Kommentar: Bei den Bauernprotesten holt Sahra Wagenknecht die verbale Heugabel raus

Die Ex-Linkenpolitikerin keilt gegen Robert Habeck – weil der sich über die aufgeheizte Debattenkultur sorgt. Wagenknecht lässt damit ahnen, was von ihr in den kommenden Monaten zu erwarten ist: plumpes Polarisieren. Die größten Opfer von Wagenknechts Krafttalk werden jene sein, für sie vorgibt da zu sein.

Auch früher wortgewaltig: Sahra Wagenknecht bei einer Bundestagsdebatte im Januar 2012 (Bild: REUTERS/Thomas Peter)
Auch früher wortgewaltig: Sahra Wagenknecht bei einer Bundestagsdebatte im Januar 2012. (Bild: REUTERS/Thomas Peter)

Ein Kommentar von Jan Rübel

"Also, was steht heute auf dem Plan?", wird sich Sahra Wagenknecht gefragt haben. Richtig: Eine Partei will sie ja gründen. Und dann sind da die Bauernproteste. Krawall ist immer gut, den kann sie gebrauchen, und daher hat sich Wagenknecht an die Spitze der kilometerlangen Treckerfahrten gestellt – symbolisch.

Es soll passen: Auf der einen Seite die Bauern, die gegen eine Teilkürzung von Steuerbefreiungen für Agrardiesel demonstrieren. Eigentlich geht es ihnen um mehr, nämlich um mehr Anerkennung, um ein Lebenszeichen aus dem Ländlichen Raum, der in den Städten, in denen die meiste Politik gemacht wird, weniger Aufmerksamkeit erhält. Und auf der anderen Seite eine Politikerin, die ihre alte Partei verlassen hat, um mit einer eigenen, auf sie zugeschnittenen weiter Karriere zu machen: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) soll sich heute konstituieren. Da muss es knattern. Also holte Wagenknecht tief Luft.

"Die Ampel macht Bauern zu Melkkühen ihrer verfehlten Politik. Jeder Euro Mehrbelastung für Landwirte in Deutschland ist einer zu viel", sagte sie dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". "Ich unterstütze die Proteste und fordere die Bundesregierung auf, die geplanten Streichungen komplett zurücknehmen. Dass sich Habeck jetzt als Opfer der Proteste inszeniert, ist peinlich."

Holla, was war denn da los? Robert Habeck war am vergangenen Donnerstag daran gehindert worden, nach einem Privatbesuch auf Hallig Hooge mit der Fähre wieder an Land zu kommen – rund hundert Personen hielten ihn auf. Mit dem grünen Bundeswirtschaftsminister diskutieren wollten sie nicht wirklich; das hätte eine Delegation von zwei, drei Leuten gekonnt. Aber es ging um Krawall, teilweise von einer kleinen Gruppe von rechten Fanatikern orchestriert. Die Polizei musste die Meute zurückdrängen, Pfefferspray einsetzen. Und Habeck, der sich eigentlich den Debatten stellen wollte und extra die öffentliche Fähre genommen hatte, gab zu bedenken: "Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt. Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen. Sie sind die Helden und Heldinnen der Demokratie."

Ärmel hochgekrempelt

Und dagegen stänkert Wagenknecht? An Habecks Verhalten ist Peinliches nicht zu entdecken, auch nichts Inszeniertes. Bei Wagenknecht dagegen schon. Denn bisher ist der Stadtmensch Wagenknecht nicht durch agrarpolitische Expertise aufgefallen. Sie spricht zu vielen Themen, hat zu noch mehr eine Meinung – aber Landwirtschaft war bisher für sie kein Augenmerk, was ok ist. Nur wirken ihre jetzigen Statements umso mehr wie bestellt und schablonenartig, sie will damit halt eine Ernte einfahren.

