Kommentar: Putins bitterer Wahlsieg und die Einigkeit Europas

Wladimir Putin feierte am Wahltag auch den Jahrtag der Krim-Annexion (Bild: Sputnik/Alexei Druzhinin/Kremlin via REUTERS)
Wladimir Putin feierte am Wahltag auch den Jahrtag der Krim-Annexion (Bild: Sputnik/Alexei Druzhinin/Kremlin via REUTERS)

Der russische Staatspräsident Putin ist wiedergewählt worden. Die einzige Ungewissheit bei dieser Wahl, über die es sich zu rätseln lohnte, bestand ohnehin nur darin, mit welchem Endergebnis für Putin zu rechnen sei, heißt: wie hoch er gewinnen würde. Viele Beobachter hatten ihn zwar auf einem absteigenden Ast gesehen, da die Unzufriedenheit in Russland über seine Politik recht hoch ist, doch sein Sieg war ausgemachte Sache.

Realisten sahen ihn sarkastisch bei “40 Prozent Unterstützung und einem Wahlergebnis von 150 Prozent”. Und in der Tat: Am Ende lagen sie damit sogar goldrichtig, denn man traf sich schließlich in der Mitte – bei knapp 76 Prozent. Ein Ergebnis, ganz im Sinne der üblichen russischen Wahlfälschung: Bei 60 Prozent Wahlbeteiligung lässt sich Putins tatsächlicher Rückhalt im Volk demnach irgendwo zwischen 35 und 45 Prozent ansiedeln – je nach Grad der Manipulation. Vor dem Hintergrund der Berichte von ausländischen Wahlbeobachten und Oppositionspolitikern, dass praktisch alle Mitarbeiter von Staatsbetrieben und öffentlichen Betriebsstätten in staatlich organisierten Bussen geschlossen zur Wahl gekarrt wurden, ist die Wahlbeteiligung als relativ gering einzustufen.

Völkermord in Afrîn dank Putin

Putin hat es in diesen Tagen nicht einfach: Im eigenen Land steht er unter Druck. Die junge Generation will ihn nicht mehr, und weil es keine ernsthaften Gegenkandidatinnen oder Kandidaten gab – mögliche Hoffnungsträger mit reellen Chancen waren gar nicht erst zugelassen -, blieben viele der Wahl fern und nutzten so ihr Stimmrecht indirekt. Dieser zaghafte, aber doch beachtliche Wahlboykott bedeutet ein kleines Beben für Moskau, das vielleicht Hoffnung macht und als Beispiel für andere autokratische Regime taugen mag – auch im Mittleren Osten.

Dort, in Syrien, wüten russische und regimetreue Truppen seit Jahren, aktuell ziehen sie eine besonders katastrophale Schneise der Verwüstung durchs Land. Putin unterstützt dort das Assad-Regime im Kampf gegen diverse dschihadistische Gruppierungen, welche die kläglichen Überreste der einst hoffnungsvoll gestarteten Freien Syrischen Armee (FSA) bilden. Zu Beginn des Bürgerkriegs waren in der FSA noch etliche demokratische Kräfte vereint, die sich eine echte Liberalisierung und Modernisierung Syriens in einer Post-Assad-Ära erhofften; diese sind aber entweder mittlerweile vernichtet, oder sie traten den kurdisch dominierten demokratischen Kräften Syriens (SDF) bei, wo sie ihre Kampfziele weit besser vertreten fanden als inmitten von islamistischen Milizen.

Syriens Machthaber Assad kann sich weiter auf Putins Rückendeckung verlassen (Bild: AFP Photo/Handout)
Syriens Machthaber Assad kann sich weiter auf Putins Rückendeckung verlassen (Bild: AFP Photo/Handout)

Assads Plan, der Unterwanderung der Opposition durch radikalsunnitische Extremisten mit der Öffnung der syrischen Gefängnisse Vorschub zu leisten, ging voll auf. Putins Marionette Assad vermochte so die gegen ihn gerichtete Opposition zu spalten – wenn auch zu einem hohen Preis. Skrupellose Bombardements von Putins Luftwaffe – oftmals vorsätzlich gegen zivile Ziele – haben weite Teile Syriens in Schutt und Asche gelegt.

