Kommentar: Wie Wagenknecht und Weidel das Netz aufmischen

Von Links und von Rechts biegen Sahra Wagenknecht und Alice Weidel scharf ein: In den Sozialen Medien trenden sie aktuell mit prägnanten Botschaften. Doch was ist das wahre Gewicht ihrer Aussagen?

AfD-Politikerin Alice Weidel bei einer Wahlkampfrede 2021 (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
AfD-Politikerin Alice Weidel bei einer Wahlkampfrede 2021 (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Neulich vollzogen zwei Politikerinnen das Kunststück, mit ihrer eigenen Ermüdung viel Erregung zu erzeugen. Sarah Wagenknecht von der Linkspartei zeigte sich in den Sozialen Medien desillusioniert, weil nicht alle ihr um den Hals fallen – und Alice Weidel von der AfD ließ den Zweiminüter einer Pressekonferenz kursieren, in dem sie nicht wütend schimpfte, sondern ruhig und leise über ihre Sorgen referierte; jedenfalls ihre vorgeblichen. Ihre nicht seltenen öffentlichen Aufgeregtheiten wirken auch allzu oft kalkuliert, da wirkte diese Ruhe nun umso mehr.

Bei beiden ging es um den Krieg in der Ukraine. Von dem wollen sie Deutschland möglichst unbeeindruckt lassen.

Wagenknecht ließ sich mit den Worten verbreiten: „Wer mit Russland Handel treibt, macht sich noch lange nicht zum Komplizen des Ukraine-Krieges. (…) Denn wenn das so wäre, wären wir ja Komplizen unglaublich vieler Kriege auf dieser Welt. Und ich bin diese doppelten Maßstäbe wirklich leid. Und ich bin auch die Dummköpfe leid, die die Frage ‚Wem nützt es‘ nicht mehr stellen.“

Die Linke vor dem Showdown?

Es geht also um die Frage, ob man versucht, über Wirtschaftssanktionen Russland vom Kriegskurs abzubringen. Es ist ja ein ehrenwerter Versuch, nicht wahr? Andersrum drängt sich die Frage auf, was mit Handelserlösen in Russland passiert, welche in die Staatskasse fließen. Finanzieren sie den Angriffskrieg in der Ukraine? Zweifellos tun sie das. Das mag man Komplizen nennen oder nicht. Die Frage aber, was getan werden kann, damit der Kriegsaggressor Wladimir Putin ablässt, beantwortet Wagenknecht nie. Beziehungsweise: Sie fordert dann irgendwelche Gespräche oder Verhandlungen, wohlwissend, dass dies nur ein realitätsfernes Feigenblatt ihrer Argumentation ist. Könnte man verhandeln, wäre es das Beste. Aber noch sind die Ziele zu weit auseinander. Und jenes der Ukrainer ist ehrenwert, nämlich Freiheit, Unabhängigkeit und der Weg gen Demokratie, während das Ziel der russischen Regierung ein banaler Mix aus Imperialismus und Faschismus ist. Das will ja keiner.

Wer, wie, was und warum?

Ich wäre Wagenknecht auch dankbar, wenn sie die kritisierten „doppelten Maßstäbe“ konkret benennen würde. Tut sie aber nicht. Denn von welchen Kriegen sind „wir“ gerade Komplizen? Ich habe bei der Emergency Watchlist des Internationalen Roten Kreuzes nachgeschaut, welche Kriege gerade toben. Afghanistan, Äthiopien, Jemen, Syrien, Myanmar, Nigeria, Südsudan, Demokratische Republik Kongo, Sudan und Somalia: Wie sieht da unsere Komplizenschaft aus? Was oder wer lässt unsere deutsche Wirtschaft profitieren? Also, bei Russland fiele mir einiges ein, aber bei diesen genannten Ländern? Mir schwant, Wagenknecht will die Ukrainer für alle früheren Sünden des Westens bezahlen lassen. Das ist eine billige Nummer. Ihr doppelter Maßstab ist konstruiert, um sich dann ermüdet an ihn anzulehnen und über „Dummköpfe“ zu seufzen. Denn wem nützt es, wenn wir Russland mit Handelssanktionen belegen? Die USA profitieren, über den Verkauf von Flüssiggas, das sich gerade verteuert. Aber auch die Norweger oder die Qataris. Haben die uns etwa Befehle gegeben? Ist sowas in Bezug auf Wirtschaft, Politik, Strategie oder was auch immer derart elementar? Und glaubt Wagenknecht, dass die Deutschen in vorauseilendem Gehorsam die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland aktuell einfrieren, damit die USA ihr Gas besser verkaufen können? Dieser Maßstab ist nicht doppelt, er ist verrutscht. Wagenknecht baut Luftschlösser, um dann trotzig zu verkünden, dort ganz bestimmt nicht einzuziehen. Heldenhaft ist das nicht. Aber es funktioniert.

