Kommentar: Riskieren wir einen Atomschlag?

So sah das japanische Nagasaki nach einem Atombombenabwurf 1945 aus (Bild: War Department/U.S. National Archives/Handout via REUTERS.)
So sah das japanische Nagasaki nach einem Atombombenabwurf 1945 aus (Bild: War Department/U.S. National Archives/Handout via REUTERS.)

Nun liefert Deutschland doch schwere Waffen. Kritiker mahnen: Dies ist ein Beitrag zur Eskalation. Doch wer den Diktator aus dem Kreml einfach gewähren lässt, mindert Sicherheitsrisiken damit kaum.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Offiziell klammern wir uns ans Völkerrecht. Die Lieferung von Waffen in ein bekriegtes Land macht uns noch nicht zur Kriegspartei, heißt es auf dem Papier. Doch was ist das Wladimir Putin wert? Der Lügenverbrecher aus Moskau hat seinen Außenminister losgeschickt – und der schildert in Interviews seine Sorge um einen Weltkrieg, und dass Russland notfalls auch Atomwaffen einsetzen werde, wenn die Existenz Russlands bedroht sei.

Die A-Frage steht also im Raum. Bei Putin handelt es sich um einen Mann ohne Skrupel. Was ist ihm sein Land, die Welt wert? Bisher hat der Diktator in den vergangenen 20 Jahre eine militärische Offensive nach der anderen gestartet und an deren Ende immer etwas „einbehalten“. Dass man ihm Grenzen setzt, kannte er bisher nicht.

Wann also sieht solch ein Typ die Existenz Russlands bedroht? Vernünftig gesehen wird das niemals der Fall sein. Nur weil den russischen Truppen in der Ukraine eine ziemlich erbärmliche Performance gelingt, blasen die regimetreuen Medien die ursprüngliche „Spezialoperation“ zu einem Stellvertreterkrieg zwischen der Nato oder dem Westen an sich und Russland auf. Das Kalkül: Wird der Gegner größer dargestellt als er ist, ist das eigene Scheitern weniger kläglich.

Wer bedroht wen?

De facto wird die Nato aber Russland nicht militärisch bedrohen. Ein Angriffskrieg gegen das Land ist unrealistisch. Und hier schält sich heraus, warum überhaupt von russischer Seite die A-Frage in den Mund genommen wird: Schon immer war die Existenz von Atomwaffen weniger ein Mittel ihres Einsatzes sondern mehr eines der Politik. Mit ihnen kann man prima rote Linien ziehen oder erpressen. Man verbessert die eigene Verhandlungsposition. Und bei Russland kommt, rein militärisch betrachtet, nur hinzu, dass die konventionellen Kräfte schon derart gebunden sind, dass schon deshalb zur atomaren Abschreckung gegriffen wird.

Was also tun? Putin rasselt mit seinen atomaren Säbeln, weil die Waffenlieferungen an die Ukraine stören. Doch davon abzulassen, hieße die Ukrainer ihrem Schicksal zu überlassen. Weil gerade Linke gegen Waffenlieferungen sind (die Rechten lassen wir mal beiseite), sei darauf verwiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker einmal vor allem eine linke Angelegenheit gewesen war. Das sollte es auch heute sein.

Daher sollte sich Deutschland an den vielen Lieferungen beteiligen. Zahlreiche Länder vollziehen sie, da stehen wir bestimmt nicht an vorderster Linie. Das puffert das Risiko einer „Zielscheibe“ ab – es sei denn, Putin will die Weltgemeinschaft das Klo runterspülen lassen und die Erde einem neuen posthumanen Zeitalter zuführen, sozusagen: zum Comeback der Dinosaurier.

Jedenfalls darf Putin mit seiner Tour nicht durchkommen. Falls ja, wann und wo würde er stoppen? Schon jetzt entscheidet der Verbrecher selbst. Darüber hinaus dürfen wir aber die Debatte nicht auf Waffenlieferungen verengen.

Vom Corona- zum Waffenkenner

Gerade macht es den Eindruck, als würden wir alle Panzerexperten. Ich finde, diese Entscheidungen sollten wir Experten überlassen. Die Bundesregierung macht in ihrer Kommunikation eine katastrophale Figur, aber irgendwie „liefern“ tut sie schon. Es könnte schlimmer aussehen. Stellen wir uns nur vor, Gerhard Schröder wäre noch Kanzler.

Jenseits der Waffen aber gibt es eine Menge anzuschieben. Die wirtschaftliche Isolierung Russlands ist noch ausbaubar. Öl und Gas sind ebenso sofort zu stoppen wie die Finanzströme. Russlands Regierung muss täglich aufs Brot geschmiert bekommen, dass die Weltgemeinschaft sich gegen ihre Pläne stellt.

Und gleichzeitig muss schon jetzt hinter den Kulissen an Verhandlungsmöglichkeiten gearbeitet werden. Worte sollten diesen Krieg beenden. Angesichts dieses Leids in der Ukraine ist nicht von Bedeutung, ob Putin in drei Jahren noch an der Macht ist oder nicht. Er sollte den Krieg beenden, und zwar so schnell wie möglich – aber nicht nach seinen Vorstellungen; das ist die Schwierigkeit.

Daher geht es jetzt nicht ohne Waffen. Und es wird Mittel und Wege geben, Russland zu demonstrieren, dass man seine Aggression einzudämmen gedenkt und ihm nicht ans Leder will. Anders geht es nicht.

VIDEO: Baerbock listet im Bundestag Waffenlieferungen an die Ukraine auf