Kommentar: Wir brauchen mehr Kanzlerkandidaturdebatten

Die CDU spricht wieder über ihren Topjob - wer Kanzlerkandidat werden soll. Diese Frage ist noch längst nicht entschieden, auch wenn einer den Vorteil der Stunde hat. Generell tun diese Debatten gut, denn sie weisen nach vorn.

Noch halten sie einig den Schal - aber ziehen Markus Söder (links) und Friedrich Merz (rechts) bald mehr daran? Der CSU- und der CDU-Chef bei einem Parteitag im Herbst 2022 (Bild: REUTERS/Lukas Barth)
Noch halten sie einig den Schal - aber ziehen Markus Söder (links) und Friedrich Merz (rechts) bald mehr daran? Der CSU- und der CDU-Chef bei einem Parteitag im Herbst 2022. (Bild: REUTERS/Lukas Barth)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Kaum haben sich die Christdemokraten vom leitkulturalisierenden Weihnachtsbaum entfernt, weil alle Geschenke ausgepackt sind, werden sie unruhig. Man kann ja nicht immer nur Stollen essen und auf brennende Kerzen am Grün schauen. Jedenfalls entzündete sich bei ihnen eine Debatte, wer Kanzlerkandidat der Union bei der nächsten Bundestagswahl sein soll.

Es ist der Wettbewerb um das mächtigste Amt im Staat. Darüber sollte man schon reden. Der nächste Urnengang steht mit dem Herbst 2025 nicht in den Sternen.

Ist die "K-Frage" eigentlich schon entschieden?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gab in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe zu Protokoll, dass die "K-Frage" im Grunde schon entschieden sei. "Friedrich Merz ist Vorsitzender der CDU und der Unionsfraktion im Bundestag - und wird von Markus Söder, Alexander Dobrindt und mir sehr unterstützt bei einer Kandidatur", sagte er. Womöglich wird Söder das etwas anders sehen, nur dürfte er es zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Bayerns Ministerpräsident von der CSU spekuliert insgeheim auf ein Abschmieren der CDU bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr, auf eine Verunsicherung in der Partei, wenn sie in den östlichen Bundesländern baden gehen sollte. Dann könnte sich der Franke als Retter in der Not präsentieren, als Stabilisator mit Denkerfalten auf der Stirn.

Aktuell aber indes das Momentum bei Merz. Beliebt ist er nicht und die Fährte seiner Fettnäpfchen lang. Aber er ist formell der Chef. Die Union steht in den Bundesumfragen nicht schlecht da, führt sie an. Da wäre der Anspruch auf die Kanzlerkandidatur nur natürlich.

Merz im Nacken ist derweil nicht nur Söder, sondern auch Hendrik Wüst. Der Ministerpräsident von NRW zeigt immer wieder seine Ambitionen, schielt nach Berlin. Auf die Frage, ob er sich nicht Merz als Kanzlerkandidaten wünsche, sagte Wüst nun der "Bild am Sonntag": "Ich wünsche mir, dass wir als Union es der Chaos-Ampel nicht zu leicht machen, indem wir selbst Personaldebatten zur Unzeit führen." Das erinnerte an die Geschichten rund um Harry Potter, denn der Name Merz scheint ihm ähnlich schwer über die Lippen zu kommen wie der Voldemorts. Wüst bekennt sich ausweislich nicht zu seinem Parteikollegen aus dem gleichen CDU-Landesverband NRW, weil er auf ein Scheitern von Merz hofft. Es könnte sich ja doch noch ein Fettnäpfchen auftun, indem Merz versinkt.

Personen stehen auch für Inhalte

Insgesamt tun diese Debatten gut. Denn sie schauen in die Zukunft. Mit einer Kandidatur ist Hoffnung verbunden, die Zuversicht, als Partei von den Menschen Zuspruch bekommen zu können. Manche Kanzlerkandidatur, gerade bei kleinen Parteien, mag etwas größenwahnsinnig daherkommen. Aber was wäre gute Politik ohne Mut?

Gespräche über Kandidaturen sind weniger Klüngelei denn Vision. Sowas braucht man, denn die Politik war in diesem Jahr, mal wieder, vor allem mit Krisenmanagement beschäftigt. Da mussten die Herausforderungen des Alltags bewältigt werden: der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiesicherheit und -preise. Erfolgreich wird Staatslenkung dann, wenn sie langfristig denkt. Umsichtig agiert. Tägliche Krisen können davon ablenken.

Und so können wir Debatten wie jetzt in der Union gut gebrauchen. Mit Namen verbinden wir verschiedene Programme. Auch die anderen Parteien könnten sich entsprechende Gedanken machen. Sind Christian Lindner bei der FDP und Olaf Scholz bei der SPD tatsächlich bereits gesetzt? Wie lauteten andere Optionen? Und wenn es beim Bundesfinanzminister und beim Kanzler bleiben soll – warum? Auch diese Antworten könnten weiterhelfen.

Ein bisschen Perspektive kann nicht schaden

Wie wichtig solche Debatten sein können, zeigt sich gerade bei den Grünen. Zum Jahresende häufen sich die Porträts über Robert Habeck. Der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister erscheint wie das Jahr 2023 auf zwei Beinen: Sein zerknittertes Gesicht steht für die kriselnde Ampel-Koalition, aber auch für einen gewissen Pragmatismus, eine Unerschütterlichkeit und einen Gestaltungswillen, nichtsdestotrotz. Wird er Kanzlerkandidat der Grünen, oder wieder Annalena Baerbock? Und auch in der AfD ist die Frage von Bedeutung, mit wem sie an der Spitze in den Bundestagswahlkampf gehen wird. Denn solch eine Person müsste die Partei repräsentieren, erklären, was sie gestalten will; aktuell agiert die AfD nur als Staubsauger allgemeinen Frusts über die Politik an und für sich. Von Kanzlerkandidaten will man indes gemeinhin mehr hören als das leise Surren eines Reinigungsgeräts.

Über all diese Kandidaturen zu spekulieren, ist weder Kaffeesatzleserei noch Hühnergegacker. Es ist das Sammeln von Zuversicht und Klarheit.

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