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Auch Weidel von der AfD zeigte sich ermattet. „Die Menschen haben alles Recht, auf die Straße zu gehen“, sagte sie auf der Konferenz. Klar, haben sie. Keiner hindert sie daran oder verteufelt sie dafür. Warum Weidels Worte so klingen, als müsse sie das Selbstverständliche einfordern, verstehe ich kaum. „Die haben doch gar nichts mehr, wir haben eine sterbende Währung“, schob sie hinterher. Die Inflation bedroht tatsächlich viele Leute – jene mit wenig Einkommen und jene, die als Selbständige auf Cashflow angewiesen sind. Der Bundesregierung aber die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, mag zwar für eine Oppositionspartei verlockend sein, deckt sich aber nicht mit der Realität. Überall, nicht nur in Deutschland steigen gerade die Preise. Das hat viel mit dem Krieg zu tun, aber nicht nur – es ist auch die Dürre, die Wasserknappheit, der Ausfall von Energieerzeugern wie Wasser und Atom. Aber all das aufzuzählen, wäre womöglich für die AfD nicht sexy genug. Und dass der Euro totgesagt sei, glaubt die originäre Anti-Euro-Partei AfD seit ihren Anfängen.

Gesucht: Ursachenforschung

„Die meisten können sich nicht mehr das leisten“, setzte Weidel mit Blick auf die Lebenshaltungskosten fort. Die meisten Deutschen haben nicht mehr genug Geld für Essen und Trinken? Sicherlich, für Miete oder Kreditzinszahlungen geht es gerade ins Bodenlose – aber das hat viele Gründe, unter anderem die Unterstützung des Spekulantentums in der Immobilienbranche durch gewisse Parteien. All dies zu erklären: nicht sexy genug?

Ansonsten scheint es die Übertreibung eines wahren Problems zu sein. „Dass sie dann irgendwie frieren sollen, für den Frieden, für die Ukraine, fürs Klima oder für sonst irgendwas – was hier seit Jahren verbockt wurde? Entschuldigung, wie dumm ist das eigentlich“, fragte sie. Interessant, dass beide, Wagenknecht und Weidel schnell das Wort „dumm“ für Andere benutzen; sie müssen sich schon für verdammt schlau halten. Stimmt, die Energiewende, die Weidel dann als „krachend gescheitert“ bezeichnet, ist tatsächlich verbockt worden. Aber nicht von den mitregierenden Grünen, sondern vor allem von CDU, CSU und FDP, die in der Regierungsverantwortung der vergangenen Jahre den Ausbau der regenerativen Energien nicht vorantrieben, wie sie es hätten tun sollen. Hätte man bloß auf die Grünen gehört…

Kalt, warm, heiß?

…die AfD indes hätte mit dem Bockmist gar nicht erst angefangen, weil sie sich fürs Klima nicht interessiert, das hat sie wegmeditiert. Eine Problemlösung ist das allerdings kaum. Dann mokiert sie sich über angeblich nicht marktfähige Elektroautos (was man tun kann), über die ökonomischen Kompetenzen des Wirtschaftsministers Robert Habeck (was man tun kann).

Und Weidel meint, der Ernst der Lage sei nicht erkannt und das Problem nicht verstanden worden. Nun, rumrödeln tut die Bundesregierung wenigstens. Ernst schauen sie auch drein. Und ob bei der AfD ein hinreichendes Problembewusstsein herrscht, Stichwort Klimawandel, muss bezweifelt werden. „Und darum werden die Leute auf die Straße gehen“, sagt sie dann. Kann passieren. Weidel jedenfalls wünscht es sich herbei. „Und wir alle sind da mit drin, wir sind da überhaupt nicht ausgenommen“, endet sie menetekelhaft. Das ist vielleicht die erste selbstkritische Äußerung, die ich von Weidel je mitkriegte. Wenn aber die AfD von Protesten gegen die Regierung wegen Inflation und Wirtschaftssanktionen nicht profitieren sollte, müsste es schon mit dem Teufel zugehen. Das weiß Weidel. Sie redet so, weil sie es sich leisten kann.

Unabhängig davon, ob der Winter heiß wird oder nicht. Ein bisschen herbeigeschrieben wird er ja schon. Wagenknecht und Weidel sind jedenfalls schon mit an Bord. Und ihre Masche, sich ruhig, besonnen, vernünftig, ermüdet und ausgesprochen nicht dumm zu geben, zeigt zumindest im Netz Erfolg. Ob dieser die Welt der Displays und Mattscheiben verlässt und in der dreidimensionalen ebenfalls Bestand haben wird, steht aber auf einem anderen Blatt. Da scheint dann echtes Licht auf ihre Argumente. Und die, wie gerade vernommen, sind eher dünn.

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