Kommentar: Sind wir im Dritten Weltkrieg?

Eine Frau übt in der Ukraine den Gebrauch eines Gewehres (Bild: REUTERS/Yuriy Rylchuk)
Eine Frau übt in der Ukraine den Gebrauch eines Gewehres (Bild: REUTERS/Yuriy Rylchuk)

Die Debatte über eine Flugverbotszone über der Ukraine nimmt an Fahrt auf. Und sie ist wichtig – die Debatte. Zu einem aktiven Eingreifen der Nato stehe ich ratlos da. Denn nicht jedes Argument im Galopp überzeugt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Krieg ist einfach. Er ist abzulehnen. Am besten so schnell wie möglich zu beenden. Nur wie, in der Ukraine? Manche sagen, der Krieg sei bereits längst bei uns. Der Schriftsteller Serhidj Zhadan etwa schrieb im „Spiegel“: „Liebe Europäer, machen Sie sich keine Illusionen: Dies ist kein lokaler Konflikt, der morgen zu Ende sein wird. Dies ist der Dritte Weltkrieg.“

Stimmt dies, wäre eine Flugverbotszone ein logischer Schritt. Dann müssten dem Lügenverbrecher Wladimir Putin Grenzen aufgezeigt werden, tatsächlich wie bei einem Kind, das lernen muss, besser nicht die heiße Herdplatte anzufassen. So weit ist also die menschliche Zivilisation Europas im 21. Jahrhundert gekommen, dass sich das Zusammenwirken ihrer Staaten mit Kleinkindverhalten beschreiben lässt. Aber: Man kann Putin nicht einfach weiterwerkeln lassen, die Ukrainer unschuldig leiden lassen.

Der Blick auf den Kaffeesatz

Da liegt es nahe, Worte wie die von Deniz Yücel zu wählen. Der Präsident des Schriftstellerverbandes PEN antwortete auf die Frage nach einer Flugverbotszone: „Wäre 'ne gute Idee, oder?“ Sonst drohe die Zerbombung von Kiew durch die russischen Streitkräfte. „Das ist ja nicht, weil die Ukrainer so scharf darauf sind, jetzt uns auch alle in diesen Krieg einzubeziehen“, sagte Yücel. Dann offenbarte der Journalist Schulhofweisheiten: „Wenn ich Sasha einen in die Fresse haue, weil ich einfach mich stärker fühle (...) und dann kommt Navid - er ist zwei Köpfe größer als ich - und sagt: ‚Lass meinen Kumpel in Ruhe, ja? Sonst kriegst du's mit mir zu tun!‘ Dann kann ich überlegen. Er muss natürlich das Risiko eingehen, dass ich 'n bisschen irre bin und ihm ein Klappmesser irgendwo reinsteche. Aber ich muss überlegen: ‚Der ist zwei Köpfe größer als ich und doppelt so breit - geh ich mit ihm das wirklich ein?‘ Ich weiß nicht, wie Putin darauf reagieren würde.“

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Ich weiß es auch nicht. Gehörte auf meinen Schulhöfen eher zur nichtraufenden Fraktion. Glaube aber, dass der Vergleich mit einem Krieg zweier Staaten doch ein wenig verhoben ist: Auf dem Schulhof war Gewalt oft Abschreckung für wenige Sekunden, da wurde nie bis zur „Zerstörung“ gerangelt; kleine Explosionen, Zurücktrollen, Pause, Ende. Ein Krieg indes wird in klimatisierten Räumen ausgetüftelt, mit Zahlenreihen und anonymen Befehlsketten. Da werden Knöpfe irgendwo gedrückt, um hundert Kilometer entfernt jemanden „in die Fresse zu hauen“.

Denke auch, dass dies nicht der Dritte Weltkrieg ist. Jetzt nicht. Als Putin den Befehl zu seiner „Spezialoperation“ gab, wird er mehr an einen Spaziergang gedacht haben – und dass man ihm international gesehen das durchgehen lässt. Trotz Putins gewaltigen Fehlkalkulationen bleibt der Krieg bis dato auf die Ukraine begrenzt. Ein „Weltkrieg“ sieht anders aus. Man muss ihn nicht herbeischreiben. Ihn vermeiden aber schon.

Die Unschlüssigkeit bleibt

Ob eine Flugverbotszone nun ein gutes Instrument zur Eindämmung militärischer Grausamkeiten oder das geöffnete Fenster zu einem Weltkrieg ist, weiß ich schlicht nicht. Das hilft den Ukrainern nicht, und der kleine Mann im Ohr schreit schon die ganze Zeit. Aber eine klare Antwort zeichnet sich für mich nicht ab. Es tut indes not, über solch eine Zone zu reden – auch so, dass im Kreml ein paar Männer nervös werden. Entschlossenheit in der Außenpolitik. Die klare Entscheidung zu einem Primat der Menschenrechte über wirtschaftlichem Wohlergehen. Und damit eine ökonomische Isolierung des kriegstreibenden Landes.

Auf jeden Fall hat Yücel im PEN für reichlich Wirbel gesorgt. Nicht weniger als vier seiner Vorgänger als Präsidenten haben seinen Rücktritt gefordert. Er habe mit seinen „öffentlichen militärstrategischen Äußerungen“ gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen, heißt es in dem Brief, einer Charta, die sich „dem Ideal einer in Frieden lebenden Menschheit verpflichtet“ fühle.

Yücel hat aber nur einer nötigen Debatte zu Auftrieb verholfen. Um sie kommen wir nicht herum. Ihn deswegen zum Rücktritt aufzurufen, ist zu vehement.

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