Wo der Sultan mal nicht irrt

Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via REUTERS
Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via REUTERS

Das deutsch-türkische Verhältnis sah schon besser aus. Und das liegt nicht nur am Präsidenten in Ankara.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Zugegeben, wenige Tage vor der Bundestagswahl gibt es wichtigeres als die bilateralen Verhältnisse zwischen Deutschland und der Türkei. Aber schließlich ist Deniz Yücel unweit von Istanbul immer noch in Haft, und außerdem soll ja jeder das Fegen vor der eigenen Haustür nicht vergessen; da hat sich im Frühherbst erstaunlich viel Laub angehäuft.

Gleich zweimal binnen kurzer Zeit musste der deutsche Botschafter in Ankara zum Außenministerium, er wurde sicher nicht nur zum freundlichen Tee einbestellt. In Deutschland machte das keine großen Schlagzeilen, man hat sich an die Zornesausbrüche des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewöhnt, was nicht heißen sollte: Dass man nicht mehr hinhören sollte.

Denn was aus Ankara heranrauscht an Kritik, ist nicht gänzlich unbegründet. Wir können uns auch an die eigene Nase fassen. Ich weiß, in diesem Sport sind wir Deutsche eher Amateure, aber man lernt nie aus.

Beim Thema Türkei geht Martin Schulz auf Konfrontationskurs mit der Kanzlerin. (AP Photo/Geert Vanden Wijngaert, file)

Sag etwas Linkes!

Also: Dass SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz in seiner Verzweiflung bei seiner Suche an Kritisierbarem gegenüber Kanzlerin Angela Merkel die Türkei aus dem Hut zauberte, war ein fauler Trick: Brüsk forderte er den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen und übt sich in symbolischem Muskelspiel anstatt auf die Opposition zu Erdogan in der Türkei zu hören, die eben beharrlich auf das geöffnete Fenster dieser EU-Beitrittsverhandlungen hofft. Nur Gutes könnte daraus entstehen, und ihr Abbruch wäre das Gegenteil dessen.

Dass Schulz verzweifelt ist: ok. Dass er sich von Merkel absetzen muss: ok. Aber Schulz erinnert mich an eine Filmszene von „Aprile“, vom italienischen Regisseur Nanni Moretti – dort schaut Moretti im Fernsehen eine Talkshow, eine Debatte zwischen dem irgendwie sozialdemokratischen D’Alema und dem irgendwie konservativen Berlusconi, und Moretti steht auf, ruft beschwörend zu D’Alema: „Sag etwas Linkes!“

Kritik an Deutschlands Umgang mit der Gülen-Bewegung ist berechtigt

Tja, ob man selbst nun links oder rechts oder mittig ist, sei dahingestellt. Jedenfalls würde Schulz seine Wahlchancen steigern, wenn er mal etwas linker wahrgenommen würde, wie Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien. Erdogan-Bashing indes ist nicht genuin links.

Ferner hat der miese Autokrat Erdogan echt, wenn er die Politik in Deutschland gegenüber der PKK und der Gülen-Bewegung kritisiert. Wahr ist, dass beide Gruppen von Erdogan instrumentalisiert und verteufelt werden. Sie passen ihm bestens. Ohne beide könnte er die Demokratie weniger gut bekämpfen. Wahr ist aber auch, dass beide Gruppen nicht die Unschuld vom Lande sind, wie wir sie wahrnehmen.

PKK-Demonstration in Köln. (EFE/EPA/MAJA HITIJ)
PKK-Demonstration in Köln. (EFE/EPA/MAJA HITIJ)

Wenn die kurdische Arbeiterpartei PKK in Deutschland verboten ist, warum können dann auf Demos zahllose Konterfeis von ihrem Führer Abdullah Öcalan wehen, während die Polizei darüber rätselt, ob ein blauer Hintergrund gehe, ein rot-gelber aber nicht? Natürlich darf man nicht der Logik Erdogans folgen, dass es von Terroristen nur so wimmelt. Aber als in Hamburg beim G20 die Polizei schon in hektische Zuckungen geriet, weil sie ein paar Vermummte in einer Demo sah – zeigten ihre Kölner Kollegen bei der PKK-Demo doch einen auffälligen Widerspruch dazu.

Nicht, dass sie die Knüppel hätten herausholen sollen. Aber im Vorfeld hätten die deutschen Behörden den kurdischen Veranstaltern definieren können, was geht und was nicht – um nicht dem Erdogan-Märchen Futter zu geben, die deutsche Regierung unterstütze die PKK im Kampf gegen brave Türken.

Wenn der Wind weht

Ähnliches gilt für die Gülen-Bewegung. Was genau im Sommer 2016 beim Putschversuch passierte, ist unklar. Aber es war einer. Die Autorität der demokratisch gewählten Institutionen wurde ernsthaft, mal wieder, von Teilen des Militärs in Frage gestellt. Und auch hier ist nicht der Legende zu folgen, dass ausschließlich die religiöse Gülen-Bewegung den Putsch orchestrierte, aber klar ist ebenso: Mitgemischt hat sie dabei. Wenn also Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, in etwa meint, die Organisation Gülen sei eine Art frommer Teetassensammlerverein, dann irrt er oder verschweigt etwas.

Beides ist fatal. Und wenn dann hochrangige Gülen-Akteure nach Deutschland fliehen und politisches Asyl beantragen – dann ist es verständlich, wenn die Türkei ihre Auslieferung verlangt. Ebenso nachvollziehbar ist, dass man sie nicht in die Türkei ausliefert, schließlich ist die Justiz dort schrägen Verrenkungen unterworfen. Aber Justiz und Bundesregierung hierzulande sollten ihnen nicht auch noch den roten Teppich der politischen Absolution ausrollen; unter den Gülen-Leuten, die nach Deutschland flohen, sind fiese Anti-Demokraten, die bis vor kurzem, als Erdogans AK-Partei und die Gülen-Bewegung noch gemeinsame Sache machten, Journalisten und Menschenrechtler unterdrückten.

Wir können also selbst einiges besser machen. Wut von Populisten weht weniger, wenn man ihnen keine Segel in den Wind stellt.

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