Kommentar: Würde zu verkaufen – für 5000…Geflüchtete

Fliehende aus Afghanistan harren auf der griechischen Insel Lesbos aus. (Bild: REUTERS/Costas Baltas)
Fliehende aus Afghanistan harren auf der griechischen Insel Lesbos aus. (Bild: REUTERS/Costas Baltas)

Der Bundestag lehnt einen Alleingang bei der Aufnahme von Geflüchteten ab. Was vernünftig klingt, ist es in Wirklichkeit nicht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Zahl des Tages ist 5000. Wer heute diese Ziffern googelt, landet erst später bei einem Währungsrechner oder bei einem Audi 5000 (gab es tatsächlich) und stattdessen direkt im Bundestag.

Denn der lehnte einen Antrag der Grünen ab. 5000 Menschen sollten aufgenommen werden, die in griechischen Lagern katastrophalen Umständen ausgesetzt sind: Es handelt sich meist um Syrer, Iraker und Afghanen, also um vor Krieg fliehende Menschen, die bisher in der Türkei ausharrten und nun durch den Machtpoker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an die Westküste gekarrt wurden; denen es gelungen ist, irgendwie nach Griechenland zu gelangen.

Die Situation dort gerät außer Kontrolle. Die Behörden agieren stümperhaft, ignorant bis bösartig. Dabei handelt es sich um Menschen in Not.

Die Grünen plädierten für eine Soforthilfe, für einen Akt, einen Stein des Anstoßes: Frauen und Kinder sollten aufgenommen werden. Ganz im Ernst, wer sträubt sich dagegen?

Doch der Antrag fiel groß durch. Stattdessen solle eine europäische Lösung her, sprich: wenn Aufnahme, dann koordiniert durch die EU und auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilend. Nur ist das mit Solidarität und Gerechtigkeit so eine Sache, seitdem in der EU einige Länder von Parteien regiert werden, die im Stile Donald Trumps und der hiesigen AfD ein „XY First“ propagieren und in ihrem Nationalismus die Herzen verschließen und den Verstand ausschalten.

Kopf in den Sand?

Denn die Zustände sind unhaltbar. Viel zu lange wurde die Türkei, die allein 3,6 Millionen Syrer aufgenommen hatte, allein gelassen. Die versprochene Hilfe floss nicht, wie sie hätte fließen sollen. Und in Griechenland, der ersten Station nach der Türkei auf der Ost-West-Route, will man partout versagen.

Dagegen hilft zweierlei. Die Hilfe vor Ort muss massiv erhöht werden, denn das ist, was auch die Geflüchteten wollen: Sie fliehen, weil sie woanders etwas Besseres finden als den Tod. Denken aber an eine Rückkehr in die Heimat, ins Haus, und bleiben daher am liebsten nah dran. Irgendwann sind indes die Ressourcen der Gastgeber, und irgendwohin müssen die Fliehenden ja, erschöpft. Dann sind wir dran.

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Daher würde die rasche Aufnahme von 5000 Menschen Sinn machen und ist notwendig. Interessant, dass traditionell die Angst geschürt wird vor unbegleiteten jungen Männern, also die von der AfD titulierten „Messermänner“; Frauen und Kinder kommen aber auch nicht rein. Es hat sich allerdings etwas geändert, seit 2015, als Deutschland so viele Fliehende aufgenommen hatte: Man reagiert insgesamt ruhiger. Selbst die AfD will nicht richtig bellen; vielleicht liegt ihr noch das Thüringer Wahltaktikdesaster im Magen.

Vorangehen könnte es

Es gab sogar so genannte Erklärungen von Unions- und SPD-Abgeordneten, dass sie den Antrag der Grünen nur deshalb ablehnen, weil sie eine einheitliche europäische Lösung bei der Aufnahme priorisieren. Aufnehmen will man schon. Allen Unkenrufen zum Trotz ist Deutschland seit 2015 eben nicht untergegangen. Die Storys über Messermänner zum Beispiel blieben meist Märchen in den Weiten des Netzes. Und so viele Fliehende wie in 2015 werden es nicht werden – wenn die EU in den Nahen Osten eingreift und jene Länder unterstützt, welche die meisten Fliehenden aufnehmen: Türkei, Libanon und Jordanien. Eine Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien wäre auch zu begrüßen, schönen Gruß an Moskau und Teheran.

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Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer klingt ganz anders als 2015 und aftermath. Damals zeigte er sich dauerbesorgt, riskierte gar den Koalitionsbruch. Irgendwann wurde er eines Besseren belehrt, und es ist eine Größe der CSU, dass sie souverän genug war, ihren rassistischen Kurs zu ändern und es heute besser zu machen. Seehofer schreit also heute nicht herum.

Dennoch sind die persönlichen Erklärungen der vielen Abgeordneten ein Stück weit hohl. Denn nicht sie entscheiden, ob es der EU gelingt, nun eine konzertierte Aufnahme zu organisieren. Im Rahmen ihrer eigenen Kompetenz hätten sie ein positives Zeichen setzen können. Eines, welches einen Impuls freilegt und Nachahmer in anderen EU-Parlamenten inspiriert. In Zeiten einer Krise, und das ist die Notlage der Fliehenden, muss agiert werden. Nun ist es an Seehofer und an Kanzlerin Angela Merkel, auf die anderen europäischen Regierungen einzuwirken. Der Bundestag hat ihnen heute keine Hilfe geleistet.

Flüchtlinge an griechisch-türkischer Grenze: Aktuelle Infos zur dortigen Situation gibt’s hier