Kommentar: Wie Friedrich Merz mit dem Weihnachtsbaum seine Leitkultur umhaut

CDU-Chef Friedrich Merz bei einem Parteikongress im Januar 2022 (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)
CDU-Chef Friedrich Merz bei einem Parteikongress im Januar 2022 (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)

Der CDU-Chef sieht im Tannenbaum zu Heiligabend einen Teil seiner geforderten Leitkultur. Damit fordert er, was schon längst da ist. Und kriegt seine erhoffte Spaltung auch nicht auf den Gabentisch.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wir haben es auch dieses Jahr wieder geschafft. Die Tage werden wieder länger, die Nächte kürzer. Und Friedrich Merz ist glücklich, hat er sich doch schon seinen Weihnachtsbaum besorgt. Der CDU-Chef kann sich zurücklehnen, hat er doch damit dokumentiert, ein braver Deutscher zu sein.

Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufenFriedrich Merz (CDU)

Warum denn das? „Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen“, sagte Merz den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dies sei ein Ausdruck der christlich-abendländischen Identität, die über Generationen übertragen werde und die Kinder präge. Diese würden sie dann so oder so ähnlich selbst weitertragen.

Stimmt ja auch. Ich hab seit dem dritten Advent einen im Wohnzimmer stehen, bloß nicht so kernig wie bei Merzens, wo Friedrich darauf besteht, natürliche rote Kerzen an ihm anzuzünden; dafür bin ich typisch deutsch zu angsthasig.

Nur mit dem „über Generationen“ sollte man vielleicht vorsichtig sein, ist der Weihnachtsbaum gar nicht so alt, wie man denken mag. Ursprünglich ein Feierelement unter evangelischen Christen, wurde er erst allmählich auch in katholischen Gegenden übernommen, etablierte sich als Brauch im 18. Jahrhundert.

Wer keinen hat, ist raus?

Warum aber hat Merz überhaupt vom Tannenbaum gesprochen? Weil man ihn derzeit ob der von ihm geforderten „Leitkultur“ löchert. Merz möge bittschön erklären, so fragen ihn die ihn begleitenden Journalisten, was das genau ist: die Leitkultur. Denn im kürzlich vom CDU-Chef vorgestellten Entwurf für das vierte Grundsatzprogramm der Partei wird ein deutliches Bekenntnis zur Leitkultur gefordert: „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden“, heißt es in dem Dokument.

Heißt: Wer sich nicht zum Weihnachtsbaum bekennt, kann kein deutscher Staatsbürger werden. Die Förster mag es freuen, aber ansonsten bleibt solch eine Forderung im Nirwana der adventlichen Absurditäten hängen. In mir keimt der Argwohn, Merz wollte gar nicht Gemeinschaftliches in Deutschland beschwören, sondern Abgrenzendes. Vor allem die seit 2015 ins Land Geflohenen muslimischen Glaubens und sowieso die Deutschen mit türkischer Familiengeschichte hat er womöglich im Blick gehabt, mit der Vorstellung: Die haben keine Bäume im Salon. Doch weit gefehlt.

Vereinender, als man denkt

Er kann sich ja mal einladen lassen. Der Weihnachtsbaum hat sich zum Symbol schlechthin fürs Jahresende entwickelt, und zwar weltweit. Man findet ihn quasi überall – so wie einst Coca Cola die alten Nikolausmythen aufgriff und vor knapp hundert Jahren unseren Weihnachtsmann erschuf. Der Tannenbaum steht auch bei Bayburts und Cans in der Ecke.

Der Baum ist nämlich ein uraltes Symbol für die Wintersonnenwende. Die alten Ägypter kannten sein Immergrün, auch die Römer und selbst in nordischen Gegenden gab es den Brauch, mit Tannenzweigen böse Geister zu vertreiben und auf einen raschen Frühling zu hoffen.

Bleibt die Frage, was Merz vertreiben wollte. Wenn ihm aber als Antwort auf eine Definition von Leitkultur nur die Tanne zum heiligen Abend einfällt, dann brennen seine Erkenntniskerzen nicht allzu lang.

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