Kommentar: Sahra Wagenknecht sucht die Macht – wo auch immer

Politikerin sucht Fans: Sahra Wagenknecht hat in der Linkspartei kaum eine Zukunft mehr. Doch sie hat ein Volkstribunen-Hobby. Also schart sie neu-alte Anhänger um sich, diesmal in der so genannten "Friedensbewegung". All das macht sie nicht zum ersten Mal.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Seriös und ernst auf der Bühne: Sahra Wagenknecht (zweite von links) auf der
Seriös und ernst auf der Bühne: Sahra Wagenknecht (zweite von links) auf der "Friedens"-Demo am vergangenen Samstag vorm Brandenburger Tor in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Sahra Wagenknecht hatte alles im Griff. Sie lächelte nicht so breit wie ihre Co-Organisatorin Alice Schwarzer, und sie bezeichnete fragende Journalisten nicht als klischeehafte Typen. Aufrecht stand sie am vergangenen Samstag auf der Bühne vorm Brandenburger Tor, den Blick auf 50.000 – halt, diese Zahl wird zwar von ihr gern kommuniziert, hält aber dem mathematischen Blick nicht stand. Mengenlehre ist nicht Wagenknechts Ding. Aber die Menge ist ihr Begehr. Wagenknecht stellt die Machtfrage.

Der "Aufstand für den Frieden" führte 13.000 oder etwas (etwas!) mehr Demonstranten nach Berlin. Er vereinigte linke Pazifisten in der Mehrheit und Verschwörungsfreaks sowie handfeste Rechtsextremisten in der Minderheit; allerdings in einer deutlich sichtbaren. Einzelfälle oder Ausnahmen waren das nicht. Nicht zu vergessen Russen mit ihren Fahnen, die den Angriffskrieg verherrlichten, auf dieser angeblichen Demo für den "Frieden".

Eine krude Mischung also versammelte sich vor Wagenknecht, und genau dies hatte sie so gewollt. Wagenknecht braucht Menge.

Was will Wagenknecht?

Denn die 53-Jährige scheint Ziele zu haben. Ob sie wirklich führen will, politische Verantwortung übernehmen will – niemand weiß es. Auf jeden Fall sucht sie Zuspruch, eine Basis, die sie unterstützt. Um diese so groß wie möglich anwachsen zu lassen, hat sich die Linken-Politikerin bewusst nicht gegen Rechte abgegrenzt, ihnen explizit nicht gesagt, dass sie sich ihre Anwesenheit auf der Demo nicht erwünscht. Machte sie nicht. Dieses Kalkül diente der Maximierung. Denn Masse macht Macht.

Schließlich ist die Linkspartei für Wagenknecht kein hoffnungsvoller Fall mehr. Viel Verdruss hat sich wegen ihr breitgemacht. Eine große Karriere in der Partei würde überraschen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht den Absprung versuchte, das Nest der Partei zu verlassen probte. 2018 gehörte sie zu den Mitgründern von "Aufstehen". Diese Organisation kriegte aber keinen ausreichenden Wind unter die Flügel, Wagenknecht schaffte es nicht, sie derart groß werden zu lassen, dass "Aufstehen" ernsthaft in den Wettstreit um politische Mandate einsteigen konnte; Wagenknecht verblieb bei den Linken.

Auftrieb, bitte melden

Nun also versucht Wagenknecht es mit der "Friedensbewegung". Bleibt die Frage, was sie genau will. Denn mit der politischen Führung hat sie es nicht so. Aus ihrer Zeit als Fraktionschefin im Bundestag häufen sich die Storys über Managementfehler und fehlende Kommunikation. Die kann Wagenknecht besser in den Fernsehtalkshows. Aber eine Organisation führt man damit nicht allein. Seit Wagenknecht übrigens nur noch einfache Bundestagsabgeordnete ist, glänzt sie durch interne Abwesenheiten, lässt andere Kollegen die Kärrnerarbeit verrichten. Sie ist mehr der Typ fürs Große und Strategische.

Die Bühne am Samstag wird sie genossen haben. Einen Anspruch aber, nun für eine Menge zu sprechen, wird sie kaum daraus ableiten können. Dafür waren es dann doch nicht die halluzinierten 50.000.

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