Kommentar: Was macht eigentlich… Olaf Scholz?

Lang nichts mehr gehört vom Kanzler. Auch schon vor seinem Urlaubsantritt. Das hat Kalkül: Fast allen Parteien und Politikern um ihn herum geht es noch schlechter – und er kann sich als Garant verkaufen. Diesen Sommer wird er genießen.

Verabschiedet sich während der jährlichen Sommerpressekonferenz in den Urlaub: Kanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Juli in Berlin. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Verabschiedet sich während der jährlichen Sommerpressekonferenz in den Urlaub: Kanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Juli in Berlin. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Verschlossen wie eh und je gab sich die Entourage des Kanzlers. Er freue sich, "auch mal kurz weg zu sein", sagte Olaf Scholz selbst, bevor er in den Urlaub fuhr. Für "ein paar Tage im befreundeten europäischen Ausland", ergänzte später sein Regierungssprecher. Mal der Krise fliehen – dafür hat Scholz genügend Anlass. Sein beruflicher Alltag besteht immerhin aus Managen & Aussitzen gewisser Malaisen. Und der Deutsche an und für sich fährt ja gern in den Urlaub, lieber als seine europäischen Nachbarn; welche unbestimmte Hoffnung sich darin spiegelt, erschließt sich mir nicht.

Nur hat der Kanzler keinen geregelten Urlaubsanspruch, er steht wie seine Bundesminister in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis – also ohne Arbeitsvertrag. Aber Frischluft vom Job muss sein, auch kann damit eine politische Botschaft vermittelt werden. Legendär sind die kommuniziert bodenständigen Urlaube von Kanzler Helmut Kohl am österreichischen Wolfgangsee, und auch Angela Merkel erkundete gern nicht allzu fern gelegene Gefilde, nur eher wandernd; Gerhard Schröder dagegen mochte es gern gediegen in den Hügeln über der italienischen Adria; buchstäblich baden ging Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der sich im Pool plantschend auf Mallorca ablichten ließ, während Bundeswehrsoldaten vor einem gefährlichen Balkaneinsatz Urlaubssperre hatten – er musste seinen Sonnenhut nehmen.

Und Scholz wandelte auf Merkels Pfaden, im vergangenen Sommer wanderte er durchs Allgäu. Unaufgeregtheit sollte dies vermitteln. So ist es auch in diesem Jahr.

Mancher wurde gerupft

2023 war bisher kein gutes Jahr für die Ampelkoalition, man stritt herzlich miteinander, allerdings mit der Betonung auf Streit und weniger aufs Herz. Mittendrin der schweigende Kanzler. Und nun steht sogar die rechtspopulistische AfD in den Umfragen besser als seine SPD da – hat es das jemals gegeben? Angstschweiß treiben diese Werte Scholz nicht auf die Stirn. Er will sie aussitzen. Und er hat gute Gründe dafür.

Der Kanzler macht sich die Krise nicht gemein. Das tut er ausdrücklich, wie in einem Dekret. Das mag als Luftnummer erscheinen, denn wegmeditieren lassen sich die Umstände nicht. Scholz aber delegierte sie. Ob Grüne, FDP, CDU oder CSU – allen Parteien geht es stimmungsmäßig schlechter als der SPD. Dies ist kein Griff in die Trickkiste und war früher auch kaum von Wert; die Zeiten haben sich indes geändert.

AfD im Aufwind. (Bild: Grafik: A. Brühl, Redaktion: D. Loesche)
AfD im Aufwind. (Bild: Grafik: A. Brühl, Redaktion: D. Loesche)

Heutzutage hat die Kür in der Politik an Einfluss gewonnen, die Pflicht dagegen verloren. Wie Politiker wirken, hat mehr Wert in ihrer Gewichtung. Und damit geht Scholz' Rechnung auf, die er sich mit seinen Getreuen ein paar Monate vor der Bundestagswahl 2021 an die Wohnzimmertafel schrieb: Kontinuität und Verlässlichkeit wollten die Deutschen, stand da zuvorderst. Hinzu kam die Betonung von "Respekt", was immer das hieß. Dieser Erfolgsformel folgt er seitdem und erntet in diesem Sommer erstmals ihre Früchte.

Seine Koalitionspartner: zerzaust. Die Opposition aus CDU und CSU: verunsichert. Und die AfD: wird vorlauter Kraft bald über sich selbst stolpern. Scholz erscheint den Deutschen in diesem Tohuwabohu als Kamillentee auf zwei Beinen, und der wird im Zweifelsfall dem Energyboostdrink vorgezogen. Langsam erwächst Scholz gegenüber Respekt. Vielleicht war dies sein verstecktes Motiv für diesen Slogan gewesen, als er ihn im Wahlkampf ständig mahlte – Respekt für ihn selbst, auf lange Sicht. Aber es scheint zu funktionieren.

Alle hat mal ein Ende

Langfristigen Erfolg wird dieser Weg für Scholz bedeuten, wenn er die aktuelle Etappe zum Aufladen nutzt. Denn seine Zuschauerrolle kann nur begrenzt andauern. In der zweiten Hälfte seiner Legislatur muss der Kanzler aus dem Saft. Er hat sich dorthin zu bewegen, wo es wehtut, muss mehr die Richtung vorgeben. Sonst wird er als Zauderpremier in die Geschichtsbücher eingehen. Man kann also gespannt sein, ob und mit welcher Verve er aus dem Kurzurlaub zurückkehren wird.

Jedenfalls wird Scholz authentischer wirken als sein übrigens nicht erfolgloser Bundesjustizminister Marco Buschmann, der verkündete, in diesem Sommer in Schottland zu touristisieren. Warum? Der FDP-Politiker habe dieses Urlaubsziel mitunter gewählt, so seine Pressestelle, weil "in diesem Jahr der 300. Geburtstag von Adam Smith gefeiert wird" und Schottland "Heimatland des Begründers der Volkswirtschaft und liberalen Philosophen" sei. Ja, ja. Schnarch. Wer’s glaubt.