste, was er schildert. Oder dass nicht stimmt, was er sagt. Doch dann kommt Pocher.

„Mir ist gerade was passiert, das möchte ich mit euch teilen“, wimmert er Ofarim in dessen Video nachmachend. Der Komiker, oder was er dafür hält, hockt draußen, angeblich vor seiner Wohnung, wie seinerzeit Ofarim vorm Hotel. Sein „Davidstern“: ein Marvel-Shirt, denn: „Ich bin halt ein Superheld.“ Da kommt der erste Duft hoch, er riecht nach Extrawurst. Superhelden sind etwas Besonderes. Juden wird gern vorgeworfen, sie hielten sich für etwas Besonderes, was sie nicht tun. Aber vielleicht hat Pocher auch nicht genügend nachgedacht, als er mit seinen Anspielungen anfing.

Es wird schmierig

„Dann hat jemand aufgemacht bei mir, ich nenne sie einfach mal Herr W.“, fährt Pocher fort, „war aber in Wirklichkeit ne Frau, und, ähm, das ist einfach krass.“

Ja, was eigentlich? Ach so: Nichts. Die Quintessenz von Pochers Manöver lautet: Was Ofarim produzierte, sei nur heiße Luft. Nichts dran an den Vorwürfen. Doch das ist zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht der Fall.

Was, wenn sich herausstellen sollte, dass Ofarim die Wahrheit schilderte? Klar, die Indizien der letzten Tage sprechen dagegen. Aber aufgeklärt ist noch gar nichts. Daher kommt Pochers angeblicher Witz zumindest zum falschen, weil zu frühen Zeitpunkt. Er steigt damit auf einen Zug, der gerade in Deutschland mächtig tönt. Denn es wird recht schnell so getan, als sei der Fall erledigt – nur weil auf Filmaufnahmen der Stern nicht zu sehen ist und weil sich Ofarim im Nachhinein verbal herumwand. Stand heute kann schlicht keine Einschätzung der Situation in der Leipziger Hotelhalle vorgenommen werden.

Durchaus möglich also, dass Pocher sich über einen Menschen mokiert, der üble Feindseligkeit erlebt, nur weil er Jude ist und sich dagegen zur Wehr setzt. Dass er das, Stand heute, in Kauf nimmt, ist haarsträubend.

Und es weist einen Trend auf: Die Perspektive von Opfern ist uns wenig wert, höchstens, wenn es hübsch gruselt. Ofarims Worten ist bis zur Vorlage von Beweisen zu glauben, das gebieten Vernunft und Moral. Doch so weit reicht es bei vielen Pochers nicht.

Was es wirklich gibt

Es gibt hingegen viele Ofarims in Deutschland, denen im Alltag das passiert, wovon der Musiker spricht. Antisemitische Anmache, judenfeindliches Gerede gibt es breit gestreut. Nicht, weil Juden dazu irgendwie einladen würden – nein, nur, weil es eine gewisse Tradition hat. Es ist der jahrhundertelange Fluch, als Minderheit in eine Schublade gesteckt zu werden, und zwar von Leuten, die es sich einfach machen wollen. Einfach gestrickt ist der Instagram-Video von Pocher auch. Er drückt diese Tasten. Sollte mehr nachdenken, bevor er loslegt.

Bei diesem Licht betrachtet, wird es nicht sehr bedeutsam sein, was sich wirklich in Leipzig abspielte. Sollte Ofarim die Sache erfunden haben, wird er Juden in Deutschland keinen Bärendienst erwiesen haben. Denn jede und jeder hat sowieso allein mit dem Antisemitismus umzugehen. Die Gegenwehr von verletzten Minderheiten wurde übrigens auch schon vor Ofarims Video gern als Mimimi abgetan. Und sollte Ofarim die Wahrheit gesagt haben, zeigte es, wie schnell wir unsere schlechten Gewissen wegdrücken können.

Video: "Ich lüge nicht" - Gil Ofarim wehrt sich gegen Vorwürfe