Kommentar: Stuttgarter Randale und "Satire" in der taz – und das Geheule geht los

Bundesinnenminister Horst Seehofer (rechts) und Landesinnenminister Thomas Strobl inspizieren ein zerstörtes Polizeifahrzeug. (Bild: Getty Images)
Bundesinnenminister Horst Seehofer (rechts) und Landesinnenminister Thomas Strobl inspizieren ein zerstörtes Polizeifahrzeug. (Bild: Getty Images)

Über Rassismus reden fällt nicht leicht. Manche nervt es auch. Das zeigen die überdrehten Reaktionen der vergangenen Tage.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es war schon anstrengend sich den lieben langen Tag anzuhören, auf welchen Privilegien man sitzt. Sich bewusst zu machen, dass man aus der Position einer „Mehrheit“ auf andere schaut – ganz egal ob Millionär oder Hartz IV. Die Polizeigewalt in den USA löste Proteste aus, die auf Deutschland überschwappten, und seitdem ist, endlich, einiges im Schwung.

Doch wer lieber dem traditionellen Rassismus frönen möchte, der wird die Faust in die Tasche gesteckt haben. Bis heute. Nun wird wieder zurückgemeckert.

Zwei Ereignisse boten dafür einen prima Anlass. Da erschien in der taz ein Beitrag, in dem die Autorin Polizeibeamte auf eine Müllhalde halluzinierte, was schlicht menschenfeindlich daherkam und eben eine schlechte Satire war, vergleichbar mit den Ziegenfickern Jan Böhmermanns. Und dann entluden sich am Wochenende Randale in Stuttgart, mit fiesen Gewaltszenen, Zerstörungen und Plünderungen. Auf beides stürzen sich jene, die genug haben von diesen Rassismusdebatten und dem Appell, das eigene Verhalten ein wenig kritisch zu beleuchten.

Die Reaktionen auf Randale und taz zeigen lauter ertappte Wölfe, die nun heulen. Umso dringlicher ist also „Black lives matter“ und alles, was es initiiert hat.

Schon wieder Satire

Die „Satire“ in der taz war zwar mehr als nur ein schlechter Text, aber die Bestürzung darüber war, höflich ausgedrückt, nicht verhältnismäßig. Eine Frau, noch dazu mit „Migrationshintergrund“, wagt es unsere Polizei zu bekritteln? Das ließ der alte weiße Mann nicht auf sich beruhen, und so hat Bundesinnenminister Horst Seehofer in seinem Terminkalender tatsächlich ein Zeitloch aufgestöbert, in dem er ankündigte Strafanzeige gegen die Autorin stellen zu wollen; als wäre der Text nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Ich wette: Hätte es „Black lives matter“ vorher nicht gegeben, und wäre der taz-Beitrag von einem Franken sechster Generation geschrieben worden: Horst wäre bestimmt unheimlich busy gewesen und hätte kurz die Nase gerümpft. Sein Echo und das vieler anderer entspricht dem Korpsgeist in der Polizei, an dem nichts Gutes ist.

Die Randale im Schwabenland zeitigte ähnliche aus der Tasche verirrten Fäuste. Noch ist nicht geklärt, was genau in Stuttgart passierte. Es war jedenfalls eine ziemlich jugendliche Angelegenheit. Party, das Wetter war lau, der Lockdown endlich vorüber und einige wollten Gas geben. Polizeibeamte wurden, warum, ist nicht geklärt, als Provokation wahrgenommen – und dann gab es dieses in der Menschheit seit unzähligen Jahrhunderten bekannte Phänomen der Meutebildung, der Entladung. Blödsinn wird eine Rolle gespielt haben, auch Langeweile, sicherlich Frust und auch eine fehlende Sympathie für die Sicherheitskräfte des Staates, leider. Vielleicht haben die Demos in den USA gegen Polizeigewalt dahingehend inspiriert, auch hier „denen da oben“ eine Feindseligkeit zu zeigen; Rassismuserfahrungen werden auch eine Rolle gespielt haben.

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Die Polizei griff 24 Tatverdächtige auf, der erste war ein weißer Deutscher, zwölf waren Deutsche, von denen drei einen so genannten Migrationshintergrund haben. Die anderen zwölf kamen aus Afghanistan, Bosnien, Irak, Iran, Kroatien und Somalia. Wer Stuttgart kennt, weiß: Die Stadt ist seit Jahrzehnten divers in seiner Einwohnerschaft, seit vor knapp 70 Jahren die ersten „Gastarbeiter“ kamen. Alles normal, also, oder?

Doch dann vollzog sich ein seltsamer Fokus auf den einen Teil der Delinquenten: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, noch-Grüner, traut sich vieles zu, nun ist er unter die Fotoanalysten getreten. „Ich habe mir die Fotos und Videos der Krawallnacht angeschaut“, sagt der Tausendsassa. „Und ich stelle fest: Da sind sehr viele Menschen, die nur gebrochen Deutsch sprechen.“ Er sei besorgt, „dass bei diesen Menschen eine Ablehnung unseres Staates entstanden ist“. Nun, man sieht, was man sehen will. Oder meint er, dass die vielen Schwaben auf den Fotos nur gebrochen Hochdeutsch sprechen? An letzterem ist sicherlich etwas dran.

Hauptsache, die Richtung stimmt

Stefan Müller von der CSU saß mal im Bundesinnenministerium, mit Sicherheitslagen sollte er sich auskennen. Dennoch zwitscherte er inhaltsfrei in die Sozialen Medien hinein, „Wir haben in Deutschland ein Problem mit Migranten, die keinerlei Respekt vor der Polizei haben.“ An sich stimmt der Satz, ist er hinreichend unscharf formuliert, denn wie viele „Migranten“ fehlenden Respekt haben, sagt er nicht. Aber Müller pumpt diese Sachaussage zu einem Problem auf – denn auch er schaut nur mit dem einen, rechten Auge. Dann wurde er in seinem Sinne deutlich: „Der Hass den die politische Linke in den letzten Wochen gegen die Polizei gesät hat, schlug heute Nacht in Stuttgart in blanke Gewalt um.“ Also: Die Linken sind schuld, und diese blöde Rassismus-Debatte wohl auch. Müller betreibt ein dämliches „Blame-Game“, faktenfrei, denn links sah es nicht wirklich aus, als zum Beispiel ein am Boden liegender Student, der die Randale kritisiert hatte, von einem 16-Jährigen an den Kopf getreten wurde; von der Antifa war auch nichts zu sehen. Müller aber sieht sich als politisch denkenden Kopf, und er sagte „nordbayern.de“: „Ich halte es für vorschnell, schon Samstagnacht zu sagen, dass man da keine politische Motivation erkennen könne und dass es sich nur um eine Party- und Szenegesellschaft handelt, die außer Kontrolle geraten ist. Dort wurde "Fuck the Police" und "Allahu Akbar" geschrien.“

Nun, das klingt unheimlich politisch.

Die Bild darf in dieser Gemengelage nicht fehlen und erklärt sogleich, dass „Allahu Akbar“, also „Gott ist größer“ (als andere Götter), von radikalen Islamisten vor Anschlägen gerufen werde. Aha. Von den 24 von der Polizei Aufgegriffenen hat die Polizei sieben dem Haftrichter zugeführt. Sie haben die deutsche, kroatische, irakische, portugiesische und lettische Staatsangehörigkeit. Sehr islamisch klingt das nicht.

Die lauten Müllers, Palmers und Seehofers weichen mit ihren Manövern aus. Und sie beweisen, wie notwendig es ist, dass es mit der Rassismusdebatte in Deutschland aktiv weitergeht.

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