Kommentar: Wie Hubert Aiwanger und Christian Lindner die deutschen Bauern für dumm verkaufen

Freie Wähler und FDP konkurrieren um die Wählerstimmen von Landwirten. Die protestieren gerade, und dazu müssen sich die Parteichefs Hubert Aiwanger und Christian Lindner verhalten: Sie tun es nicht nur, indem sie sich anbiedern. Sie trauen den Bauern aber offenbar keine komplexen Gedankengänge zu. Denn was sie sagen, ist unterirdisch.

Look at me - Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger bei einer Demo von Bauern gegen die Regierung Anfang Januar in München (Bild: REUTERS/Leo Simon)
Look at me - Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger bei einer Demo von Bauern gegen die Regierung Anfang Januar in München. (Bild: REUTERS/Leo Simon)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vor zwei Tagen wurde ich um 4:50 Uhr von Treckerhupen der demonstrierenden Bauern geweckt. Also hatte ich noch ein paar Minuten vorm Aufstehen Zeit, um über sie nachzudenken. Die Gründe für ihren Protest sind vielschichtig. Gemeinsam haben sie, dass sie Ausdruck eines Systems sind, das die Bauern gefangen hält, sie nicht von den Früchten ihrer Arbeit leben lässt – und die Großen belohnt, während es die Mittleren bis Kleinen aushungert. Früher waren sie einmal das Rückgrat unserer Gesellschaft.

Mit viel Wut sind die Bauern also losgefahren, blockierten und protestierten. In dieser Kolumne hier wird es nicht um ihre Forderungen gehen, nicht um Für und Wider von Subventionen wie bei der Agrardieselsteuerbefreiung. Schauen wir stattdessen mal, wie die von den Bauern kritisierten Politiker mit ihnen sprechen – wie sie ihnen antworten. Und da kommt einem das Gruseln.

Offenbar halten Parteien, die meinen für sie zu sprechen, von Bauern nicht viel. Wer sich die Reden von Hubert Aiwanger von den Freien Wählern und von Christian Lindner (FDP) anhört, kommt zum Schluss: Anbiedern reicht den beiden nicht. Sie meinen, Landwirte bräuchten ein wenig Hetze und Spalterei. Damit trauen sie ihnen nicht viel zu; und sie irren sich gewaltig, im Übrigen.

Eindrucksvoll protestierten die Landwirte am Montag in Berlin. (Bild: REUTERS/Liesa Johannssen)
Eindrucksvoll protestierten die Landwirte am Montag in Berlin. (Bild: REUTERS/Liesa Johannssen)

Da ist also Aiwanger, der im Teilzeitjob Vize-Ministerpräsident in Bayern und Wirtschaftsminister ist. Er ist Politikelite. Das kommt gerade nicht so gut an, daher ist Aiwanger ganz "Hubsi", einer von "ihnen", also Bauer. Er hat halt einen Hof. Und tatsächlich gibt es im Ministerium ein gewisses Gemurre über seine Amtsführung. Aiwanger ist eben viel unterwegs. Denn er will noch mehr Macht in der Politik, indem er vor den Bauern so tut, als sei er nicht in der Politik. Früher hätte man gesagt: ein Bauerntrick.

Was sagte also Aiwanger bei den Protesten, zu denen er fuhr wie zu einer Festivalreihe? Man solle sich nichts sagen lassen "von Leuten, die Kühe und Schweine nicht unterscheiden" könnten, rief er nach Angaben von "Zeit-Online" zum Beispiel. In Berlin säßen die "Party-People", hier stünden die "Working-People".

Merke: Stadtmenschen sind in den Worten Aiwangers warmduschende Weißbrotesser, die Englisch cool finden und ansonsten von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Faul sind sie natürlich auch. Ich frage mich, was ein Arbeiter der städtischen Müllabfuhr dazu sagt, oder eine Schichterzieherin, oder der Bauleiter, die Lehrerin und der Supermarktverkäufer. Aiwangers Spaltversuche zwischen Stadt und Land sind nicht nur unpatriotisch, sondern erstmal dumm. Sie sind auf demselben Niveau, mit dem man sagen würde, Landbewohner wären Hinterwäldler. Arroganz steht keiner Seite gut.

