Kommentar zu den Oscars 2021: Die Academy hat starke Filme prämiert

Nun steht fest, wer die Oscars 2021 mit nach Hause nehmen darf. Der große Gewinner des Abends ist "Nomadland". Doch wie gut sind die anderen Entscheidungen?

Freuen sich über ihre Oscars:
Freuen sich über ihre Oscars: "Nomadland"-Hauptdarstellerin Frances McDormand (links) und die Regisseurin des Films: Chloé Zhao. (Bild: Chris Pizzello-Pool/Getty Images)

Ein Kommentar von Carlos Corbelle

Als großer Gewinner des Abends kann "Nomadland" bezeichnet werden. Der Film um eine Witwe (gespielt von Frances McDormand), die ihr altes Leben hinter sich lässt und fortan durch den Südwesten der USA reist, räumte mit insgesamt drei Oscars den Preis für den besten Film, die beste Hauptdarstellerin McDormand und die beste Regie ab - womit Chloé Zhao nach Kathryn Bigelow erst die zweite Frau in der Oscar-Geschichte ist, die mit dem Academy Award als beste Regisseurin ausgezeichnet wurde. Zwar ist ausgerechnet "Nomadland" (deutscher Kinostarttermin steht noch nicht fest) das einzige Werk im Rennen um den Oscar für den besten Film, das ich bislang leider nicht sehen konnte, die Kritiken sind aber durchgehend positiv und nach zahlreichen anderen Awards galt das Drama zuletzt als größter Favorit auf den Hauptpreis der Academy Awards. Doch auch die anderen sieben Nominierten wären würdige Oscar-Gewinner in der Kategorie "Bester Film" gewesen. Klare Ausreißer nach unten gab es qualitativ nicht - und so ist es nur fair, dass die Anzahl der Oscars relativ gleichmäßig unter den Anwärtern für den besten Film verteilt wurden.

Die meisten Nominierungen, aber nicht die meisten Oscars

Von den acht Anwärtern ging nur Aaron Sorkins "The Trial of the Chicago 7" (aktuell bei Netflix), ein intelligent geschriebenes Gerichtsdrama um Anti-Vietnamkrieg-Proteste im Jahr 1968, leer aus. Ansonsten gingen alle mit jeweils ein oder zwei Oscars nach Hause. Vom großen Verlierer wird wohl nur im Fall von "Mank" die Rede sein, der mit 10 Nominierungen die mit Abstand meisten Preise hätte abräumen können, am Ende aber "nur" zwei einheimste (für Produktionsdesign und Kamera). Wär aber auch irgendwie seltsam gewesen, wenn ein Film über die Entstehung eines Kino-Meisterwerks ("Citizen Kane"), der nicht fürs Kino, sondern einen Streamingdienst (Netflix) produziert wurde, den wichtigsten Kino-Preis des Jahres abgeräumt hätte. Zumal das kunstvoll inszenierte Schwarz-Weiß-Drama gut, aber bei weitem nicht der beste Film von Regisseur David Fincher ist (sprechen wir nicht weiter drüber, erste Regel des "Fight Club" und so).

Beim Preis für den besten Hauptdarsteller hatten nicht wenige mit einem posthumen Oscar für den unter anderem aus Marvels "Black Panther" bekannten Chadwick Boseman gerechnet. Im Musikerdrama "Ma Rainey's Black Bottom" (aktuell bei Netflix) konnte der im letzten Jahr im Alter von gerade mal 43 verstorbene Schauspieler nochmal ein letztes Mal zeigen, was für ein herausragender Künstler er war. Stattdessen ging der Preis aber an Anthony Hopkins, der in "The Father" (deutscher Kinostart für 13. Mai geplant) eine ebenfalls beeindruckende Performance abliefert. In dem überzeugenden Kammerspiel, das so inszeniert ist, dass man die zunehmende Verwirrung und Verunsicherung des demenzkranken Protagonisten durch formale Kniffe auch selbst ein Stück weit nachvollziehen kann - die Zeit spielt auch dem Publikum immer wieder einen Streich, Figuren werden plötzlich von anderen Darstellern verkörpert, bis man selbst nicht mehr genau sagen kann, was stimmt und was nicht - zeigt Hopkins einmal mehr die ganze Bandbreite seines Könnens.

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"Promising Young Woman" (deutscher Kinostart für 10. Juni geplant) konnte wiederum verdient den Preis für das beste Original-Drehbuch für sich verbuchen. Im Mittelpunkt des Films steht eine junge Frau (Carey Mulligan), die unter den Auswirkungen eines Verbrechens leidet und das Trauma auf ganz eigene Weise zu verarbeiten versucht. Mehr sollte von der Handlung nicht verraten werden, liegt doch ein wesentlicher Reiz dieses unkonventionellen Rache-Thrillers, der verschiedene Tonlagen - Wut, Trauer, Witz und (vermeintliche) Romantik - mühelos vereint, in den zahlreichen Wendungen, die der Film von Drehbuchautorin und Regisseurin Emerald Fennell nimmt.