Nebenbei bezeichnet sie Landwirte als "Melkkühe". Weiß nicht, ob sie den Vergleich passend finden. Und die "Mehrbelastungen" für Bauern stehen auch in einem anderen Licht, wenn man sich anschaut, wie viele riesigen Subventionen sie erhalten. Um klarzumachen: Viel Geld ist nötig für die Landwirtschaft, es braucht auch mehr Vernetzung zwischen Land und Stadt. Die Erhaltung des Ländlichen Raums mit den Bauern als seine Seele ist elementar. Wagenknechts Forderungen aber lesen sich wie ein "weiter so" ohne die nötigen Reformen, welche die Landwirtschaft auch braucht: weg von der reinen Flächenbezuschussung, von der vor allem reiche Großgrundbesitzer profitieren und hin zur gezielten Förderung, die gerade kleinere Höfe helfen würde – all dies garniert mit ökologischen Anreizen, denn natürlich ist die Landwirtschaft gerade Teil des Problems beim Klimawandel, mit ihrer Versiegelung des Bodens, mit den Emissionen, mit dem Zerstören der Biodiversität. Landwirtschaft kann aber auch Teil der Lösung werden. Dazu braucht man: Geld. Und Visionen. Wagenknecht redet nur über ersteres.

"Statt sich weinerlich über Proteste zu beschweren, müsste die Bundesregierung jedem dankbar sein, der heute noch Landwirtschaft in Deutschland betreibt", sagte Wagenknecht weiter. Klar, ihr neues Motto für das BSW: Nur die Harten kommen in den Garten. Der Habeck und all die anderen genötigten Fährpassagiere sollen sich mal nicht so. Diese permissive Sichtweise auf unfaires Verhalten ist deswegen widersprüchlich, weil Wagenknecht genau weiß, wie blöd sowas ist: Sie selbst ist oft genug unkorrekt angegangen und beleidigt worden.

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Infografik: Subventionen der Länder: Das geht an die Landwirtschaft | Statista
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In der Arena wird es schmutzig

Und sagte sie dann noch etwas von inhaltlicher Substanz? Das hier: "Wir brauchen die Abschaffung des unsinnigen CO2-Preises, die Rücknahme aller Agrarkürzungen und ein großes Entlastungsprogramm für die Landwirtschaft gegen das Höfesterben."

Ein Entlastungsprogramm wäre tatsächlich gut, nur sollte Wagenknecht schon etwas mehr Worte dazu verlieren und diese Forderungen nicht einfach so raushauen. Und der CO2-Preis ist wichtig, wenn man es mit Schutz vor Klimakatastrophen ernst meint. Ist es aber Wagenknecht womöglich nicht.

Die Frontfrau ihrer eigenen Personenpartei gewährt mit diesen Worten Einblick in ihre Vorhaben. Nun weiß man, was von ihr in den kommenden Monaten zu erwarten ist: Sie zieht nicht nur die urbanen Samthandschuhe aus, sondern greift zur Heugabel, um in die Arena des populistischen Wettbewerbs zwischen BSW, AfD, Freien Wählern, Teilen der Union und der sich abzeichnenden Werteunion-Partei zu stürmen.

Auf die "Melkkühe" komme ich nochmal zurück. Wagenknecht redet dem sogenannten "Volk" nach dem Mund. Sie steht angeblich für Gerechtigkeit und spricht für die angeblich "kleinen Leute". Das macht Wagenknecht im Gegenzug groß. In Wirklichkeit redet sie kaum mit ihnen, denn darin ist sie nicht richtig gut; was okay ist. Wagenknecht aber redet über sie. Sie behandelt sie wie kleine Kinder, ist nachsichtig mit ihnen für Aktionen, die überhaupt nicht repräsentativ für sie sind. Dennoch hat sie Verständnis für allerlei Grobes, weil sie womöglich denkt: So seien sie, die "kleinen Leute". Damit erst macht sie sie klein. Die größte Verhohnepieplerin ist Wagenknecht damit selbst.

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