Über Leichen ging Putin auch mit seiner engen Kooperation mit dem türkischen Despoten Erdogan, dessen Türkei derzeit nur noch auf dem Papier NATO-Mitglied zu sein scheint. Putin höchstpersönlich hatte Erdogan grünes Licht für den völkerrechtswidrigen Überfall auf das friedliche, demokratische Afrîn gegeben; dank dieses Blankoschecks konnte Erdogan seinen neuen Völkermord an den Kurden aus der Luft starten, ohne Widerstand und ohne Verwicklungen mit dem syrischen Regime befürchten zu müssen. Ausschlaggebend für den gestrigen Fall Afrîns war die erdrückende Lufthoheit der Türken, dagegen waren die noch so kampfstarken kurdischen Truppen nicht gewappnet. Einen Bodenkrieg hätte die Türkei – selbst mit all ihren terroristischen Partnern, von al Qaida bis IS, nicht gewinnen können.

Spaltung der NATO

Gründe für Putins Duldung der gegenwärtigen türkischen Kriegsverbrechen gibt es gleich mehrere. Zum einen steht nun ein NATO-Mitglied am Pranger, das rücksichtslos mordet, plündert, vergewaltigt und brandschatzt. Während die Türkei das Ungemach der Weltöffentlichkeit auf sich zieht, wird effektiv von den russischen Kriegsverbrechen – fortgesetzte Angriffe auf Zivilisten, auch mit Fassbomben und Giftgas – abgelenkt.

Zudem spaltet der Afrîn-Feldzug den Westen, es entsteht ein offener Konflikt in der NATO, denn die Türkei verstößt mit ihrem Handeln glasklar gegen Artikel 1 der NATO-Statuten und riskiert somit gar ihren Ausschluss aus dem Verteidigungs- und Wertebündnis. Eine besondere Genugtuung muss für Putin sein, dass die USA als Verbündete der kurdischen Freiheitskämpferinnen und -kämpfer der YPG/YPJ so plötzlich zwischen allen Stühlen sitzen, und diplomatisch nun versuchen müssen zu retten, was noch zu retten ist.

Europa steht zusammen

So wenige innenpolitische Erfolgserlebnisse Putin vorweisen mag – außenpolitisch läuft es für ihn derzeit nahezu perfekt. Er führt die Weltgemeinschaft wie einen Tanzbären am Nasenring durch die Manege. Zugleich beschwört seine harte, militante Haltung in den Konfliktherden der jüngeren Zeit – Krim, Ukraine und jetzt Syrien – den russischen Nationalstolz und russische Weltgeltung. Und doch scheint er sich auf einem vermeintlichen Nebenkriegsschauplatz stark verschätzt zu haben: Putin hatte nicht mit der starken Reaktion Großbritanniens auf den Giftanschlag gegen den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal gerechnet.

Die britische Regierung hat – zu Putins offensichtlichem Befremden – so reagiert, wie man es von einem starken Staat erwarten darf: Sie hat den Kreml-Chef frontal und öffentlich angegriffen. Großbritannien betrachtet das Giftattentat als Angriff auf die eigene Souveränität. Nach Ablauf einer Frist, die Putin verstreichen ließ, wies London umgehend über zwanzig russische Diplomaten aus. Und zur Überraschung Putin haben sich europäische Staaten wie Frankreich und Deutschland eng an die Seite Großbritanniens gestellt; außenpolitisch, so zeigt sich, ist das Vereinigte Königreich also keineswegs durch den kommenden Brexit isoliert. Europa steht zusammen, wenn es zusammenstehen muss.

Die britische Premierministerin Theresa May bietet Putin die Stirn (Bild: REUTERS/Toby Melville/Pool)
Die britische Premierministerin Theresa May bietet Putin die Stirn (Bild: REUTERS/Toby Melville/Pool)

Diese unerwartete europäische Solidarität ist für den Moskauer Zaren eine herbe Niederlage – hat Russland doch bisher alles getan, um die europäischen Staaten gegeneinander auszuspielen, sei es durch das “Anwerben” ehemaliger Politiker wie Bundeskanzler Schröder, durch den unablässigen Informationskrieg russischer Propagandakanäle wie “RT Deutsch” und Troll-Armeen in den Sozialen Netzen oder die Finanzierung rechtsradikaler Parteien.

Übrigens darf man an dieser Stelle auch einmal lobend anerkennen, dass auch der neue Bundesaußenminister Heiko Maas eine klare pro-europäische Position eingenommen hat; er hat offenbar nicht die Absicht, sich von Despoten einlullen zu lassen. In seinem neu übernommenen Haus hat er, was dies betrifft, jede Menge Scherben wegzuräumen, die ihm sein Amtsvorgänger Gabriel hinterlassen hat.