Kommentar: Schwangerschaftsabbruch ist für Reaktionäre in den USA Teil ihrer Abwehr

Amerika ist durch einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs erschüttert: Das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch wurde gestrichen. Den Männern geht es um die Verteidigung ihrer Privilegien – und um die Frage, wie viel Gott regieren soll.

Demonstrantinnen protestieren in Los Angeles gegen das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofes, welches ein bundesweites Recht auf Schwangerschaftsabbruch strich (Bild: REUTERS/Lucy Nicholson)
Demonstrantinnen protestieren in Los Angeles gegen das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofes, welches ein bundesweites Recht auf Schwangerschaftsabbruch strich (Bild: REUTERS/Lucy Nicholson)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sie haben es doch getan. Die obersten Richter kippten ein Grundrecht von Frauen. Die Regelung, dass sie in allen US-Bundestaaten darüber selbst entscheiden können, ob sie ein Kind in die Welt setzen oder nicht, fällt weg. Es ist, logisch betrachtet, als hätten die Richter Frauen das Atmen verboten. Das Urteil ist in seiner Praxis absurd. Aber es macht Sinn, wenn man den Hintergrund betrachtet: Die alte Welt, in der ein Mann sich Sklaven hielt, soll wieder her. Es ist ein verzweifelter Abwehrkampf jener, die ihr Amerika aus früheren Jahrhunderten heraufbeschwören; damals hatten sie mehr Privilegien und mussten weniger mit anderen teilen. Das klingt banal, einfach. Aber ist so.

Nun ist es an den Bundesstaaten, über dieses Grundrecht von Frauen zu entscheiden. Einige von den Republikanern regierte haben bereits vorgefasste Gesetze aus den Schubladen genommen; sie wollten wohl nicht lange abwarten.

Worum es wirklich geht

Wer jetzt argumentiert, es gehe lediglich um den Schutz ungeborenen Lebens, irrt. Zum einen ist es völlig unerheblich wie viel „Leben“ in der Verschmelzung von Samen und Eizelle steckt. Es ist auch wenig relevant, was Männer dazu denken. Es kann ja nur eine Frau entscheiden, ob sie ein Leben mit einem Kind will oder nicht – und komme man mir nicht mit dem Adoptionskram, die Heime sind voll mit Kindern, die adoptiert werden könnten, wenn sich die Gesellschaft um sie scherte. Die Welt ist übrigens voll von Eltern und Kindern, bei deren Zusammenleben man nüchtern betrachtet nur denken kann: Andere Umstände oder gar keine wären besser gewesen. Wem das Anliegen von noch nicht einmal geborenen Kindern oder zukünftigen Kindern so nahegeht, kann sich gern über ihre Schicksale nach der Geburt interessieren; aber so weit geht die Empathie bei den Republikanern in Amerika nicht, sonst würden sie sich mehr um sie kümmern. Was sie nicht tun.

Mit dem Schlag gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bläst Amerikas Rechte zum Kampf gegen Frauen und gegen alle, die das Land gerechter und freier machen wollen, solidarischer. Natürlich werden diese Rechten im Trend weniger, aber umso mehr verteidigen sie ihre Schalthebel.

Fundamentalismus ist international

Das ist der größere Kontext, der sich im Hintergrund der Debatte aufbaut.

Ein anderer Berg, der sich dabei zu erkennen gibt, ist in Amerika durch die Frage aufgetürmt worden, wie viel Glaube und Kirchen zu sagen haben, sprich: wie demokratisch die USA sein sollen, oder wie theokratisch. Von Beginn der Gründung der Vereinigten Staaten an wurde darüber gestritten. Es gab nicht wenige, die wollten einen „Gottesstaat“, ein System wie im Iran, wo so genannte Religionsgelehrte herrschen. Dieses Ziel wollte die Bevölkerungsmehrheit, zum Glück, nicht. Aber auch heute muss die Mehrheit, die übrigens auch für die Beibehaltung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch ist, die christlichen Fundamentalisten und ihre rechten Privilegienmeister zurückweisen.

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