Daniel Kaluuya wurde für seine Rolle in
Daniel Kaluuya wurde für seine Rolle in "Judas and the Black Messiah" ausgezeichnet. (Bild: Matt Petit/A.M.P.A.S. via Getty Images)

Shaka Kings "Judas and the Black Messiah" (deutscher Kinostarttermin steht noch nicht fest) wurde mit insgesamt zwei Oscars ausgezeichnet: für den besten Nebendarsteller und den besten Song. Das Biopic erzählt davon, wie der Schwarze Kleinkriminelle Bill O'Neal (Lakeith Stanfield) in den 1960ern vom FBI auf die Black Panther Party in Chicago angesetzt wird, um die Gruppierung zu infiltrieren. Der auf wahren Begebenheiten beruhende Film ist politisch engagiertes Kino vom Feinsten, das vom Kampf gegen Rassismus erzählt und das politische Vorgehen der Black Panther Party nachzeichnet. Besonders unwiderstehlich in einem ohnehin hervorragenden Cast ist Daniel Kaluuya, der den charismatischen Black-Panther-Vorsitzenden Fred Hampton ebenso kämpferisch wie einfühlsam porträtiert und zu Recht dafür ausgezeichnet wurde - auch wenn es seltsam anmutet, dass er "nur" als bester Nebendarsteller für eine Rolle prämiert wurde, die eindeutig als Hauptrolle betrachtet werden muss.

Mehr als "bloß" eine Nebenkategorie

Ebenfalls zwei Oscars gewann "Sound of Metal" (aktuell bei Amazon Prime) - für Schnitt und Sound. Wobei gerade letztere Kategorie bei dem Film weit mehr als "bloß" eine kleinere technischere Nebenkategorie ist. Da das Drama davon handelt, wie ein junger, talentierter Schlagzeuger (mitreißend gespielt vom nominierten Riz Ahmed) innerhalb kürzester Zeit sein Gehör verliert, ist der klug eingesetzte Sound - etwa beim Kontrast zwischen lauter Umgebung und sich zunehmend verändernder Wahrnehmung des Protagonisten - in seiner Bedeutung für das Gelingen des Films gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Youn Yuh-jung gewann den Oscar für ihre Rolle in
Youn Yuh-jung gewann den Oscar für ihre Rolle in "Minari". (Bild: Chris Pizzello-Pool/Getty Images)

Ein Film, der auch mehr Preise verdient hätte, ist "Minari" (deutscher Kinostart für 8. Juli geplant). Das Drama über eine amerikanisch-koreanische Familie, die in den 1980ern mit einer Farm in Arkansas einen Neustart wagt, ging trotz sechs Nominierungen mit nur einem Preis nach Hause - dafür mit einem hochverdienten. So spielt Youn Yuh-jung in diesem wunderbar unaufdringlich erzählten Film, der von der Kindheit des Regisseurs Lee Isaac Chung inspiriert ist, die Großmutter mit einer derartigen Wärme und Menschlichkeit, dass man die Figur sofort ins Herz schließt.

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Wenig überraschend wurde als bester internationaler Film "Der Rausch" (deutscher Kinostart für 15. Juli geplant) ausgezeichnet. Das dänische Drama um eine Gruppe von Männern, die beschließen, sich in einer Art Selbstversuch dem täglichen Alkoholrausch hinzugeben, mag auf dem Papier wie eine wenig empfehlenswerte Anleitung für einen höchst ungesunden Lebensstil anmuten. Das Drama von Thomas Vinterberg, der auch für die beste Regie nominiert war, ist aber in Wahrheit eine berauschende Liebeserklärung an das Leben: erhebend, witzig und bewegend ohne kitschig zu werden - mit einem Ende, das Hauptdarsteller Mads Mikkelsen eine unvergessliche Szene beschert.

Und zu guter Letzt sei noch "Soul" (aktuell bei Disney+) erwähnt, das neue Meisterstück von Pixar, das zu Recht mit dem Oscar als bester Animationsfilm ausgezeichnet wurde. Die Geschichte eines Jazz-Musikers, der sich mit seiner Seele auf eine Weise befassen muss, die er nie für möglich gehalten hätte, ist - ähnlich wie "Der Rausch", nur ganz anders und nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder geeignet - eine cineastische Liebeserklärung an das Leben. Voll von visuellen Einfällen, zündenden Gags, toller Musik und einer im besten Sinne zu Herzen gehenden Story ist "Soul" gerade in dieser schwierigen Corona-Zeit, in der so vielen Leuten gesundheitlich und emotional so viel abverlangt wird, ein enorm lebensbejahender Film, den man besonders zu schätzen weiß.

Die Auszeichnungen im Überblick:

Bester Film: Nomadland

Beste Regie: Chloé Zhao für Nomadland

Bester internationaler Film: Der Rausch (Dänemark)

Beste Hauptdarstellerin: Frances McDormand für Nomadland

Bester Hauptdarsteller: Anthony Hopkins für The Father

Bester Nebendarsteller: Daniel Kaluuya für Judas and the Black Messiah

Bester Nebendarstellerin: Youn Yuh-jung für Minari

Bestes Original-Drehbuch: Promising Young Woman

Bestes adaptiertes Drehbuch: The Father

Bester Animationsfilm: Soul

Bester Dokumentarfilm: Mein Lehrer, der Krake

Beste Kamera: Mank

Bester Schnitt: Sound of Metal

Beste visuelle Effekte: Tenet

Bester Sound: Sound of Metal

Bestes Produktionsdesign: Mank

Beste Filmmusik: Soul

Bester Song: "Fight for You" von H.E.R., D'Mile und Tiara Thomas für Judas and the Black Messiah

Bestes Make-Up und Hairstyling: Ma Rainey's Black Bottom

Bestes Kostüm-Design: Ma Rainey's Black Bottom

Bester Live-Action-Kurzfilm: Two Distant Strangers

Bester animierter Kurzfilm: If Anything Happens I Love You

Bester Dokumentar-Kurzfilm: Colette

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