Als hätten alle Bauern eine Aufmerksamkeitsstörung

Aber Aiwanger lästert lieber über "linke Medien" – das sind jene, die über die Naziflugblätter in seiner Schultasche berichteten, ganz schön böse von ihnen, die mit ihrer Chronistenpflicht, nicht wahr?

Dann redet er auch mal über Tierhaltung, die man sich kaputt machen lasse – wobei auch Bauern einleuchtet, dass ein schlichtes "Weiter so" nicht funktioniert, weil sich allein die Märkte ändern und Fleisch aus Massenkäfigen immer weniger sexy rüberkommt. Aiwanger aber ist längst weiter, kein Thema dekliniert er durch, sondern streift es nur. Bloß nicht zu viel zumuten! Also fabuliert er von Millionen, die man in illegale Migration stecke, um dann bei den Bauern zu sparen. Ganz unabhängig davon, was man politisch denkt: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Nur eines, nämlich nichts. "Zeit-Online" zitiert ihn auch mit zwei Sätzen, die nur schwer zu kommentieren sind:

"Das glaubt doch niemand, dass der liebe Gott Kühe geschaffen hat, die mit ihren Pupsen die Welt vernichten. Da war die Welt schon lange kaputt und ausgestorben." Hehe, echt witzig. Kinder checken das recht schnell, wenn man ihnen erklärt, wie die vielen Kühe Emissionen produzieren – und vieles andere in der Landwirtschaft auch. In Deutschland allein sind es acht Prozent sämtlicher CO2-Emissionen. Aber Hubsi ist schon beim nächsten Joke.

Infografik: Wie entwickeln sich die Emissionen der Landwirtschaft in Deutschland? | Statista
Infografik: Wie entwickeln sich die Emissionen der Landwirtschaft in Deutschland? | Statista

Damals, mit drei

Christian Lindner eilt ihm da nach. Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister wirkt recht städtisch, da versuchte er vor den Bauern besonders kernig aufzutreten. "Ich bin neben Wiesen, Feldern und dem Wald aufgewachsen", rief er. Das klang doch schon mal hübsch romantisch. Halt, war er nicht schon als Jugendlicher Unternehmensberater, für den Probleme nur "dornige Chancen" waren? Das klang ziemlich urban. Aber, so bekannte Lindner vor den Bauern, schon als Dreijähriger habe er selbst Bauer werden wollen. Und "als Jäger und Stallbursche meiner eigenen Frau" helfe er oft "beim Ausmisten des Pferdestalls". Meinte er damit, einen Bauern zu beeindrucken? Das war in der Tat warmduschend und weißbrotessend.

Ansonsten warb er wie Aiwanger mit einem bloßen "Weiter so". Ihm gehe es darum, Bauern vor "ideologischer Bevormundung" zu schützen, unnütze Klima- und Naturschutzauflagen zu verringern, etwa "beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, bei der Flächenstilllegung".

Über den Einsatz chemischer Pestizide lässt sich streiten. Der einen Seite aber in einer Sachdebatte Ideologie vorzuwerfen, ist selber ziemlich ideologisch.

Was das Spalten angeht, ging Lindner sogar weiter als Aiwanger. "Wir dürfen es nicht länger tolerieren, wenn Menschen sich weigern, für ihr Geld zu arbeiten", rief der Finanzminister, nachdem er Kürzungen der Asylbewerberleistungen und des Bürgergelds in Aussicht gestellt hatte.

Auch hier drängt sich die Frage auf: Die Lebenssituation und -perspektive der Bauern, was hat die nochmal mit Geflüchteten und Arbeitslosen zu tun? Denkt Lindner, dass Landwirte gerade noch a bisserl besser dran sind und über denen stehen? Dann kann man ja auf Asylbewerber und Bürgergeldbezieher draufhauen.

Die protestierenden Bauern haben Aiwanger und Lindner wirklich nicht verdient. Sie sind schlauer, als die beiden denken. Darauf eine Scheibe Weißbrot. Mit viel Honig.

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