Kommentar: So wird das nichts mit Jamaika

Kanzlerin Merkel muss FDP und Grüne unter einen Hut bringen (Bild: dpa)
Kanzlerin Merkel muss FDP und Grüne unter einen Hut bringen (Bild: dpa)

CDU, CSU, FDP und Grüne ringen um eine Koalition. Doch wirklich voran kommen sie nicht. Echte Kompromisse müssten her – und statt roten Linien rosafarbene.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In Berlin rauchen heute die Köpfe, den ganzen Tag lang, und am Abend wird kein weißer Rauch aus dem Schornstein des Kanzleramt wehen, der dann wie beim Vatikan und seiner Papstwahl verkündete: Habemus Koalitionem.

In den vergangenen Wochen überraschte schon, wie selbstverständlich Vertreter von CDU, CSU, FDP und Grünen von Jamaika sprachen, dem Bündnis der Stunde – weil kein anderes nach dem Ausgang der Bundestagswahl rechnerisch Sinn macht. Über die inhaltlichen Unterschiede schaute man lieber hinweg. Und nun sitzen sie zusammen und fragen sich, wie daraus eine Regierung geformt werden könnte, denn bisher sind alle Parteien noch im Stadium der Selbstvergewisserung eigener Positionen. Lauter rote Linien werden gezogen, über die man nicht schreiten werde, die ein Ende der Kompromissbereitschaft bedeuteten.

Aber so wird das nichts. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte auch gleich Neuwahlen ausrufen. Dies wäre indes ihre unangenehmste Option, würden doch davon nur SPD und AfD profitieren, während alle am jamaikanischen Experiment beteiligten Parteien abgestraft werden würden, nach dem Motto: Sie konnten es nicht.

Sie müssen also können.

Die vier Parteien müssen inhalieren, was Jamaika tatsächlich bedeuten würde: Nämlich den Kompromiss als Maß aller Dinge. Nicht die eigene Position gegenüber der Anhängerschaft zu verteidigen wäre das Ziel, sondern die des Mitkoalitionärs. Jamaika ist eine Formel der Gegenseitigkeit, oder gar keine. Jamaika ist die Verantwortung des einen für den anderen oder gar keine.

Eine Überraschung muss her

Darin liegt eine große Chance für die deutsche Politik. Es ist ihr großer Vorteil, dass keine einzige Frontlinie die politische Landschaft durchzieht, dass sich keine zwei Lager unversöhnlich gegenüber stehen, jenes der Gewinner hier und das andere der Loser dort. Kompromiss ist im System der Bundesrepublik unausgesprochen ebenso angelegt wie der Föderalismus in der Verfassung niedergeschrieben. Jamaika nun würde dieses Miteinander auf eine höhere Ebene hieven. So könnten echte und überraschende Lösungen gesucht werden, die ganz anders sind als der kleinste gemeinsame Nenner.

Die Rolle des Polterers kann die Opposition übernehmen, das ist auch ihre Aufgabe. Die AfD wird gegen Jamaika zetern und dieses Bündnis als Inkarnation politischen Verfalls präsentieren, als das antike Römische Reich in seiner Spätphase. Und die SPD wird versuchen, ihr soziales Profil zu schärfen, das ist wichtig.

Für Jamaika wird bis zu später Stunde erbittert sondiert (Bild: dpa)
Für Jamaika wird bis zu später Stunde erbittert sondiert (Bild: dpa)

Die Jamaika-Parteien aber müssen nun endlich beginnen, nach vorn zu schauen. Sie müssen Themen von Nachhaltigkeit finden. Der Dissens, den es natürlich gibt, darf nicht zu Lähmung führen; Jamaika braucht eine Vision des Regierens, welche eine andere ist als das bloß Regieren um des Regierens Willens.

Welche Themen könnten das sein? Eine echte Klimapolitik böte sich an, um endlich den Worten der vergangenen Jahre Taten folgen zu lassen. Oder eine mutige Steuerreform, die stark vereinfacht. Wie wäre es mit einer verstärkten Wirtschaftsförderung kleiner Unternehmungen, mit der Jagd nach Steuereinnahmen internationaler Konzerne, mit einer echten Aufbaupolitik digitaler Strukturen? Auch hier gab es immer nur warme Worte statt wirklichen Neuanfangs, denn es hilft nichts: Noch immer surft man durch das Internet in Berlin deutlich langsamer als im ugandischen Kampala oder dem kenianischen Nairobi. Wir sind in unserer Selbstgefälligkeit überholt worden. Jamaika könnte sich ja dessen annehmen.